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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Anno Fischer und sein Rand.

anzutreffen und könne nirgends angetroffen werden, man könne nichts von ihm
wissen und seine objektive Realität nicht beweisen, denn dazu gehöre immer
Anschauung durch die Sinne, und dies Kriterium der Realität fehlt dem Ding
an sich, welches nur von uns gedacht, aber niemals angeschaut wird, nach dem
also auch in der Erfahrung niemals gefragt wird, wenigstens nicht mit Fug
und Recht, nach den Grundsätzen der Kritik. Die objektive Realität des Dinges
an sich, insofern es als Urgrund der Welt gedacht wird, hat Kant auch in der
"Kritik der praktischen Vernunft" nicht bewiesen, denn daß er es nicht wie
Schopenhauer und mit ihm Kuno Fischer für identisch mit dem menschlichen
Willen erklärte, sagte er in der Entgegnung an Eberhard: "Seele und das
uns gänzlich unbekannte Substrat der Erscheinungen, welche wir Körper nennen,
sind ganz verschiedne Wesen." Das Ding an sich bleibt, man mag sich
drehen und wenden wie man will, ein bloßes Geschöpf unsrer Gedanken,
und da eine Erkenntnis immer nur aus Anschauung und Gedanken oder Begriffen
entspringt, so bleibt es unerkennbar.

Höchst auffallenderweise schreibt nun Kuno Fischer: "Wie kann etwas, das
im Grunde garnicht ist, sondern bloß gedacht wird, im Ernste für unerkennbar
gelte" ? Wer daher meint, daß nach kantischer Lehre von der Realität der Dinge
an sich nicht zu reden sei, der muß auch behaupten, daß Kant nie von der Un-
erkennbarkeit derselben geredet habe. Meint er das letztere wirklich, nun so ge¬
hört er unter jene zahlreichen Kenner unsrer Philosophen, die Bücher über seine
Lehre schreiben, und für welche die Vernunftkritik bis heute ein Ding an sich
ist!" Ich antworte durch ein Beispiel. Ich hatte den wohlbegründeten Ge¬
danken, daß in Heidelberg ein sehr weiser und bedeutender Philosoph lebe. Nun
kann ich aber durch Wahrnehmung und Erfahrung davon nichts erkennen. Ist
denn nun diese Uuerkeunbarkeit etwa ein Beweis dafür, daß er doch Realität
hat und existirt?

Die ungeheure Verwirrung, die dadurch leicht angerichtet werden konnte,
wenn man die Ergebnisse der Kritik der praktischen Vernunft für spekulative
Erkenntnisse der theoretischen Vernunft hielt, hat Kant sehr wohl vorausgesehen
und gefürchtet, und hat daher eine unendliche Mühe darauf verwandt, stets von
neuen, einzuschärfen, daß man die Erkenntnis nach den Prinzipien der theore¬
tischen Vernunft niemals mit solchen nach den Prinzipien der praktische" Ver¬
nunft verwechseln dürfe. Diese letzter" seien nur aus dem praktischen Bedürfnis,
aus dem Bewußtsein des moralischen Gesetzes, aus der Notwendigkeit, Regeln
fürs praktische Handeln zu haben, gewonnen und gesichert, und wenn nun doch
entgegen dem Grundsatz der theoretischen Vernunft einige Kategorien, wie die
der Realität und Kausalität, mit Ideen in Verbindung gebracht würden, die
nicht durch sinnliche Anschauung gegeben wären, so sei das durchaus nicht zum
Zweck der Erweiterung unsrer Erkenntnisse über das Wesen dieser Ideen (Gott,
Freiheit und Unsterblichkeit), sondern nur zum Zweck des praktischen Gebrauchs,


Grenzboten til. 1883, 70
Anno Fischer und sein Rand.

anzutreffen und könne nirgends angetroffen werden, man könne nichts von ihm
wissen und seine objektive Realität nicht beweisen, denn dazu gehöre immer
Anschauung durch die Sinne, und dies Kriterium der Realität fehlt dem Ding
an sich, welches nur von uns gedacht, aber niemals angeschaut wird, nach dem
also auch in der Erfahrung niemals gefragt wird, wenigstens nicht mit Fug
und Recht, nach den Grundsätzen der Kritik. Die objektive Realität des Dinges
an sich, insofern es als Urgrund der Welt gedacht wird, hat Kant auch in der
„Kritik der praktischen Vernunft" nicht bewiesen, denn daß er es nicht wie
Schopenhauer und mit ihm Kuno Fischer für identisch mit dem menschlichen
Willen erklärte, sagte er in der Entgegnung an Eberhard: „Seele und das
uns gänzlich unbekannte Substrat der Erscheinungen, welche wir Körper nennen,
sind ganz verschiedne Wesen." Das Ding an sich bleibt, man mag sich
drehen und wenden wie man will, ein bloßes Geschöpf unsrer Gedanken,
und da eine Erkenntnis immer nur aus Anschauung und Gedanken oder Begriffen
entspringt, so bleibt es unerkennbar.

