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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Kuno L'scher und sein Kant.

Wenn die Naturwissenschaft die Gegenstände der Erfahrung als Gegenstände
an sich selbst betrachtet, ohne sich um den ersten Grund ihrer Möglichkeit als
Erscheinungen zu bekümmern, wenn wir z. B. den Regenbogen eine bloße Er¬
scheinung bei einem Sommerregeu nennen, diesen Regen aber die Sache an sich
selbst, so ist das nicht unrichtig; aber es sind dann immer Dinge, Gegenstände
oder Sachen im empirischen Sinne, und erst wenn wir weiter fragen, wie das
Empirische überhaupt zustande komme, ob es an sich und unabhängig von unsrer
Vorstellung existire, oder ob es den Formen unsrer Sinnlichkeit unterworfen
und folglich nur Erscheinung sei, ist diese Frage von der Beziehung der Vor¬
stellung auf den Gegenstand transcendental, und es wird der Begriff eines tran¬
scendentalen Gegenstandes notwendig. Das ist nun das vieldeutige Wort, für
welches darum so schwer ein einheitlicher Sinn festzuhalten ist, weil es nichts
Erfahrungsmäßiges, sondern etwas Transcendentales bezeichnet, d. i. eine Be¬
dingung zur Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Hier kann man nicht wie
bei dem Ding an sich sagen, daß es garnichts sei, sondern nur, daß es nichts
Empirisches sei, wohl aber für die Möglichkeit der Erfahrung notwendig vor¬
ausgesetzt werden müsse. Da also dieser transcendentale Gegenstand ebenso wie
das transcendentale Substrat aller Erscheinungen oder das transcendentale Objekt
nur von uns gedacht und nicht angeschaut, unser Verstand bei diesem Begriff
nicht durch die Sinnlichkeit in gewissen Grenzen gehalten wird, so ist es leicht,
ihm verschiedenartige Eigenschaften beizulegen, je nachdem man in verschiednen
Beziehungen von ihm Gebrauch machen will. Im allgemeinen hält Kant jedoch
daran fest, daß man von dem, was kein Gegenstand der Erfahrung, sondern
nur ein Gedanke in uns ist, garnichts aussagen kann, daß es uns gänzlich
unbekannt bleiben muß, und wir garnicht sagen können, was es thun oder lassen
kann, ob es einheitlich oder zusammengesetzt sei, ob es Ursache für Erscheinungen
sein könne oder nicht. Setzt er es in Beziehung zu den Erscheinungen äußerer
Sinne, so braucht er vorzugsweise den Ausdruck transcendentales Objekt oder
Substrat, ausnahmsweise und nur bei polemischen Gelegenheiten, wie in der
Entgegnung gegen Eberhard, nennt er es auch Gegenstand an sich selbst. Den
Ausdruck transcendentaler Gegenstand braucht er vorzugsweise dann, wenn er
die Beziehung auf unser Erkenntnisvermögen hervorheben will, wo es dann die
transcendentale Form der Gegenständlichkeit überhaupt bedeutet. Durchaus
konsequent durchgeführt aber ist die Unterscheidung des transcendentalen Gegen¬
standes von Dingen außer uns, d. i. von Gegenständen, welche im Raum an¬
zutreffen sind.

Diese von Kant in der ersten wie in der zweiten Auflage festgehaltene
Konsequenz ist es nun, die Kuno Fischer leugnet; weil er von dem empirischen
Realismus Kants eine ganz falsche Vorstellung hat, darum kaun er die schein¬
baren Widersprüche im buchstäblichen Ausdruck der ersten und zweiten Auflage
nicht begreifen. In der ersten Auflage, wo es darauf ankam, die trcmscenden-


Kuno L'scher und sein Kant.

Wenn die Naturwissenschaft die Gegenstände der Erfahrung als Gegenstände
an sich selbst betrachtet, ohne sich um den ersten Grund ihrer Möglichkeit als
Erscheinungen zu bekümmern, wenn wir z. B. den Regenbogen eine bloße Er¬
scheinung bei einem Sommerregeu nennen, diesen Regen aber die Sache an sich
selbst, so ist das nicht unrichtig; aber es sind dann immer Dinge, Gegenstände
oder Sachen im empirischen Sinne, und erst wenn wir weiter fragen, wie das
Empirische überhaupt zustande komme, ob es an sich und unabhängig von unsrer
Vorstellung existire, oder ob es den Formen unsrer Sinnlichkeit unterworfen
und folglich nur Erscheinung sei, ist diese Frage von der Beziehung der Vor¬
stellung auf den Gegenstand transcendental, und es wird der Begriff eines tran¬
scendentalen Gegenstandes notwendig. Das ist nun das vieldeutige Wort, für
welches darum so schwer ein einheitlicher Sinn festzuhalten ist, weil es nichts
Erfahrungsmäßiges, sondern etwas Transcendentales bezeichnet, d. i. eine Be¬
dingung zur Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Hier kann man nicht wie
bei dem Ding an sich sagen, daß es garnichts sei, sondern nur, daß es nichts
Empirisches sei, wohl aber für die Möglichkeit der Erfahrung notwendig vor¬
ausgesetzt werden müsse. Da also dieser transcendentale Gegenstand ebenso wie
das transcendentale Substrat aller Erscheinungen oder das transcendentale Objekt
nur von uns gedacht und nicht angeschaut, unser Verstand bei diesem Begriff
nicht durch die Sinnlichkeit in gewissen Grenzen gehalten wird, so ist es leicht,
ihm verschiedenartige Eigenschaften beizulegen, je nachdem man in verschiednen
Beziehungen von ihm Gebrauch machen will. Im allgemeinen hält Kant jedoch
daran fest, daß man von dem, was kein Gegenstand der Erfahrung, sondern
nur ein Gedanke in uns ist, garnichts aussagen kann, daß es uns gänzlich
unbekannt bleiben muß, und wir garnicht sagen können, was es thun oder lassen
kann, ob es einheitlich oder zusammengesetzt sei, ob es Ursache für Erscheinungen
sein könne oder nicht. Setzt er es in Beziehung zu den Erscheinungen äußerer
Sinne, so braucht er vorzugsweise den Ausdruck transcendentales Objekt oder
Substrat, ausnahmsweise und nur bei polemischen Gelegenheiten, wie in der
Entgegnung gegen Eberhard, nennt er es auch Gegenstand an sich selbst. Den
Ausdruck transcendentaler Gegenstand braucht er vorzugsweise dann, wenn er
die Beziehung auf unser Erkenntnisvermögen hervorheben will, wo es dann die
transcendentale Form der Gegenständlichkeit überhaupt bedeutet. Durchaus
konsequent durchgeführt aber ist die Unterscheidung des transcendentalen Gegen¬
standes von Dingen außer uns, d. i. von Gegenständen, welche im Raum an¬
zutreffen sind.

