Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der deutsche Tchulverein in Gsterreich.

aus Kram hereingetragen. Denn hier allerdings, wo außer der großen deutschen
Sprachinsel Gottschee nur einzelne Städte deutschen Charakter tragen, hat, von
oben begünstigt, das Slovenentum in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte
gemacht. In Laibach giebt es dermalen nur eine einzige deutsche Volksschule,
die evangelische, die Mittelschulen sind slovenisirt, die deutschen Beamten werden
allmählich durch slovenische verdrängt. Aber mich gegenüber den Romanen in
Südtirol und an der Adria hat das Deutschtum lange nur Verluste auszu¬
weisen gehabt. Saturn zwischen Botzen und Trient, vor zwanzig Jahren noch
der südliche Vorposten des Deutschtums im Etschlande, ist heute ganz italienisch,
und wie es in Triest steht, bedarf kaum der Ausführung. Seit 1848 hat hier
die Zahl der Deutschen um die Hälfte abgenommen, und so italienisch ist die
wichtigste Hafenstadt Österreichs gegenwärtig, daß bei Eröffnung der vorjährigen
gesamtösterreichischen Industrieausstellung, die überwiegend von deutschen Firmen
beschickt war, offiziell zwar italienisch und -- dem Selbstgefühle der Ungarn
gemäß -- magyarisch, aber nicht deutsch gesprochen wurde!

Auf den ersten Blick erscheint dies Zurückweiche" des österreichischen Deutsch¬
tums mindestens den Slaven gegenüber befremdlich genng. Wie ist es möglich,
fragt man erstaunt, daß der seiner Zahl nach stärkste Stamm der "im Reichs¬
rat vertretenen Königreiche und Länder," der Zweig eines gewaltigen Volkes,
das Feld räumt vor kleinen Nationalitäten, denen er doch an Kultur mindestens
gewachsen, vielfach überlegen ist? Gewiß hat daran die lange herrschende Gleich-
giltigkeit der österreichischen Deutschen gegen ihr eignes Volk einen hervorragenden
Anteil. Sie sind eben im gedeihlichsten Aufschwünge ihres geistigen Lebens
durch die fluchwürdige Gegenreformation gebrochen worden, und Jahrhunderte
hindurch der -- allerdings in ihren Wurzeln protestantischen -- Kultur des
großen Mutterlandes entfremdet gewesen, und sie haben das bis heute nicht
verwunden. So lange freilich die Verwaltung des Reiches in zentmlistisch-deutschem
Sinne geleitet wurde, das Nationalgefühl der slavischen Völkerschaften noch nicht
erwacht war, gab es viele Tausende in den sprachlich gemischten Ländern, die
selber kaum wußten, welchen, Volkstum sie sich zurechnen sollten. Als aber
dieser unklare Zustand verschwand, als es galt, Farbe zu bekennen, da fehlte
dielen deutsch sprechenden Österreichern das rege Bewußtsein ihrer Nationalität,
deren höchster Kulturbesitz für sie eben zum großen Teil nicht vorhanden war,
und ünßerm Drucke folgend sind deshalb Tausende abgefallen, zumal an der
Sprachgrenze, wo Mischheiraten begreiflicherweise an der Tagesordnung waren.
Aber schließlich ist das nicht allein das Entscheidende, denn unter dem Drucke
der kirchlichen Reaktion haben die Tschechen nicht minder gelitten. Die Deutschen
haben zu lange der Führer entbehrt. Ihre Adelsgeschlechter wanderten uuter
Ferdinand II. entweder aus, oder indem sie zum Katholizismus übertraten,
dem Herrscherhause sich anschlösse", entfremdeten sie sich auf lange hinaus der
eignen Nation, und in Böhmen ist der ans aller Herren Ländern buntzusainmen-


Der deutsche Tchulverein in Gsterreich.

