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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Anno Fischer und sein Aa"t.

Idealität habe. Nur die absolute Realität wird dem Raum wie der Zeit ab¬
gesprochen. Wenn die Leibnitz-Wolfsche Philosophie den Unterschied unsrer Er¬
kenntnisse durch Sinnlichkeit und durch den Verstand nur als einen logischen
Unterschied wie den zwischen verworrener und deutlicher Erkenntnis bestimmt
hatte, so kam es Kant darauf an, zu zeigen, daß der Unterschied zwischen beiden
Erkenntnisquellen nicht logisch, sondern transcendental sei. Er zeigte, daß die
Rezeptivität ein ganz andres transcendentales Vermögen sei als die Sponta¬
neität, und daß sie andre Formen (Raum und Zeit) habe als diese (Kategorien).
Daraus folgt, daß alle Gegenstände, die uns jemals in irgend einer Erfahrung
entgegentreten, den Formen unsres Anschauungsvermögens sich unterwerfen
müssen. Der Verstand mit seinen Funktionen muß freilich auch noch hinzu¬
treten, um das durch die Sinne nur passiv Aufgenommene zu unsrer Erkenntnis
zu bringen. Aber Erkenntnisse durch den Verstand allein giebt es nicht, also
sind alle Gegenstände der Erfahrung nur Erscheinungen und keine Dinge ein
sich im Sinne der Leibnitz-Wolfschen Philosophie.

Kuno Fischer dagegen redet bei der Besprechung der transcendentalen
Ästhetik vom empirischen Realismus garnicht, sondern nur vom transcenden¬
talen Idealismus, welcher durch sie begründet werde. Er thut so, als wenn bei
Kant in der transcendentalen Ästhetik auch schon von der transcendentalen Logik
die Rede wäre. "Unsre Objekte, sagt er, sind soweit vollkommen erkennbar,
als sie unsre Produkte sind, d. h. soweit wir dieselben zu erzeugen und diese
Erzeugung in unserm Bewußtsein zu erhellen vermögen: nur soweit reicht die
Erkennbarkeit der Dinge . . . daher sind alle unsre Erscheinungen Vorstellungen,
sie bestehen im Vorgestelltscin und sind durchgängig ideal ... das Sein aller
Gegenstände in Raum und Zeit besteht im Vorgestelltsein." Dazu führt er
aus Kant eine Stelle aus dessen "Kritik der teleologischen Urteilskraft" an, wo
er garnicht von der Entstehung und Erkenntnis der Erscheinungen im all¬
gemeinen redet, sondern von der Beurteilung lebendiger organischer Wesen:
"Denn nur soviel sieht man vollständig ein, als man nach Begriffen selbst
machen und zustande bringen kann." Diese Stelle hat ihrem Zusammenhange
nach keinen andern Sinn, als daß wir in der Erkenntnis organischer Körper
nicht weiter kommen können, als wie Gesetze der Chemie und Physik herrschen,
während uns der Grund der zweckmäßigen Konstruktion des Ganzen verborgen
bleiben muß. Kuno Fischer verwertet dieselbe aber für die Lehre, die nur Fichte,
Kant aber niemals vorgetragen hat, daß wir selbst alle Erscheinungen über¬
haupt erzeuge". Auf diese Weise sucht er den Leser zu überzeugen, daß in der
transcendentalen Ästhetik garnichts vom empirischen Realismus vorkomme. Alle
Gegenstände der Erfahrung seien lediglich und durchgängig ideal; die Realität
erhielten sie nur durch die Erkenntnis, daß Dinge an sich ihnen zu Grnnde
lägen. Diese Erkenntnis vom Dasein der Dinge an sich nennt er den kantischen
Realismus!


Anno Fischer und sein Aa»t.

Idealität habe. Nur die absolute Realität wird dem Raum wie der Zeit ab¬
gesprochen. Wenn die Leibnitz-Wolfsche Philosophie den Unterschied unsrer Er¬
kenntnisse durch Sinnlichkeit und durch den Verstand nur als einen logischen
Unterschied wie den zwischen verworrener und deutlicher Erkenntnis bestimmt
hatte, so kam es Kant darauf an, zu zeigen, daß der Unterschied zwischen beiden
Erkenntnisquellen nicht logisch, sondern transcendental sei. Er zeigte, daß die
Rezeptivität ein ganz andres transcendentales Vermögen sei als die Sponta¬
neität, und daß sie andre Formen (Raum und Zeit) habe als diese (Kategorien).
Daraus folgt, daß alle Gegenstände, die uns jemals in irgend einer Erfahrung
entgegentreten, den Formen unsres Anschauungsvermögens sich unterwerfen
müssen. Der Verstand mit seinen Funktionen muß freilich auch noch hinzu¬
treten, um das durch die Sinne nur passiv Aufgenommene zu unsrer Erkenntnis
zu bringen. Aber Erkenntnisse durch den Verstand allein giebt es nicht, also
sind alle Gegenstände der Erfahrung nur Erscheinungen und keine Dinge ein
sich im Sinne der Leibnitz-Wolfschen Philosophie.

