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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Anno Fischer u>it sein Kant.

taten Realisten zu bekämpfen, d. h. diejenigen Philosophen, welche alle Gegen¬
stände der Erfahrung als Ding an sich und von unsrer Sinnlichkeit unabhängig
erkennen wollten, lehrte Kant, daß alle äußern Dinge nur dadurch für uns
erkennbar werden, daß sie unsre Vorstellungen werden, mithin sich den Gesetzen
unsrer Sinnlichkeit und unsers Verstandes unterwerfen müssen. Alles was wir
im Gebiete der Erfahrung überhaupt erkennen, muß unsre Vorstellung sein,
und kann niemals ein Ding an sich sein im Sinne des transcendentalen Rea¬
lismus. Berechtigt ist nur der empirische Realismus, welcher aber wohl weiß,
daß alle äußern Dinge bloß als unsre Vorstellungen betrachtet werden müssen,
und welcher deswegen mit dem transcendentalen Idealismus Hand in Hand
geht. Diese Lehre wurde nun mißverstanden bis auf den heutigen Tag und
mit dem empirischen Idealismus, der überhaupt das Dasein aller äußern Dinge
bezweifelt, verwechselt. Wenn jemand Kant so versteht wie heutzutage noch
Kuno Fischer, daß er meint, die Gegenstände der Erfahrung seien durchgängig
nur ideal, und ihr ganzes Sein bestehe im Vorgestelltsein durch die menschliche
Vernunft, dann ist Kant für ihn dem subjektiven oder empirischen Idealismus
verfallen. Um diese Mißverständnisse und diese Gegner zu widerlegen, fügte
Kant der zweiten Auflage seiner Vernunftkritik die Widerlegung des Idealismus
ein, womit er natürlich den subjektiven oder empirischen und nicht den transcenden¬
talen Idealismus meinte. Da kam es ihm darauf an, zu zeigen, daß seine
Meinung niemals gewesen sei, die realen Dinge der Erfahrung feien nur Produkte
unsres Vorstellungsvermögens, sondern sie seien wirkliche reale Dinge außer uns,
ohne welche wir gar keine Erfahrung, nicht einmal durch deu innern Sinn,
geschweige denn durch den äußern Sinn, machen könnten. Da er so ganz ver-
schiedne Gegner, den transcendentalen Realismus und den subjektiven Idealismus,
zu bekämpfen hatte, die Worte aber, auf die es hauptsächlich ankam, Vorstellung
sowohl wie Dinge außer uns, in sehr verschiednen Sinne gebraucht werde"
können, so ist es kein Wunder, daß man Sätze aus den verschiednen Kapiteln
einander gegenüberstellen kann, die sich buchstäblich widersprechen, ohne daß
der Sinn, wenn man ihn recht versteht, sich widerspricht. Kuno Fischer aber
glaubte durch eine solche Zusammenstellung den Beweis führen zu können, daß
sich Kant in der Sache selbst widersprochen habe.

Die frappanteste Stelle aus der ersten Auflage, die Fischer anführt, heißt:
"Denn weitgefehlt, daß nach demselben ^VernnnftbegrW einige Furcht übrig bliebe,
daß, wenn man die Materie wegnähme, dadurch alles Denken und selbst die
Existenz denkender Wesen aufgehoben werden würde, so wird vielmehr klar gezeigt,
daß, wenn ich das denkende Subjekt wegnehme, die ganze Körperwelt wegfallen
muß, die nichts ist, als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unsres Subjekts
und eine Art Vorstellungen desselben." Dem gegenüber bringt er die Stelle
der zweiten Auflage: "Also ist die Wahrnehmung dieses Beharrlichen ster
Materie^ nur durch ein Ding außer mir und nicht durch die bloße Vorstellung


Anno Fischer u>it sein Kant.

taten Realisten zu bekämpfen, d. h. diejenigen Philosophen, welche alle Gegen¬
stände der Erfahrung als Ding an sich und von unsrer Sinnlichkeit unabhängig
erkennen wollten, lehrte Kant, daß alle äußern Dinge nur dadurch für uns
erkennbar werden, daß sie unsre Vorstellungen werden, mithin sich den Gesetzen
unsrer Sinnlichkeit und unsers Verstandes unterwerfen müssen. Alles was wir
im Gebiete der Erfahrung überhaupt erkennen, muß unsre Vorstellung sein,
und kann niemals ein Ding an sich sein im Sinne des transcendentalen Rea¬
lismus. Berechtigt ist nur der empirische Realismus, welcher aber wohl weiß,
daß alle äußern Dinge bloß als unsre Vorstellungen betrachtet werden müssen,
und welcher deswegen mit dem transcendentalen Idealismus Hand in Hand
geht. Diese Lehre wurde nun mißverstanden bis auf den heutigen Tag und
mit dem empirischen Idealismus, der überhaupt das Dasein aller äußern Dinge
bezweifelt, verwechselt. Wenn jemand Kant so versteht wie heutzutage noch
Kuno Fischer, daß er meint, die Gegenstände der Erfahrung seien durchgängig
nur ideal, und ihr ganzes Sein bestehe im Vorgestelltsein durch die menschliche
Vernunft, dann ist Kant für ihn dem subjektiven oder empirischen Idealismus
verfallen. Um diese Mißverständnisse und diese Gegner zu widerlegen, fügte
Kant der zweiten Auflage seiner Vernunftkritik die Widerlegung des Idealismus
ein, womit er natürlich den subjektiven oder empirischen und nicht den transcenden¬
talen Idealismus meinte. Da kam es ihm darauf an, zu zeigen, daß seine
Meinung niemals gewesen sei, die realen Dinge der Erfahrung feien nur Produkte
unsres Vorstellungsvermögens, sondern sie seien wirkliche reale Dinge außer uns,
ohne welche wir gar keine Erfahrung, nicht einmal durch deu innern Sinn,
geschweige denn durch den äußern Sinn, machen könnten. Da er so ganz ver-
schiedne Gegner, den transcendentalen Realismus und den subjektiven Idealismus,
zu bekämpfen hatte, die Worte aber, auf die es hauptsächlich ankam, Vorstellung
sowohl wie Dinge außer uns, in sehr verschiednen Sinne gebraucht werde»
können, so ist es kein Wunder, daß man Sätze aus den verschiednen Kapiteln
einander gegenüberstellen kann, die sich buchstäblich widersprechen, ohne daß
der Sinn, wenn man ihn recht versteht, sich widerspricht. Kuno Fischer aber
glaubte durch eine solche Zusammenstellung den Beweis führen zu können, daß
sich Kant in der Sache selbst widersprochen habe.