aus Kram hereingetragen. Denn hier allerdings, wo außer der großen deutschen
Sprachinsel Gottschee nur einzelne Städte deutschen Charakter tragen, hat, von
oben begünstigt, das Slovenentum in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte
gemacht. In Laibach giebt es dermalen nur eine einzige deutsche Volksschule,
die evangelische, die Mittelschulen sind slovenisirt, die deutschen Beamten werden
allmählich durch slovenische verdrängt. Aber mich gegenüber den Romanen in
Südtirol und an der Adria hat das Deutschtum lange nur Verluste auszu¬
weisen gehabt. Saturn zwischen Botzen und Trient, vor zwanzig Jahren noch
der südliche Vorposten des Deutschtums im Etschlande, ist heute ganz italienisch,
und wie es in Triest steht, bedarf kaum der Ausführung. Seit 1848 hat hier
die Zahl der Deutschen um die Hälfte abgenommen, und so italienisch ist die
wichtigste Hafenstadt Österreichs gegenwärtig, daß bei Eröffnung der vorjährigen
gesamtösterreichischen Industrieausstellung, die überwiegend von deutschen Firmen
beschickt war, offiziell zwar italienisch und — dem Selbstgefühle der Ungarn
gemäß — magyarisch, aber nicht deutsch gesprochen wurde!

Auf den ersten Blick erscheint dies Zurückweiche» des österreichischen Deutsch¬
tums mindestens den Slaven gegenüber befremdlich genng. Wie ist es möglich,
fragt man erstaunt, daß der seiner Zahl nach stärkste Stamm der „im Reichs¬
rat vertretenen Königreiche und Länder," der Zweig eines gewaltigen Volkes,
das Feld räumt vor kleinen Nationalitäten, denen er doch an Kultur mindestens
gewachsen, vielfach überlegen ist? Gewiß hat daran die lange herrschende Gleich-
giltigkeit der österreichischen Deutschen gegen ihr eignes Volk einen hervorragenden
Anteil. Sie sind eben im gedeihlichsten Aufschwünge ihres geistigen Lebens
durch die fluchwürdige Gegenreformation gebrochen worden, und Jahrhunderte
hindurch der — allerdings in ihren Wurzeln protestantischen — Kultur des
großen Mutterlandes entfremdet gewesen, und sie haben das bis heute nicht
verwunden. So lange freilich die Verwaltung des Reiches in zentmlistisch-deutschem
Sinne geleitet wurde, das Nationalgefühl der slavischen Völkerschaften noch nicht
erwacht war, gab es viele Tausende in den sprachlich gemischten Ländern, die
selber kaum wußten, welchen, Volkstum sie sich zurechnen sollten. Als aber
dieser unklare Zustand verschwand, als es galt, Farbe zu bekennen, da fehlte
dielen deutsch sprechenden Österreichern das rege Bewußtsein ihrer Nationalität,
deren höchster Kulturbesitz für sie eben zum großen Teil nicht vorhanden war,
und ünßerm Drucke folgend sind deshalb Tausende abgefallen, zumal an der
Sprachgrenze, wo Mischheiraten begreiflicherweise an der Tagesordnung waren.