Kuno Fischer dagegen redet bei der Besprechung der transcendentalen
Ästhetik vom empirischen Realismus garnicht, sondern nur vom transcenden¬
talen Idealismus, welcher durch sie begründet werde. Er thut so, als wenn bei
Kant in der transcendentalen Ästhetik auch schon von der transcendentalen Logik
die Rede wäre. „Unsre Objekte, sagt er, sind soweit vollkommen erkennbar,
als sie unsre Produkte sind, d. h. soweit wir dieselben zu erzeugen und diese
Erzeugung in unserm Bewußtsein zu erhellen vermögen: nur soweit reicht die
Erkennbarkeit der Dinge . . . daher sind alle unsre Erscheinungen Vorstellungen,
sie bestehen im Vorgestelltscin und sind durchgängig ideal ... das Sein aller
Gegenstände in Raum und Zeit besteht im Vorgestelltsein." Dazu führt er
aus Kant eine Stelle aus dessen „Kritik der teleologischen Urteilskraft" an, wo
er garnicht von der Entstehung und Erkenntnis der Erscheinungen im all¬
gemeinen redet, sondern von der Beurteilung lebendiger organischer Wesen:
„Denn nur soviel sieht man vollständig ein, als man nach Begriffen selbst
machen und zustande bringen kann." Diese Stelle hat ihrem Zusammenhange
nach keinen andern Sinn, als daß wir in der Erkenntnis organischer Körper
nicht weiter kommen können, als wie Gesetze der Chemie und Physik herrschen,
während uns der Grund der zweckmäßigen Konstruktion des Ganzen verborgen
bleiben muß. Kuno Fischer verwertet dieselbe aber für die Lehre, die nur Fichte,
Kant aber niemals vorgetragen hat, daß wir selbst alle Erscheinungen über¬
haupt erzeuge». Auf diese Weise sucht er den Leser zu überzeugen, daß in der
transcendentalen Ästhetik garnichts vom empirischen Realismus vorkomme. Alle
Gegenstände der Erfahrung seien lediglich und durchgängig ideal; die Realität
erhielten sie nur durch die Erkenntnis, daß Dinge an sich ihnen zu Grnnde
lägen. Diese Erkenntnis vom Dasein der Dinge an sich nennt er den kantischen
Realismus!


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[0564] Anno Fischer und sein Aa»t. Idealität habe. Nur die absolute Realität wird dem Raum wie der Zeit ab¬ gesprochen. Wenn die Leibnitz-Wolfsche Philosophie den Unterschied unsrer Er¬ kenntnisse durch Sinnlichkeit und durch den Verstand nur als einen logischen Unterschied wie den zwischen verworrener und deutlicher Erkenntnis bestimmt hatte, so kam es Kant darauf an, zu zeigen, daß der Unterschied zwischen beiden Erkenntnisquellen nicht logisch, sondern transcendental sei. Er zeigte, daß die Rezeptivität ein ganz andres transcendentales Vermögen sei als die Sponta¬ neität, und daß sie andre Formen (Raum und Zeit) habe als diese (Kategorien). Daraus folgt, daß alle Gegenstände, die uns jemals in irgend einer Erfahrung entgegentreten, den Formen unsres Anschauungsvermögens sich unterwerfen müssen. Der Verstand mit seinen Funktionen muß freilich auch noch hinzu¬ treten, um das durch die Sinne nur passiv Aufgenommene zu unsrer Erkenntnis zu bringen. Aber Erkenntnisse durch den Verstand allein giebt es nicht, also sind alle Gegenstände der Erfahrung nur Erscheinungen und keine Dinge ein sich im Sinne der Leibnitz-Wolfschen Philosophie. Kuno Fischer dagegen redet bei der Besprechung der transcendentalen Ästhetik vom empirischen Realismus garnicht, sondern nur vom transcenden¬ talen Idealismus, welcher durch sie begründet werde. Er thut so, als wenn bei Kant in der transcendentalen Ästhetik auch schon von der transcendentalen Logik die Rede wäre. „Unsre Objekte, sagt er, sind soweit vollkommen erkennbar, als sie unsre Produkte sind, d. h. soweit wir dieselben zu erzeugen und diese Erzeugung in unserm Bewußtsein zu erhellen vermögen: nur soweit reicht die Erkennbarkeit der Dinge . . . daher sind alle unsre Erscheinungen Vorstellungen, sie bestehen im Vorgestelltscin und sind durchgängig ideal ... das Sein aller Gegenstände in Raum und Zeit besteht im Vorgestelltsein." Dazu führt er aus Kant eine Stelle aus dessen „Kritik der teleologischen Urteilskraft" an, wo er garnicht von der Entstehung und Erkenntnis der Erscheinungen im all¬ gemeinen redet, sondern von der Beurteilung lebendiger organischer Wesen: „Denn nur soviel sieht man vollständig ein, als man nach Begriffen selbst machen und zustande bringen kann." Diese Stelle hat ihrem Zusammenhange nach keinen andern Sinn, als daß wir in der Erkenntnis organischer Körper nicht weiter kommen können, als wie Gesetze der Chemie und Physik herrschen, während uns der Grund der zweckmäßigen Konstruktion des Ganzen verborgen bleiben muß. Kuno Fischer verwertet dieselbe aber für die Lehre, die nur Fichte, Kant aber niemals vorgetragen hat, daß wir selbst alle Erscheinungen über¬ haupt erzeuge». Auf diese Weise sucht er den Leser zu überzeugen, daß in der transcendentalen Ästhetik garnichts vom empirischen Realismus vorkomme. Alle Gegenstände der Erfahrung seien lediglich und durchgängig ideal; die Realität erhielten sie nur durch die Erkenntnis, daß Dinge an sich ihnen zu Grnnde lägen. Diese Erkenntnis vom Dasein der Dinge an sich nennt er den kantischen Realismus!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/564>, abgerufen am 08.09.2024.