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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der deutsche Schulverein in "Österreich.

dlljährlichen Festversammlungen zu begehen. Aber mit Errichtung von Denk¬
mälern, patriotischen Reden und Entfaltung schwarzrotgoldner Fahnen allein
wäre wenig gethan, sicher nichts für die Behauptung des an vielen Stellen
schwer gefährdeten nationalen Sprachgebiets. Dies erkannt und mit energischem
Opfermut sich in die Bresche gestellt zu haben, ist das unvergängliche Verdienst
des "deutschen Schulvereins" in Österreich.

Gefährdet in der^That war und ist die Lage unsrer Stammesgenossen an
den weitgedehnten Sprachgrenzen. In einem bald schmäleren, bald breiteren
Ringe umgiebt das deutsche Sprachgebiet in Böhmen den tschechischen Kern des
Landes von Budweis über Prachatitz, Schüttenhofen, Tauß, Saaz, Laun, Leit-
meritz. Liebenau, Neu-Paka, Königinhof, Wildenschwert; er ist am breitesten im
Nordosten längs des Erzgebirges, schrumpft längs der Sudeten und des süd¬
lichen Böhmerwaldes auf ein schmales Band zusammen und verschwindet fast
ganz in der Gegend von Tauß und an der Glatzer Grenze; ja hier greift das
tschechische Element in der Nähe vou Reiuerz sogar auf preußisches Gebiet
hinüber. Doch diese Grenze ist bereits im Wanken oder doch bedroht. In der
Gegend von Prachatitz und Schüttenhofen hält das Deutschtum nur noch
mühsam stand, und der eine oder der andre Ort ist schon verloren. Nicht
besser sieht es im Osten ans. Im Norden ist Saaz verloren, die Umgegend
von Leitmeritz links von der Elbe und von Böhmisch-Aicha bedroht. Im Süden,
wo nur vereinzelte deutsche Landesteile wie Inseln oder Landzungen aus dem
slavischen Meere emporragen, gilt Wildenschwert unweit der mährischen Grenze
als schwer bedroht, Hammergrund und Neuhaus (östlich von Budweis) als ver¬
loren, und wie gewaltige Fortschritte das Tschechentum im "goldnen Prag"
gemacht hat, bewies die jüngste Volkszählung, welche die Zahl der Prager
Deutschen auf wenig mehr als 30 000 bestimmt. In Mähren giebt es nur
längs der schlesischen und niederösterreichischen Grenze geschlossene deutsche Sprach¬
gebiete, deren äußerste Vorsprünge durch die Hauptstädte Brünn und Olmütz
bezeichnet werden, sonst nur noch um Iglau eine größere Sprachinsel. Weiter
im Süden nehmen die Slovenen (Winden) in Körnten nur den schmalen, dünn
bevölkerten Saum zwischen der Drau von Vliland ab und den Karavanken, in
Steiermark dagegen das ganze sogenannte Unterland etwa zwischen Drau und
save ein, doch sind in beiden Landschaften die Städte auch an der Sprach¬
grenze und selbst darüber hinaus ganz deutsch (so dort Klagenfurt, Vliland,
Bleiburg und Eisenkappel, hier Marburg, CM, Pettau), so deutsch, daß man
kaum hie und da eine doppelsprachige Firma trifft, wenngleich von den jungen
Kaufleuten gewöhnlich Kenntnis des slovenischen Idioms gefordert zu werden
scheint und an den im übrigen deutschen Mittelschulen den Schülern slovenischer
Abkunft obligatorischer Unterricht in ihrer Sprache erteilt wird. Aber in Kärnten
wenigstens besteht ein nationaler Gegensatz der beiden Volksstämme überhaupt
nicht, in Steiermark ist er weniger einheimischen Ursprungs als über die Grenze


Der deutsche Schulverein in «Österreich.

dlljährlichen Festversammlungen zu begehen. Aber mit Errichtung von Denk¬
mälern, patriotischen Reden und Entfaltung schwarzrotgoldner Fahnen allein
wäre wenig gethan, sicher nichts für die Behauptung des an vielen Stellen
schwer gefährdeten nationalen Sprachgebiets. Dies erkannt und mit energischem
Opfermut sich in die Bresche gestellt zu haben, ist das unvergängliche Verdienst
des „deutschen Schulvereins" in Österreich.