Höchst auffallenderweise schreibt nun Kuno Fischer: „Wie kann etwas, das
im Grunde garnicht ist, sondern bloß gedacht wird, im Ernste für unerkennbar
gelte» ? Wer daher meint, daß nach kantischer Lehre von der Realität der Dinge
an sich nicht zu reden sei, der muß auch behaupten, daß Kant nie von der Un-
erkennbarkeit derselben geredet habe. Meint er das letztere wirklich, nun so ge¬
hört er unter jene zahlreichen Kenner unsrer Philosophen, die Bücher über seine
Lehre schreiben, und für welche die Vernunftkritik bis heute ein Ding an sich
ist!" Ich antworte durch ein Beispiel. Ich hatte den wohlbegründeten Ge¬
danken, daß in Heidelberg ein sehr weiser und bedeutender Philosoph lebe. Nun
kann ich aber durch Wahrnehmung und Erfahrung davon nichts erkennen. Ist
denn nun diese Uuerkeunbarkeit etwa ein Beweis dafür, daß er doch Realität
hat und existirt?

Die ungeheure Verwirrung, die dadurch leicht angerichtet werden konnte,
wenn man die Ergebnisse der Kritik der praktischen Vernunft für spekulative
Erkenntnisse der theoretischen Vernunft hielt, hat Kant sehr wohl vorausgesehen
und gefürchtet, und hat daher eine unendliche Mühe darauf verwandt, stets von
neuen, einzuschärfen, daß man die Erkenntnis nach den Prinzipien der theore¬
tischen Vernunft niemals mit solchen nach den Prinzipien der praktische» Ver¬
nunft verwechseln dürfe. Diese letzter» seien nur aus dem praktischen Bedürfnis,
aus dem Bewußtsein des moralischen Gesetzes, aus der Notwendigkeit, Regeln
fürs praktische Handeln zu haben, gewonnen und gesichert, und wenn nun doch
entgegen dem Grundsatz der theoretischen Vernunft einige Kategorien, wie die
der Realität und Kausalität, mit Ideen in Verbindung gebracht würden, die
nicht durch sinnliche Anschauung gegeben wären, so sei das durchaus nicht zum
Zweck der Erweiterung unsrer Erkenntnisse über das Wesen dieser Ideen (Gott,
Freiheit und Unsterblichkeit), sondern nur zum Zweck des praktischen Gebrauchs,


Grenzboten til. 1883, 70
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[0561] Anno Fischer und sein Rand. anzutreffen und könne nirgends angetroffen werden, man könne nichts von ihm wissen und seine objektive Realität nicht beweisen, denn dazu gehöre immer Anschauung durch die Sinne, und dies Kriterium der Realität fehlt dem Ding an sich, welches nur von uns gedacht, aber niemals angeschaut wird, nach dem also auch in der Erfahrung niemals gefragt wird, wenigstens nicht mit Fug und Recht, nach den Grundsätzen der Kritik. Die objektive Realität des Dinges an sich, insofern es als Urgrund der Welt gedacht wird, hat Kant auch in der „Kritik der praktischen Vernunft" nicht bewiesen, denn daß er es nicht wie Schopenhauer und mit ihm Kuno Fischer für identisch mit dem menschlichen Willen erklärte, sagte er in der Entgegnung an Eberhard: „Seele und das uns gänzlich unbekannte Substrat der Erscheinungen, welche wir Körper nennen, sind ganz verschiedne Wesen." Das Ding an sich bleibt, man mag sich drehen und wenden wie man will, ein bloßes Geschöpf unsrer Gedanken, und da eine Erkenntnis immer nur aus Anschauung und Gedanken oder Begriffen entspringt, so bleibt es unerkennbar. Höchst auffallenderweise schreibt nun Kuno Fischer: „Wie kann etwas, das im Grunde garnicht ist, sondern bloß gedacht wird, im Ernste für unerkennbar gelte» ? Wer daher meint, daß nach kantischer Lehre von der Realität der Dinge an sich nicht zu reden sei, der muß auch behaupten, daß Kant nie von der Un- erkennbarkeit derselben geredet habe. Meint er das letztere wirklich, nun so ge¬ hört er unter jene zahlreichen Kenner unsrer Philosophen, die Bücher über seine Lehre schreiben, und für welche die Vernunftkritik bis heute ein Ding an sich ist!" Ich antworte durch ein Beispiel. Ich hatte den wohlbegründeten Ge¬ danken, daß in Heidelberg ein sehr weiser und bedeutender Philosoph lebe. Nun kann ich aber durch Wahrnehmung und Erfahrung davon nichts erkennen. Ist denn nun diese Uuerkeunbarkeit etwa ein Beweis dafür, daß er doch Realität hat und existirt? Die ungeheure Verwirrung, die dadurch leicht angerichtet werden konnte, wenn man die Ergebnisse der Kritik der praktischen Vernunft für spekulative Erkenntnisse der theoretischen Vernunft hielt, hat Kant sehr wohl vorausgesehen und gefürchtet, und hat daher eine unendliche Mühe darauf verwandt, stets von neuen, einzuschärfen, daß man die Erkenntnis nach den Prinzipien der theore¬ tischen Vernunft niemals mit solchen nach den Prinzipien der praktische» Ver¬ nunft verwechseln dürfe. Diese letzter» seien nur aus dem praktischen Bedürfnis, aus dem Bewußtsein des moralischen Gesetzes, aus der Notwendigkeit, Regeln fürs praktische Handeln zu haben, gewonnen und gesichert, und wenn nun doch entgegen dem Grundsatz der theoretischen Vernunft einige Kategorien, wie die der Realität und Kausalität, mit Ideen in Verbindung gebracht würden, die nicht durch sinnliche Anschauung gegeben wären, so sei das durchaus nicht zum Zweck der Erweiterung unsrer Erkenntnisse über das Wesen dieser Ideen (Gott, Freiheit und Unsterblichkeit), sondern nur zum Zweck des praktischen Gebrauchs, Grenzboten til. 1883, 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/561>, abgerufen am 08.09.2024.