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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Anno Fischer und sein Aare.

von Dilettanten angepriesen, und noch heftiger fällt er über den Artikel "Kant
und Kuno Fischer" her, der anonym in Ur. 40 des Jahrganges 1882 dieser
Blätter erschienen ist. Nun haben wir freilich vorausgesehen, daß der berühmte
Professor bei jenem Angriff des Anonymus, der ihm vorwirft, er habe Kant
in einer der Grundlehren seines Hauptwerkes falsch verstanden, zornig werden
würde, aber daß dieser Zorn ihn derart in seinem Gleichgewicht erschüttern
würde, daß er gar nicht mehr klar und ruhig schreibt und wie in Berserkerwut
auf alles rings umher mit Keulen losschlägt, hätten wir doch nicht vermutet.
Diese überraschende Thatsache ist es, die uns noch einmal die Feder in die Hand
drückt; denn wir wenigstens haben keinen Grund, die richtig empfangenen Keulen¬
schläge oder Fußtritte auf uns sitzen zu lassen.

Zuerst müssen wir einen sehr merkwürdigen Umstand hervorheben, der uns
rätselhaft geblieben ist. Unser Anonymus in den Grenzboten hatte geschrieben:
Der Grund, daß wir Sinnesempfindungen haben können, sind "Gegenstände,
deren Bedingung zur Möglichkeit der Erfahrung der transcendentale Gegenstand
heißt." Dieser Satz ist kantisch völlig korrekt und tadellos. Aber Kuno Fischer
zitirt: "deren Bedeutung zur Möglichkeit der Erfahrung der transcendentale
Gegenstand heißt," und sagt dann: "Diese Behauptung ist völlig sinnlos und
ein Zeugnis der Konfusion und des geschwätzigen Unverstandes, der das ganze
Geschreibsel kennzeichnet." Nun erinnere ich mich, daß in dem Korrekturbogen
jenes anonymen Artikels dieser sinnentstellende Druckfehler enthalten war, aber
er ist richtig korrigirt worden. Wie kommt nun Kuno Fischer dazu, nach dem
Korrekturbogen und nicht nach dem Artikel, wie er wirklich veröffentlicht ist, zu
zitiren? Jedenfalls ist zu konstatiren, daß dieser Fußtritt nicht den Anonymus,
sondern höchstens den Setzer des Korrekturabzuges trifft. Auf jeden Fall deutet
der sonderbare Umstand auf eine ungewöhnlich feindselige Stimmung des großen
Historikers gegen unsern Anonymus, welche sich nicht durch einen bloßen Streit
um die Deutung eines kantischen Ausdruckes erklärt; nur wenn der Angriff
auf Kuno Fischers Darstellung des Lehrbegriffes vom Ding an sich zu gleicher
Zeit die Wurzeln seines eignen philosophischen Systems träfe, dann würde diese
hochgradige Erbitterung dem Verständnis nähergerückt sein.

Daß dies nun freilich im striktesten Sinne der Fall ist, geht aus dieser
neuesten Schrift aufs deutlichste hervor. "Die nachkcmtische Philosophie ge¬
staltet sich, so heißt es S. 103, in ihren fortschreitenden Entwicklungsformen
zu einer Erkenntnis des Dinges an sich, und es ist leicht vorauszusehen, daß
in dieser Fortschreitung die Frage nach den Dingen an sich und ihrer Erkenn¬
barkeit ein Thema von eminenter und entscheidender Wichtigkeit sein wird." Das
ist in der That die Richtung, welche wir gelegentlich in diesen Blättern als
das Hauptunglück der deutschen Philosophie bezeichnet haben. Dieses speku-
liren über den letzten Grund der Welt und der umliegenden Ortschaften ist die
Ursache geworden für den gegenwärtigen Zustand, in welchem die Philosophie,


Anno Fischer und sein Aare.

von Dilettanten angepriesen, und noch heftiger fällt er über den Artikel „Kant
und Kuno Fischer" her, der anonym in Ur. 40 des Jahrganges 1882 dieser
Blätter erschienen ist. Nun haben wir freilich vorausgesehen, daß der berühmte
Professor bei jenem Angriff des Anonymus, der ihm vorwirft, er habe Kant
in einer der Grundlehren seines Hauptwerkes falsch verstanden, zornig werden
würde, aber daß dieser Zorn ihn derart in seinem Gleichgewicht erschüttern
würde, daß er gar nicht mehr klar und ruhig schreibt und wie in Berserkerwut
auf alles rings umher mit Keulen losschlägt, hätten wir doch nicht vermutet.
Diese überraschende Thatsache ist es, die uns noch einmal die Feder in die Hand
drückt; denn wir wenigstens haben keinen Grund, die richtig empfangenen Keulen¬
schläge oder Fußtritte auf uns sitzen zu lassen.

Zuerst müssen wir einen sehr merkwürdigen Umstand hervorheben, der uns
rätselhaft geblieben ist. Unser Anonymus in den Grenzboten hatte geschrieben:
Der Grund, daß wir Sinnesempfindungen haben können, sind „Gegenstände,
deren Bedingung zur Möglichkeit der Erfahrung der transcendentale Gegenstand
heißt." Dieser Satz ist kantisch völlig korrekt und tadellos. Aber Kuno Fischer
zitirt: „deren Bedeutung zur Möglichkeit der Erfahrung der transcendentale
Gegenstand heißt," und sagt dann: „Diese Behauptung ist völlig sinnlos und
ein Zeugnis der Konfusion und des geschwätzigen Unverstandes, der das ganze
Geschreibsel kennzeichnet." Nun erinnere ich mich, daß in dem Korrekturbogen
jenes anonymen Artikels dieser sinnentstellende Druckfehler enthalten war, aber
er ist richtig korrigirt worden. Wie kommt nun Kuno Fischer dazu, nach dem
Korrekturbogen und nicht nach dem Artikel, wie er wirklich veröffentlicht ist, zu
zitiren? Jedenfalls ist zu konstatiren, daß dieser Fußtritt nicht den Anonymus,
sondern höchstens den Setzer des Korrekturabzuges trifft. Auf jeden Fall deutet
der sonderbare Umstand auf eine ungewöhnlich feindselige Stimmung des großen
Historikers gegen unsern Anonymus, welche sich nicht durch einen bloßen Streit
um die Deutung eines kantischen Ausdruckes erklärt; nur wenn der Angriff
auf Kuno Fischers Darstellung des Lehrbegriffes vom Ding an sich zu gleicher
Zeit die Wurzeln seines eignen philosophischen Systems träfe, dann würde diese
hochgradige Erbitterung dem Verständnis nähergerückt sein.

Daß dies nun freilich im striktesten Sinne der Fall ist, geht aus dieser
neuesten Schrift aufs deutlichste hervor. „Die nachkcmtische Philosophie ge¬
staltet sich, so heißt es S. 103, in ihren fortschreitenden Entwicklungsformen
zu einer Erkenntnis des Dinges an sich, und es ist leicht vorauszusehen, daß
in dieser Fortschreitung die Frage nach den Dingen an sich und ihrer Erkenn¬
barkeit ein Thema von eminenter und entscheidender Wichtigkeit sein wird." Das
ist in der That die Richtung, welche wir gelegentlich in diesen Blättern als
das Hauptunglück der deutschen Philosophie bezeichnet haben. Dieses speku-
liren über den letzten Grund der Welt und der umliegenden Ortschaften ist die
Ursache geworden für den gegenwärtigen Zustand, in welchem die Philosophie,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/558>, abgerufen am 08.09.2024.