Aber schließlich ist das nicht allein das Entscheidende, denn unter dem Drucke
der kirchlichen Reaktion haben die Tschechen nicht minder gelitten. Die Deutschen
haben zu lange der Führer entbehrt. Ihre Adelsgeschlechter wanderten uuter
Ferdinand II. entweder aus, oder indem sie zum Katholizismus übertraten,
dem Herrscherhause sich anschlösse», entfremdeten sie sich auf lange hinaus der
eignen Nation, und in Böhmen ist der ans aller Herren Ländern buntzusainmen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153998"/>
          <fw type="header" place="top"> Der deutsche Tchulverein in Gsterreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2450" prev="#ID_2449"> aus Kram hereingetragen. Denn hier allerdings, wo außer der großen deutschen<lb/>
Sprachinsel Gottschee nur einzelne Städte deutschen Charakter tragen, hat, von<lb/>
oben begünstigt, das Slovenentum in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte<lb/>
gemacht. In Laibach giebt es dermalen nur eine einzige deutsche Volksschule,<lb/>
die evangelische, die Mittelschulen sind slovenisirt, die deutschen Beamten werden<lb/>
allmählich durch slovenische verdrängt. Aber mich gegenüber den Romanen in<lb/>
Südtirol und an der Adria hat das Deutschtum lange nur Verluste auszu¬<lb/>
weisen gehabt. Saturn zwischen Botzen und Trient, vor zwanzig Jahren noch<lb/>
der südliche Vorposten des Deutschtums im Etschlande, ist heute ganz italienisch,<lb/>
und wie es in Triest steht, bedarf kaum der Ausführung. Seit 1848 hat hier<lb/>
die Zahl der Deutschen um die Hälfte abgenommen, und so italienisch ist die<lb/>
wichtigste Hafenstadt Österreichs gegenwärtig, daß bei Eröffnung der vorjährigen<lb/>
gesamtösterreichischen Industrieausstellung, die überwiegend von deutschen Firmen<lb/>
beschickt war, offiziell zwar italienisch und &#x2014; dem Selbstgefühle der Ungarn<lb/>
gemäß &#x2014; magyarisch, aber nicht deutsch gesprochen wurde!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2451" next="#ID_2452"> Auf den ersten Blick erscheint dies Zurückweiche» des österreichischen Deutsch¬<lb/>
tums mindestens den Slaven gegenüber befremdlich genng. Wie ist es möglich,<lb/>
fragt man erstaunt, daß der seiner Zahl nach stärkste Stamm der &#x201E;im Reichs¬<lb/>
rat vertretenen Königreiche und Länder," der Zweig eines gewaltigen Volkes,<lb/>
das Feld räumt vor kleinen Nationalitäten, denen er doch an Kultur mindestens<lb/>
gewachsen, vielfach überlegen ist? Gewiß hat daran die lange herrschende Gleich-<lb/>
giltigkeit der österreichischen Deutschen gegen ihr eignes Volk einen hervorragenden<lb/>
Anteil. Sie sind eben im gedeihlichsten Aufschwünge ihres geistigen Lebens<lb/>
durch die fluchwürdige Gegenreformation gebrochen worden, und Jahrhunderte<lb/>
hindurch der &#x2014; allerdings in ihren Wurzeln protestantischen &#x2014; Kultur des<lb/>
großen Mutterlandes entfremdet gewesen, und sie haben das bis heute nicht<lb/>
verwunden. So lange freilich die Verwaltung des Reiches in zentmlistisch-deutschem<lb/>
Sinne geleitet wurde, das Nationalgefühl der slavischen Völkerschaften noch nicht<lb/>
erwacht war, gab es viele Tausende in den sprachlich gemischten Ländern, die<lb/>
selber kaum wußten, welchen, Volkstum sie sich zurechnen sollten. Als aber<lb/>
dieser unklare Zustand verschwand, als es galt, Farbe zu bekennen, da fehlte<lb/>
dielen deutsch sprechenden Österreichern das rege Bewußtsein ihrer Nationalität,<lb/>
deren höchster Kulturbesitz für sie eben zum großen Teil nicht vorhanden war,<lb/>
und ünßerm Drucke folgend sind deshalb Tausende abgefallen, zumal an der<lb/>
Sprachgrenze, wo Mischheiraten begreiflicherweise an der Tagesordnung waren.<lb/>
Aber schließlich ist das nicht allein das Entscheidende, denn unter dem Drucke<lb/>
