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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Dilettantismus als Restaurator.

hat bisher kein Auge beleidigt, und die einstigen Fresken ruft kein Regenerations¬
verfahren wieder hervor. Ohne alle Not will man ihm zu Leibe gehen.

Das dünkt uns unerlaubt. Schlimm genug, daß die Vergänglichkeit des
Stoffes uns häufig zwingt, auf die Erhaltung von Werken der Vergangenheit
zu verzichten; schlimm genug, daß dem Götzen Verkehr so zahlreiche Opfer
gebracht werden müssen; schlimm genug, daß das -- wohl manchmal über die
Grenze des notwendigen hinausgehende -- Überarbeiten der verwitterten Ober¬
fläche von Bildhauer- und Steinmetzstücken endlich zur Zerstörung der Originale
werden muß; schlimm genug, daß so oft ein alter Körper nur durch das An-
oder Einsetzen neuer Glieder, Knochen- und Fleischteile, gerettet werden kann.
Man soll aber nicht ohne Not restauriren. Denn restauriren heißt wiederher¬
stellen, das Zerstörte ersetzen, das Schadhafte ergänzen, das Wankende stützen,
immer so gut und treu als irgend möglich. Die Pedanterie, welche jetzt die
Hand im Spiele zu haben pflegt, wird unsre Zeit nicht gegen dieselben Vor¬
würfe sichern, welche wir gegen die Frivolität des Jesuiteuzeitalters erheben.

Und der Fälle, welche dein Breslauer ähneln, giebt ec, gewiß unzählige.
Bleiben sie unbekannt, weil die Objekte von geringerer Bedeutung für das
Allgemeine sind, so hat doch jede Dorfkirche, an welcher ein halbgebildeter Pfarrer
Vivisektion probirt, die gleiche Bedeutung für ihren Ort. Vorgebeugt werden
kann dem weitern Umsichgreifen der dilettantischen Restanrirwut nur durch
gesetzliche Bestimmungen, welche dem ja immer wohlmeinenden Eifer Schranken
setzen. Sämtliche Faktoren der Gesetzgebung in Deutschland haben in neuerer
Zeit reichlich bewiesen, wie hoch sie den ethischen, politischen und volkswirt¬
schaftlichen Wert der Kunstpflege schätzen. Sie können sich der Einsicht nicht
verschließen, daß das öffentliche Interesse die Schaffung einer durch ihre Organi¬
sation sich über das ganze Land ausbreitenden, aus Fachmännern jeder Kategorie
zusammengesetzten Behörde erheischt, ohne deren Zustimmung nicht an die Denk¬
mäler gerührt werden dürfte. Je mehr Menschen sich durch die Lektüre des
"kleinen Lübke" die Befähigung erworben zu haben meinen, in künstlerischen
Angelegenheiten mitzureden, je starrköpfiger auf der andern Seite viele Künstler
auf das Recht des Lebenden pochen, umso weniger duldet die Sache Aufschub.
Und ist einmal die gesetzliche Instanz für diese Fragen vorhanden, so wird sich
auch erwägen lassen, wie dem Verschleppen von Kunstwerken wenigstens einiger¬
maßen Einhalt geboten werden könnte.




Der Dilettantismus als Restaurator.

hat bisher kein Auge beleidigt, und die einstigen Fresken ruft kein Regenerations¬
verfahren wieder hervor. Ohne alle Not will man ihm zu Leibe gehen.

Das dünkt uns unerlaubt. Schlimm genug, daß die Vergänglichkeit des
Stoffes uns häufig zwingt, auf die Erhaltung von Werken der Vergangenheit
zu verzichten; schlimm genug, daß dem Götzen Verkehr so zahlreiche Opfer
gebracht werden müssen; schlimm genug, daß das — wohl manchmal über die
Grenze des notwendigen hinausgehende — Überarbeiten der verwitterten Ober¬
fläche von Bildhauer- und Steinmetzstücken endlich zur Zerstörung der Originale
werden muß; schlimm genug, daß so oft ein alter Körper nur durch das An-
oder Einsetzen neuer Glieder, Knochen- und Fleischteile, gerettet werden kann.
Man soll aber nicht ohne Not restauriren. Denn restauriren heißt wiederher¬
stellen, das Zerstörte ersetzen, das Schadhafte ergänzen, das Wankende stützen,
immer so gut und treu als irgend möglich. Die Pedanterie, welche jetzt die
Hand im Spiele zu haben pflegt, wird unsre Zeit nicht gegen dieselben Vor¬
würfe sichern, welche wir gegen die Frivolität des Jesuiteuzeitalters erheben.

