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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Krieg in Annain und Tonkin.

Diese Überzeugung, die zuerst von der englischen Presse ausgesprochen
wurde, wird jetzt auch in der französischen laut. Als vor einigen Monaten
Verstärkungen abgeschickt wurden, um Rivieres Tod zu rächen und das durch
dessen Niederlage geschädigte Ansehen Frankreichs in Ostasien wiederherzustellen,
meinte man, mit den Schwarzflaggen rasch fertig werden zu können. Vergebens
rieten Kenner der Verhältnisse zu einem erheblichem Nachschübe von Truppen,
als die Regierung sür genügend hielt. Jetzt dämmern dem Publikum die ersten
Umrisse der Schwierigkeiten auf, welche die Angelegenheit in Wahrheit hat, und
man fühlt sich über die Zukunft beunruhigt. So sagte in diesen Tagen der
Loir: "Unsre Lage im fernen Osten beansprucht die Aufmerksamkeit aller, denen
die höhern Interessen unsers Vaterlandes am Herzen liegen. Sie werden mit
uns der Meinung sein, daß wir uns nicht länger täuschen dürfen. Unsre Streit¬
macht in Tonkin ist nicht genügend stark." Das Blatt rät dann, sofort eine
weitere Brigade von 5000 Mann, zusammengesetzt aus drei Bataillonen der
leichten afrikanischen Infanterie und ebenso vielen Bataillonen der Fremdenlegion,
nach Tonkin abzusenden und zu gleicher Zeit das Hilfskorps der gelben Flagge
durch Werbung unter den wohlgesinnten Bewohnern Tonkins und Annäus,
sowie unter den Tagalen der Philippinen zu verstärken. Der ^sinps ist ähn¬
licher Ansicht, und noch eifriger, vielleicht zu eifrig und zu ängstlich, ist der
Isten'Äptis, der auf einmal, nicht tropfen- und bischenweise, eine bedeutende
Truppenmacht nach Tonkin abgeschickt sehen will. Er will aus bester Quelle
in Erfahrung gebracht haben, daß dort wenigstens 40 000, wo nicht gar 60-
bis 80 000 Chinesen gegen die Franzosen kämpfen, die allesamt wohlbewaffnet
und gut geübt sind -- sicher eine starke Übertreibung --, und er verlangt, daß
die französische Armee in Tonkin ohne Verzug auf die Stärke von mindestens
20 000 Mann gebracht werde, sonst würde man bald genötigt sein, mehr abzu¬
senden. Das wäre ein großes Opfer, aber die Regierung hätte sich die Kosten
überlegen sollen, als sie die Unterhandlungen mit China abgebrochen habe.
(Nach neueren Nachrichten wird die Regierung vorläufig nur 1500 Manu aus
Algerien nach Tonkin schicken.)

Gesetzt den Fall, der Nachfolger Tu Duks schließt mit den Franzosen Frieden,
die Gegner Frankreichs in Arran und Tonkin und die chinesische Regierung,
verweigern aber ihre Zustimmung, so wird die Einnahme der Forts am Hue-
stuß und der Hauptstadt Huc selbst nicht viel genutzt haben. Die strengste
Blockade wird die Anmänner zwar gewiß in unbequeme Lage bringen, aber
schwerlich zur Unterwerfung unter das Gesetz der Sieger. Es muß dann der
Angenblick eintreten, wo die Franzosen der Notwendigkeit ins Gesicht zu sehen
haben, in das Innere des Landes vorzudringen, und dann erst wird ihre eigent¬
liche Aufgabe beginnen. Thatsache ist, daß es auf Erden kaum ein ungesün¬
deres Land giebt als das, in welches die jungen französischen Soldaten sich dann
hineinwagen müßten. Es ist ein unermeßlicher Sumpf mit Marschen dazwischen,


Der Krieg in Annain und Tonkin.

Diese Überzeugung, die zuerst von der englischen Presse ausgesprochen
wurde, wird jetzt auch in der französischen laut. Als vor einigen Monaten
Verstärkungen abgeschickt wurden, um Rivieres Tod zu rächen und das durch
dessen Niederlage geschädigte Ansehen Frankreichs in Ostasien wiederherzustellen,
meinte man, mit den Schwarzflaggen rasch fertig werden zu können. Vergebens
rieten Kenner der Verhältnisse zu einem erheblichem Nachschübe von Truppen,
als die Regierung sür genügend hielt. Jetzt dämmern dem Publikum die ersten
Umrisse der Schwierigkeiten auf, welche die Angelegenheit in Wahrheit hat, und
man fühlt sich über die Zukunft beunruhigt. So sagte in diesen Tagen der
Loir: „Unsre Lage im fernen Osten beansprucht die Aufmerksamkeit aller, denen
die höhern Interessen unsers Vaterlandes am Herzen liegen. Sie werden mit
uns der Meinung sein, daß wir uns nicht länger täuschen dürfen. Unsre Streit¬
macht in Tonkin ist nicht genügend stark." Das Blatt rät dann, sofort eine
weitere Brigade von 5000 Mann, zusammengesetzt aus drei Bataillonen der
leichten afrikanischen Infanterie und ebenso vielen Bataillonen der Fremdenlegion,
nach Tonkin abzusenden und zu gleicher Zeit das Hilfskorps der gelben Flagge
durch Werbung unter den wohlgesinnten Bewohnern Tonkins und Annäus,
sowie unter den Tagalen der Philippinen zu verstärken. Der ^sinps ist ähn¬
licher Ansicht, und noch eifriger, vielleicht zu eifrig und zu ängstlich, ist der
Isten'Äptis, der auf einmal, nicht tropfen- und bischenweise, eine bedeutende
Truppenmacht nach Tonkin abgeschickt sehen will. Er will aus bester Quelle
in Erfahrung gebracht haben, daß dort wenigstens 40 000, wo nicht gar 60-
bis 80 000 Chinesen gegen die Franzosen kämpfen, die allesamt wohlbewaffnet
und gut geübt sind — sicher eine starke Übertreibung —, und er verlangt, daß
die französische Armee in Tonkin ohne Verzug auf die Stärke von mindestens
20 000 Mann gebracht werde, sonst würde man bald genötigt sein, mehr abzu¬
senden. Das wäre ein großes Opfer, aber die Regierung hätte sich die Kosten
überlegen sollen, als sie die Unterhandlungen mit China abgebrochen habe.
(Nach neueren Nachrichten wird die Regierung vorläufig nur 1500 Manu aus
Algerien nach Tonkin schicken.)