Die frappanteste Stelle aus der ersten Auflage, die Fischer anführt, heißt:
„Denn weitgefehlt, daß nach demselben ^VernnnftbegrW einige Furcht übrig bliebe,
daß, wenn man die Materie wegnähme, dadurch alles Denken und selbst die
Existenz denkender Wesen aufgehoben werden würde, so wird vielmehr klar gezeigt,
daß, wenn ich das denkende Subjekt wegnehme, die ganze Körperwelt wegfallen
muß, die nichts ist, als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unsres Subjekts
und eine Art Vorstellungen desselben." Dem gegenüber bringt er die Stelle
der zweiten Auflage: „Also ist die Wahrnehmung dieses Beharrlichen ster
Materie^ nur durch ein Ding außer mir und nicht durch die bloße Vorstellung


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[0567] Anno Fischer u>it sein Kant. taten Realisten zu bekämpfen, d. h. diejenigen Philosophen, welche alle Gegen¬ stände der Erfahrung als Ding an sich und von unsrer Sinnlichkeit unabhängig erkennen wollten, lehrte Kant, daß alle äußern Dinge nur dadurch für uns erkennbar werden, daß sie unsre Vorstellungen werden, mithin sich den Gesetzen unsrer Sinnlichkeit und unsers Verstandes unterwerfen müssen. Alles was wir im Gebiete der Erfahrung überhaupt erkennen, muß unsre Vorstellung sein, und kann niemals ein Ding an sich sein im Sinne des transcendentalen Rea¬ lismus. Berechtigt ist nur der empirische Realismus, welcher aber wohl weiß, daß alle äußern Dinge bloß als unsre Vorstellungen betrachtet werden müssen, und welcher deswegen mit dem transcendentalen Idealismus Hand in Hand geht. Diese Lehre wurde nun mißverstanden bis auf den heutigen Tag und mit dem empirischen Idealismus, der überhaupt das Dasein aller äußern Dinge bezweifelt, verwechselt. Wenn jemand Kant so versteht wie heutzutage noch Kuno Fischer, daß er meint, die Gegenstände der Erfahrung seien durchgängig nur ideal, und ihr ganzes Sein bestehe im Vorgestelltsein durch die menschliche Vernunft, dann ist Kant für ihn dem subjektiven oder empirischen Idealismus verfallen. Um diese Mißverständnisse und diese Gegner zu widerlegen, fügte Kant der zweiten Auflage seiner Vernunftkritik die Widerlegung des Idealismus ein, womit er natürlich den subjektiven oder empirischen und nicht den transcenden¬ talen Idealismus meinte. Da kam es ihm darauf an, zu zeigen, daß seine Meinung niemals gewesen sei, die realen Dinge der Erfahrung feien nur Produkte unsres Vorstellungsvermögens, sondern sie seien wirkliche reale Dinge außer uns, ohne welche wir gar keine Erfahrung, nicht einmal durch deu innern Sinn, geschweige denn durch den äußern Sinn, machen könnten. Da er so ganz ver- schiedne Gegner, den transcendentalen Realismus und den subjektiven Idealismus, zu bekämpfen hatte, die Worte aber, auf die es hauptsächlich ankam, Vorstellung sowohl wie Dinge außer uns, in sehr verschiednen Sinne gebraucht werde» können, so ist es kein Wunder, daß man Sätze aus den verschiednen Kapiteln einander gegenüberstellen kann, die sich buchstäblich widersprechen, ohne daß der Sinn, wenn man ihn recht versteht, sich widerspricht. Kuno Fischer aber glaubte durch eine solche Zusammenstellung den Beweis führen zu können, daß sich Kant in der Sache selbst widersprochen habe. Die frappanteste Stelle aus der ersten Auflage, die Fischer anführt, heißt: „Denn weitgefehlt, daß nach demselben ^VernnnftbegrW einige Furcht übrig bliebe, daß, wenn man die Materie wegnähme, dadurch alles Denken und selbst die Existenz denkender Wesen aufgehoben werden würde, so wird vielmehr klar gezeigt, daß, wenn ich das denkende Subjekt wegnehme, die ganze Körperwelt wegfallen muß, die nichts ist, als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unsres Subjekts und eine Art Vorstellungen desselben." Dem gegenüber bringt er die Stelle der zweiten Auflage: „Also ist die Wahrnehmung dieses Beharrlichen ster Materie^ nur durch ein Ding außer mir und nicht durch die bloße Vorstellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/567>, abgerufen am 08.09.2024.