Diese von Kant in der ersten wie in der zweiten Auflage festgehaltene
Konsequenz ist es nun, die Kuno Fischer leugnet; weil er von dem empirischen
Realismus Kants eine ganz falsche Vorstellung hat, darum kaun er die schein¬
baren Widersprüche im buchstäblichen Ausdruck der ersten und zweiten Auflage
nicht begreifen. In der ersten Auflage, wo es darauf ankam, die trcmscenden-


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[0566] Kuno L'scher und sein Kant. Wenn die Naturwissenschaft die Gegenstände der Erfahrung als Gegenstände an sich selbst betrachtet, ohne sich um den ersten Grund ihrer Möglichkeit als Erscheinungen zu bekümmern, wenn wir z. B. den Regenbogen eine bloße Er¬ scheinung bei einem Sommerregeu nennen, diesen Regen aber die Sache an sich selbst, so ist das nicht unrichtig; aber es sind dann immer Dinge, Gegenstände oder Sachen im empirischen Sinne, und erst wenn wir weiter fragen, wie das Empirische überhaupt zustande komme, ob es an sich und unabhängig von unsrer Vorstellung existire, oder ob es den Formen unsrer Sinnlichkeit unterworfen und folglich nur Erscheinung sei, ist diese Frage von der Beziehung der Vor¬ stellung auf den Gegenstand transcendental, und es wird der Begriff eines tran¬ scendentalen Gegenstandes notwendig. Das ist nun das vieldeutige Wort, für welches darum so schwer ein einheitlicher Sinn festzuhalten ist, weil es nichts Erfahrungsmäßiges, sondern etwas Transcendentales bezeichnet, d. i. eine Be¬ dingung zur Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Hier kann man nicht wie bei dem Ding an sich sagen, daß es garnichts sei, sondern nur, daß es nichts Empirisches sei, wohl aber für die Möglichkeit der Erfahrung notwendig vor¬ ausgesetzt werden müsse. Da also dieser transcendentale Gegenstand ebenso wie das transcendentale Substrat aller Erscheinungen oder das transcendentale Objekt nur von uns gedacht und nicht angeschaut, unser Verstand bei diesem Begriff nicht durch die Sinnlichkeit in gewissen Grenzen gehalten wird, so ist es leicht, ihm verschiedenartige Eigenschaften beizulegen, je nachdem man in verschiednen Beziehungen von ihm Gebrauch machen will. Im allgemeinen hält Kant jedoch daran fest, daß man von dem, was kein Gegenstand der Erfahrung, sondern nur ein Gedanke in uns ist, garnichts aussagen kann, daß es uns gänzlich unbekannt bleiben muß, und wir garnicht sagen können, was es thun oder lassen kann, ob es einheitlich oder zusammengesetzt sei, ob es Ursache für Erscheinungen sein könne oder nicht. Setzt er es in Beziehung zu den Erscheinungen äußerer Sinne, so braucht er vorzugsweise den Ausdruck transcendentales Objekt oder Substrat, ausnahmsweise und nur bei polemischen Gelegenheiten, wie in der Entgegnung gegen Eberhard, nennt er es auch Gegenstand an sich selbst. Den Ausdruck transcendentaler Gegenstand braucht er vorzugsweise dann, wenn er die Beziehung auf unser Erkenntnisvermögen hervorheben will, wo es dann die transcendentale Form der Gegenständlichkeit überhaupt bedeutet. Durchaus konsequent durchgeführt aber ist die Unterscheidung des transcendentalen Gegen¬ standes von Dingen außer uns, d. i. von Gegenständen, welche im Raum an¬ zutreffen sind. Diese von Kant in der ersten wie in der zweiten Auflage festgehaltene Konsequenz ist es nun, die Kuno Fischer leugnet; weil er von dem empirischen Realismus Kants eine ganz falsche Vorstellung hat, darum kaun er die schein¬ baren Widersprüche im buchstäblichen Ausdruck der ersten und zweiten Auflage nicht begreifen. In der ersten Auflage, wo es darauf ankam, die trcmscenden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/566>, abgerufen am 08.09.2024.