Gesetzt den Fall, der Nachfolger Tu Duks schließt mit den Franzosen Frieden,
die Gegner Frankreichs in Arran und Tonkin und die chinesische Regierung,
verweigern aber ihre Zustimmung, so wird die Einnahme der Forts am Hue-
stuß und der Hauptstadt Huc selbst nicht viel genutzt haben. Die strengste
Blockade wird die Anmänner zwar gewiß in unbequeme Lage bringen, aber
schwerlich zur Unterwerfung unter das Gesetz der Sieger. Es muß dann der
Angenblick eintreten, wo die Franzosen der Notwendigkeit ins Gesicht zu sehen
haben, in das Innere des Landes vorzudringen, und dann erst wird ihre eigent¬
liche Aufgabe beginnen. Thatsache ist, daß es auf Erden kaum ein ungesün¬
deres Land giebt als das, in welches die jungen französischen Soldaten sich dann
hineinwagen müßten. Es ist ein unermeßlicher Sumpf mit Marschen dazwischen,


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[0581] Der Krieg in Annain und Tonkin. Diese Überzeugung, die zuerst von der englischen Presse ausgesprochen wurde, wird jetzt auch in der französischen laut. Als vor einigen Monaten Verstärkungen abgeschickt wurden, um Rivieres Tod zu rächen und das durch dessen Niederlage geschädigte Ansehen Frankreichs in Ostasien wiederherzustellen, meinte man, mit den Schwarzflaggen rasch fertig werden zu können. Vergebens rieten Kenner der Verhältnisse zu einem erheblichem Nachschübe von Truppen, als die Regierung sür genügend hielt. Jetzt dämmern dem Publikum die ersten Umrisse der Schwierigkeiten auf, welche die Angelegenheit in Wahrheit hat, und man fühlt sich über die Zukunft beunruhigt. So sagte in diesen Tagen der Loir: „Unsre Lage im fernen Osten beansprucht die Aufmerksamkeit aller, denen die höhern Interessen unsers Vaterlandes am Herzen liegen. Sie werden mit uns der Meinung sein, daß wir uns nicht länger täuschen dürfen. Unsre Streit¬ macht in Tonkin ist nicht genügend stark." Das Blatt rät dann, sofort eine weitere Brigade von 5000 Mann, zusammengesetzt aus drei Bataillonen der leichten afrikanischen Infanterie und ebenso vielen Bataillonen der Fremdenlegion, nach Tonkin abzusenden und zu gleicher Zeit das Hilfskorps der gelben Flagge durch Werbung unter den wohlgesinnten Bewohnern Tonkins und Annäus, sowie unter den Tagalen der Philippinen zu verstärken. Der ^sinps ist ähn¬ licher Ansicht, und noch eifriger, vielleicht zu eifrig und zu ängstlich, ist der Isten'Äptis, der auf einmal, nicht tropfen- und bischenweise, eine bedeutende Truppenmacht nach Tonkin abgeschickt sehen will. Er will aus bester Quelle in Erfahrung gebracht haben, daß dort wenigstens 40 000, wo nicht gar 60- bis 80 000 Chinesen gegen die Franzosen kämpfen, die allesamt wohlbewaffnet und gut geübt sind — sicher eine starke Übertreibung —, und er verlangt, daß die französische Armee in Tonkin ohne Verzug auf die Stärke von mindestens 20 000 Mann gebracht werde, sonst würde man bald genötigt sein, mehr abzu¬ senden. Das wäre ein großes Opfer, aber die Regierung hätte sich die Kosten überlegen sollen, als sie die Unterhandlungen mit China abgebrochen habe. (Nach neueren Nachrichten wird die Regierung vorläufig nur 1500 Manu aus Algerien nach Tonkin schicken.) Gesetzt den Fall, der Nachfolger Tu Duks schließt mit den Franzosen Frieden, die Gegner Frankreichs in Arran und Tonkin und die chinesische Regierung, verweigern aber ihre Zustimmung, so wird die Einnahme der Forts am Hue- stuß und der Hauptstadt Huc selbst nicht viel genutzt haben. Die strengste Blockade wird die Anmänner zwar gewiß in unbequeme Lage bringen, aber schwerlich zur Unterwerfung unter das Gesetz der Sieger. Es muß dann der Angenblick eintreten, wo die Franzosen der Notwendigkeit ins Gesicht zu sehen haben, in das Innere des Landes vorzudringen, und dann erst wird ihre eigent¬ liche Aufgabe beginnen. Thatsache ist, daß es auf Erden kaum ein ungesün¬ deres Land giebt als das, in welches die jungen französischen Soldaten sich dann hineinwagen müßten. Es ist ein unermeßlicher Sumpf mit Marschen dazwischen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/581>, abgerufen am 08.09.2024.