Gefährdet in der^That war und ist die Lage unsrer Stammesgenossen an
den weitgedehnten Sprachgrenzen. In einem bald schmäleren, bald breiteren
Ringe umgiebt das deutsche Sprachgebiet in Böhmen den tschechischen Kern des
Landes von Budweis über Prachatitz, Schüttenhofen, Tauß, Saaz, Laun, Leit-
meritz. Liebenau, Neu-Paka, Königinhof, Wildenschwert; er ist am breitesten im
Nordosten längs des Erzgebirges, schrumpft längs der Sudeten und des süd¬
lichen Böhmerwaldes auf ein schmales Band zusammen und verschwindet fast
ganz in der Gegend von Tauß und an der Glatzer Grenze; ja hier greift das
tschechische Element in der Nähe vou Reiuerz sogar auf preußisches Gebiet
hinüber. Doch diese Grenze ist bereits im Wanken oder doch bedroht. In der
Gegend von Prachatitz und Schüttenhofen hält das Deutschtum nur noch
mühsam stand, und der eine oder der andre Ort ist schon verloren. Nicht
besser sieht es im Osten ans. Im Norden ist Saaz verloren, die Umgegend
von Leitmeritz links von der Elbe und von Böhmisch-Aicha bedroht. Im Süden,
wo nur vereinzelte deutsche Landesteile wie Inseln oder Landzungen aus dem
slavischen Meere emporragen, gilt Wildenschwert unweit der mährischen Grenze
als schwer bedroht, Hammergrund und Neuhaus (östlich von Budweis) als ver¬
loren, und wie gewaltige Fortschritte das Tschechentum im „goldnen Prag"
gemacht hat, bewies die jüngste Volkszählung, welche die Zahl der Prager
Deutschen auf wenig mehr als 30 000 bestimmt. In Mähren giebt es nur
längs der schlesischen und niederösterreichischen Grenze geschlossene deutsche Sprach¬
gebiete, deren äußerste Vorsprünge durch die Hauptstädte Brünn und Olmütz
bezeichnet werden, sonst nur noch um Iglau eine größere Sprachinsel. Weiter
im Süden nehmen die Slovenen (Winden) in Körnten nur den schmalen, dünn
bevölkerten Saum zwischen der Drau von Vliland ab und den Karavanken, in
Steiermark dagegen das ganze sogenannte Unterland etwa zwischen Drau und
save ein, doch sind in beiden Landschaften die Städte auch an der Sprach¬
grenze und selbst darüber hinaus ganz deutsch (so dort Klagenfurt, Vliland,
Bleiburg und Eisenkappel, hier Marburg, CM, Pettau), so deutsch, daß man
kaum hie und da eine doppelsprachige Firma trifft, wenngleich von den jungen
Kaufleuten gewöhnlich Kenntnis des slovenischen Idioms gefordert zu werden
scheint und an den im übrigen deutschen Mittelschulen den Schülern slovenischer
Abkunft obligatorischer Unterricht in ihrer Sprache erteilt wird. Aber in Kärnten
wenigstens besteht ein nationaler Gegensatz der beiden Volksstämme überhaupt
nicht, in Steiermark ist er weniger einheimischen Ursprungs als über die Grenze


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[0550] Der deutsche Schulverein in «Österreich. dlljährlichen Festversammlungen zu begehen. Aber mit Errichtung von Denk¬ mälern, patriotischen Reden und Entfaltung schwarzrotgoldner Fahnen allein wäre wenig gethan, sicher nichts für die Behauptung des an vielen Stellen schwer gefährdeten nationalen Sprachgebiets. Dies erkannt und mit energischem Opfermut sich in die Bresche gestellt zu haben, ist das unvergängliche Verdienst des „deutschen Schulvereins" in Österreich. Gefährdet in der^That war und ist die Lage unsrer Stammesgenossen an den weitgedehnten Sprachgrenzen. In einem bald schmäleren, bald breiteren Ringe umgiebt das deutsche Sprachgebiet in Böhmen den tschechischen Kern des Landes von Budweis über Prachatitz, Schüttenhofen, Tauß, Saaz, Laun, Leit- meritz. Liebenau, Neu-Paka, Königinhof, Wildenschwert; er ist am breitesten im Nordosten längs des Erzgebirges, schrumpft längs der Sudeten und des süd¬ lichen Böhmerwaldes auf ein schmales Band zusammen und verschwindet fast ganz in der Gegend von Tauß und an der Glatzer Grenze; ja hier greift das tschechische Element in der Nähe vou Reiuerz sogar auf preußisches Gebiet hinüber. Doch diese Grenze ist bereits im Wanken oder doch bedroht. In der Gegend von Prachatitz und Schüttenhofen hält das Deutschtum nur noch mühsam stand, und der eine oder der andre Ort ist schon verloren. Nicht besser sieht es im Osten ans. Im Norden ist Saaz verloren, die Umgegend von Leitmeritz links von der Elbe und von Böhmisch-Aicha bedroht. Im Süden, wo nur vereinzelte deutsche Landesteile wie Inseln oder Landzungen aus dem slavischen Meere emporragen, gilt Wildenschwert unweit der mährischen Grenze als schwer bedroht, Hammergrund und Neuhaus (östlich von Budweis) als ver¬ loren, und wie gewaltige Fortschritte das Tschechentum im „goldnen Prag" gemacht hat, bewies die jüngste Volkszählung, welche die Zahl der Prager Deutschen auf wenig mehr als 30 000 bestimmt. In Mähren giebt es nur längs der schlesischen und niederösterreichischen Grenze geschlossene deutsche Sprach¬ gebiete, deren äußerste Vorsprünge durch die Hauptstädte Brünn und Olmütz bezeichnet werden, sonst nur noch um Iglau eine größere Sprachinsel. Weiter im Süden nehmen die Slovenen (Winden) in Körnten nur den schmalen, dünn bevölkerten Saum zwischen der Drau von Vliland ab und den Karavanken, in Steiermark dagegen das ganze sogenannte Unterland etwa zwischen Drau und save ein, doch sind in beiden Landschaften die Städte auch an der Sprach¬ grenze und selbst darüber hinaus ganz deutsch (so dort Klagenfurt, Vliland, Bleiburg und Eisenkappel, hier Marburg, CM, Pettau), so deutsch, daß man kaum hie und da eine doppelsprachige Firma trifft, wenngleich von den jungen Kaufleuten gewöhnlich Kenntnis des slovenischen Idioms gefordert zu werden scheint und an den im übrigen deutschen Mittelschulen den Schülern slovenischer Abkunft obligatorischer Unterricht in ihrer Sprache erteilt wird. Aber in Kärnten wenigstens besteht ein nationaler Gegensatz der beiden Volksstämme überhaupt nicht, in Steiermark ist er weniger einheimischen Ursprungs als über die Grenze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/550>, abgerufen am 08.09.2024.