Und der Fälle, welche dein Breslauer ähneln, giebt ec, gewiß unzählige.
Bleiben sie unbekannt, weil die Objekte von geringerer Bedeutung für das
Allgemeine sind, so hat doch jede Dorfkirche, an welcher ein halbgebildeter Pfarrer
Vivisektion probirt, die gleiche Bedeutung für ihren Ort. Vorgebeugt werden
kann dem weitern Umsichgreifen der dilettantischen Restanrirwut nur durch
gesetzliche Bestimmungen, welche dem ja immer wohlmeinenden Eifer Schranken
setzen. Sämtliche Faktoren der Gesetzgebung in Deutschland haben in neuerer
Zeit reichlich bewiesen, wie hoch sie den ethischen, politischen und volkswirt¬
schaftlichen Wert der Kunstpflege schätzen. Sie können sich der Einsicht nicht
verschließen, daß das öffentliche Interesse die Schaffung einer durch ihre Organi¬
sation sich über das ganze Land ausbreitenden, aus Fachmännern jeder Kategorie
zusammengesetzten Behörde erheischt, ohne deren Zustimmung nicht an die Denk¬
mäler gerührt werden dürfte. Je mehr Menschen sich durch die Lektüre des
„kleinen Lübke" die Befähigung erworben zu haben meinen, in künstlerischen
Angelegenheiten mitzureden, je starrköpfiger auf der andern Seite viele Künstler
auf das Recht des Lebenden pochen, umso weniger duldet die Sache Aufschub.
Und ist einmal die gesetzliche Instanz für diese Fragen vorhanden, so wird sich
auch erwägen lassen, wie dem Verschleppen von Kunstwerken wenigstens einiger¬
maßen Einhalt geboten werden könnte.




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[0575] Der Dilettantismus als Restaurator. hat bisher kein Auge beleidigt, und die einstigen Fresken ruft kein Regenerations¬ verfahren wieder hervor. Ohne alle Not will man ihm zu Leibe gehen. Das dünkt uns unerlaubt. Schlimm genug, daß die Vergänglichkeit des Stoffes uns häufig zwingt, auf die Erhaltung von Werken der Vergangenheit zu verzichten; schlimm genug, daß dem Götzen Verkehr so zahlreiche Opfer gebracht werden müssen; schlimm genug, daß das — wohl manchmal über die Grenze des notwendigen hinausgehende — Überarbeiten der verwitterten Ober¬ fläche von Bildhauer- und Steinmetzstücken endlich zur Zerstörung der Originale werden muß; schlimm genug, daß so oft ein alter Körper nur durch das An- oder Einsetzen neuer Glieder, Knochen- und Fleischteile, gerettet werden kann. Man soll aber nicht ohne Not restauriren. Denn restauriren heißt wiederher¬ stellen, das Zerstörte ersetzen, das Schadhafte ergänzen, das Wankende stützen, immer so gut und treu als irgend möglich. Die Pedanterie, welche jetzt die Hand im Spiele zu haben pflegt, wird unsre Zeit nicht gegen dieselben Vor¬ würfe sichern, welche wir gegen die Frivolität des Jesuiteuzeitalters erheben. Und der Fälle, welche dein Breslauer ähneln, giebt ec, gewiß unzählige. Bleiben sie unbekannt, weil die Objekte von geringerer Bedeutung für das Allgemeine sind, so hat doch jede Dorfkirche, an welcher ein halbgebildeter Pfarrer Vivisektion probirt, die gleiche Bedeutung für ihren Ort. Vorgebeugt werden kann dem weitern Umsichgreifen der dilettantischen Restanrirwut nur durch gesetzliche Bestimmungen, welche dem ja immer wohlmeinenden Eifer Schranken setzen. Sämtliche Faktoren der Gesetzgebung in Deutschland haben in neuerer Zeit reichlich bewiesen, wie hoch sie den ethischen, politischen und volkswirt¬ schaftlichen Wert der Kunstpflege schätzen. Sie können sich der Einsicht nicht verschließen, daß das öffentliche Interesse die Schaffung einer durch ihre Organi¬ sation sich über das ganze Land ausbreitenden, aus Fachmännern jeder Kategorie zusammengesetzten Behörde erheischt, ohne deren Zustimmung nicht an die Denk¬ mäler gerührt werden dürfte. Je mehr Menschen sich durch die Lektüre des „kleinen Lübke" die Befähigung erworben zu haben meinen, in künstlerischen Angelegenheiten mitzureden, je starrköpfiger auf der andern Seite viele Künstler auf das Recht des Lebenden pochen, umso weniger duldet die Sache Aufschub. Und ist einmal die gesetzliche Instanz für diese Fragen vorhanden, so wird sich auch erwägen lassen, wie dem Verschleppen von Kunstwerken wenigstens einiger¬ maßen Einhalt geboten werden könnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/575>, abgerufen am 08.09.2024.