der kirchlichen Reaktion haben die Tschechen nicht minder gelitten. Die Deutschen<lb/>
haben zu lange der Führer entbehrt. Ihre Adelsgeschlechter wanderten uuter<lb/>
Ferdinand II. entweder aus, oder indem sie zum Katholizismus übertraten,<lb/>
dem Herrscherhause sich anschlösse», entfremdeten sie sich auf lange hinaus der<lb/>
eignen Nation, und in Böhmen ist der ans aller Herren Ländern buntzusainmen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0551] Der deutsche Tchulverein in Gsterreich. aus Kram hereingetragen. Denn hier allerdings, wo außer der großen deutschen Sprachinsel Gottschee nur einzelne Städte deutschen Charakter tragen, hat, von oben begünstigt, das Slovenentum in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. In Laibach giebt es dermalen nur eine einzige deutsche Volksschule, die evangelische, die Mittelschulen sind slovenisirt, die deutschen Beamten werden allmählich durch slovenische verdrängt. Aber mich gegenüber den Romanen in Südtirol und an der Adria hat das Deutschtum lange nur Verluste auszu¬ weisen gehabt. Saturn zwischen Botzen und Trient, vor zwanzig Jahren noch der südliche Vorposten des Deutschtums im Etschlande, ist heute ganz italienisch, und wie es in Triest steht, bedarf kaum der Ausführung. Seit 1848 hat hier die Zahl der Deutschen um die Hälfte abgenommen, und so italienisch ist die wichtigste Hafenstadt Österreichs gegenwärtig, daß bei Eröffnung der vorjährigen gesamtösterreichischen Industrieausstellung, die überwiegend von deutschen Firmen beschickt war, offiziell zwar italienisch und — dem Selbstgefühle der Ungarn gemäß — magyarisch, aber nicht deutsch gesprochen wurde! Auf den ersten Blick erscheint dies Zurückweiche» des österreichischen Deutsch¬ tums mindestens den Slaven gegenüber befremdlich genng. Wie ist es möglich, fragt man erstaunt, daß der seiner Zahl nach stärkste Stamm der „im Reichs¬ rat vertretenen Königreiche und Länder," der Zweig eines gewaltigen Volkes, das Feld räumt vor kleinen Nationalitäten, denen er doch an Kultur mindestens gewachsen, vielfach überlegen ist? Gewiß hat daran die lange herrschende Gleich- giltigkeit der österreichischen Deutschen gegen ihr eignes Volk einen hervorragenden Anteil. Sie sind eben im gedeihlichsten Aufschwünge ihres geistigen Lebens durch die fluchwürdige Gegenreformation gebrochen worden, und Jahrhunderte hindurch der — allerdings in ihren Wurzeln protestantischen — Kultur des großen Mutterlandes entfremdet gewesen, und sie haben das bis heute nicht verwunden. So lange freilich die Verwaltung des Reiches in zentmlistisch-deutschem Sinne geleitet wurde, das Nationalgefühl der slavischen Völkerschaften noch nicht erwacht war, gab es viele Tausende in den sprachlich gemischten Ländern, die selber kaum wußten, welchen, Volkstum sie sich zurechnen sollten. Als aber dieser unklare Zustand verschwand, als es galt, Farbe zu bekennen, da fehlte dielen deutsch sprechenden Österreichern das rege Bewußtsein ihrer Nationalität, deren höchster Kulturbesitz für sie eben zum großen Teil nicht vorhanden war, und ünßerm Drucke folgend sind deshalb Tausende abgefallen, zumal an der Sprachgrenze, wo Mischheiraten begreiflicherweise an der Tagesordnung waren. Aber schließlich ist das nicht allein das Entscheidende, denn unter dem Drucke der kirchlichen Reaktion haben die Tschechen nicht minder gelitten. Die Deutschen haben zu lange der Führer entbehrt. Ihre Adelsgeschlechter wanderten uuter Ferdinand II. entweder aus, oder indem sie zum Katholizismus übertraten, dem Herrscherhause sich anschlösse», entfremdeten sie sich auf lange hinaus der eignen Nation, und in Böhmen ist der ans aller Herren Ländern buntzusainmen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/551
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/551>, abgerufen am 08.09.2024.