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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das kurze Parlament.

Regierung vollkommen gebilligt hatte. Man verhandelte also mit Spanien;
dieses stimmte ein, und am 9. August erging die Bekanntmachung, wonach die
Minderung der Zölle an den beiderseitigen Grenzen bereits am 12. August
eintrat. Man hat wohl gesagt, die Negierung habe hören Ms gehandelt. Nein,
es kommt ihr mehr zu statten: sie hat dana, neues gehandelt."') Daß der
Vertrag ohne Zustimmung des Reichstags keine rechtliche Giltigkeit habe, das
wußte die Regierung sehr gut. Sie wollte ja auch den Reichstag nicht um¬
gehen. Sie hielt sich aber für berechtigt, im Interesse der Sache von der
Einholung der Zustimmungserklärung für deu Augenblick abzusehen, in der
festen Voraussicht, daß ihr die spätere Genehmigung dazu nicht fehlen würde.
Sie durfte annehmen, daß vernünftige Menschen ein solches im Interesse der
Sache geübtes Vorgehen nicht als eine Verletzung ihrer Rechte betrachten würden.
Was hätte wohl die Regierung dabei gehabt, eine Verfassungsverletzung dieser
Art vom Zaune zu brechen? Sie erlangte ja durch Inkraftsetzung des Ver¬
trags keine größere Machtvollkommenheit! Im Gegenteil, sie gab in den herab¬
gesetzten Zöllen erhebliche Reichseinkünfte aus, alles nur um unsrer Industrie
augenblicklich zu helfen. Das Verfahren der Negierung war also ein durchaus
patriotisches.

Nun erschollen aber von manchen Seiten Stimmen, welche die "Ver-
fassungsverletznng" betonten. Als diese Stimmen sich mehrten, sagte der Reichs- "
kcmzler: "Gut, wir wollen alsbald den Reichstag berufen; dann ist die Sache
abgemacht!" Überdies war jetzt, Eude August, schon eher auf einen beschlu߬
fähigen Reichstag zu rechnen. Der Reichstag kam, und zwar in zureichender
Anzahl. Die Presse hatte aber doch vorher nötig befunden, die Mitglieder
dringend an ihre Pflicht zu mahnen. Die Regierung trat vor deu Reichstag,
erläuterte ihr Verfahren, machte gar kein Hehl daraus, daß sie von der Form
der Verfassung abgewichen sei, sprach aber die Erwartung aus, daß der Reichstag
ihr dafür Indemnität erteilen werde. Wenn eine Regierung bei der Volks-
vertretung um Indemnität nachsucht, so heißt das uicht, daß sie um Verzeihung
bitte für eine verübte Schlechtigkeit, sondern sie verlangt Gutheißung einer, der
Form nach allerdings inkorrekten, der Sache nach aber verständigen und nütz¬
lichen Maßregel. So trat die Regierung wie ein offener, redlicher und ver¬
ständiger Mann dem Reichstage gegenüber. Dem entsprach auch der erste Ein¬
druck, deu selbst die liberalen Parteien gewonnen hatten. Nicht allein die
"Nationalliberale Korrespondenz," sondern auch die "Liberale Korrespondenz"
(das Organ der Sezessionisten) erklärte durch das Auftreten der Regierung die
gefürchteten Schwierigkeiten für erledigt. Aber einige unsrer Parlamentsmusiker



*) Wir entnehmen diesen Ausdruck dem gemeinrechtlichen Institut der oxkoroüu.dio bons
wsnto tact". Wollte mau privatrechtliche Analogien gelten lassen, so könnten wir auch
die Handlung der Regierung als eine utili-z noZotiorum xostin bezeichnen.
Das kurze Parlament.

Regierung vollkommen gebilligt hatte. Man verhandelte also mit Spanien;
dieses stimmte ein, und am 9. August erging die Bekanntmachung, wonach die
Minderung der Zölle an den beiderseitigen Grenzen bereits am 12. August
eintrat. Man hat wohl gesagt, die Negierung habe hören Ms gehandelt. Nein,
es kommt ihr mehr zu statten: sie hat dana, neues gehandelt."') Daß der
Vertrag ohne Zustimmung des Reichstags keine rechtliche Giltigkeit habe, das
wußte die Regierung sehr gut. Sie wollte ja auch den Reichstag nicht um¬
gehen. Sie hielt sich aber für berechtigt, im Interesse der Sache von der
Einholung der Zustimmungserklärung für deu Augenblick abzusehen, in der
festen Voraussicht, daß ihr die spätere Genehmigung dazu nicht fehlen würde.
Sie durfte annehmen, daß vernünftige Menschen ein solches im Interesse der
Sache geübtes Vorgehen nicht als eine Verletzung ihrer Rechte betrachten würden.
Was hätte wohl die Regierung dabei gehabt, eine Verfassungsverletzung dieser
Art vom Zaune zu brechen? Sie erlangte ja durch Inkraftsetzung des Ver¬
trags keine größere Machtvollkommenheit! Im Gegenteil, sie gab in den herab¬
gesetzten Zöllen erhebliche Reichseinkünfte aus, alles nur um unsrer Industrie
augenblicklich zu helfen. Das Verfahren der Negierung war also ein durchaus
patriotisches.

Nun erschollen aber von manchen Seiten Stimmen, welche die „Ver-
fassungsverletznng" betonten. Als diese Stimmen sich mehrten, sagte der Reichs- "
kcmzler: „Gut, wir wollen alsbald den Reichstag berufen; dann ist die Sache
abgemacht!" Überdies war jetzt, Eude August, schon eher auf einen beschlu߬
fähigen Reichstag zu rechnen. Der Reichstag kam, und zwar in zureichender
Anzahl. Die Presse hatte aber doch vorher nötig befunden, die Mitglieder
dringend an ihre Pflicht zu mahnen. Die Regierung trat vor deu Reichstag,
erläuterte ihr Verfahren, machte gar kein Hehl daraus, daß sie von der Form
der Verfassung abgewichen sei, sprach aber die Erwartung aus, daß der Reichstag
ihr dafür Indemnität erteilen werde. Wenn eine Regierung bei der Volks-
vertretung um Indemnität nachsucht, so heißt das uicht, daß sie um Verzeihung
bitte für eine verübte Schlechtigkeit, sondern sie verlangt Gutheißung einer, der
Form nach allerdings inkorrekten, der Sache nach aber verständigen und nütz¬
lichen Maßregel. So trat die Regierung wie ein offener, redlicher und ver¬
ständiger Mann dem Reichstage gegenüber. Dem entsprach auch der erste Ein¬
druck, deu selbst die liberalen Parteien gewonnen hatten. Nicht allein die
„Nationalliberale Korrespondenz," sondern auch die „Liberale Korrespondenz"
(das Organ der Sezessionisten) erklärte durch das Auftreten der Regierung die
gefürchteten Schwierigkeiten für erledigt. Aber einige unsrer Parlamentsmusiker



*) Wir entnehmen diesen Ausdruck dem gemeinrechtlichen Institut der oxkoroüu.dio bons
wsnto tact«. Wollte mau privatrechtliche Analogien gelten lassen, so könnten wir auch
die Handlung der Regierung als eine utili-z noZotiorum xostin bezeichnen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/602>, abgerufen am 08.09.2024.