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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Agraria.

der Versasser in einem Überwucher" des Pachtsystems, in der schlechten Ver¬
teilung des Grund und Bodens durch zu große Anhäufung des Grundbesitzes
in der toten Hand -- die lediglich und hier nicht weit genug bei der Forst¬
wirtschaft von segensreicher Wirkung ist --, in der unzureichenden Größe der
kleinen Bauernstellen und dem ganzen Parzellen umwehen, in der Auswanderung,
in dem Mangel an Wirtschaftskapital und der damit verbundenen Wucherfrei¬
heit und hypothekarischen Belastung, d. i. in der unbegrenzten Verschuldungsfrei¬
heit, in der Konkurrenz mit Ländern, welche erst neu in die Zivilisation eintreten
und daher mit erheblich geringern Kosten arbeiten können, in mangelhafter Fach¬
bildung des Landmannes u. dergl. in. In allen diesen Punkten wird man dem
Verfasser seine Zustimmung nicht versagen können; er hat den richtigen Blick
für die Schäden, die er bloßlegt, ohne Rücksicht auf die Gründe und Ursachen,
denen sie entstammen.

Bei der Frage, ob und wie Abhilfe geschaffen werden kann, zeigt sich der
Verfasser als Pessimist. Die große Verkehrsfreiheit der Gegenwart führt nach
seiner Anschauung zum Untergang, weil er jeden Versuch der Einschränkung
dieser Freiheit für vergeblich hält -- "zuletzt hilft nichts." Trotzdem glaubt er,
daß es Mittel giebt, diesen Tod auf möglichst lange Zeit hinauszuschieben. Bei
seinen Heilmitteln spielt die Organisation einer landwirtschaftlichen Statistik
zunächst eine Voraussetzung für die Kur. Der Verfasser will eine Beteiligung
der Landwirtschaft bei dem Volkswirtschaftsrat -- den leider inzwischen Partei¬
verblendung gestrichen hat -- mit entsprechenden Organisationen für Provinzen
und Kreise. Diesen Behörden soll die Überwachung und Verarbeitung der
Statistik überlassen werden, für welche er ein bestimmtes Formular aufstellt,
das im großen und ganzen auf allgemeine Billigung wird rechnen können.
Obwohl der Großgrundbesitz und namentlich der Fideikommißbesitz als schädlich
nicht anerkannt wird, und obwohl der Verfasser den Wünschen der Sozialdemo¬
kratie auf Verstaatlichung des Grundeigentums mit ebenso ernsten wie zutreffenden
Gründen entgegentritt, so verlangt er doch mit desto größerer Entschiedenheit
eine Parzellirung der Domänen. Er sucht nachzuweisen, daß deren Verwaltung
durch den Staatsbeamten unzureichend und die Kosten (in Preußen Millionen
bei 30 Millionen Domänen) unverhältnismäßig hoch seien. Der Erlös aus den
Domänen soll hauptsächlich zu Aufforstungszwecken verwendet werden, wobei
die Ausführungen über die jetzt bestehenden Mängel von besonderm Interesse
sind. Für die Parzellirung der Domänen und die Konstituirung einer Rente
von selten der ErWerber werden detaillirte Vorschläge gemacht, die einerseits
eine Entwertung des Grund und Bodens und andrerseits eine irrationelle Be¬
wirtschaftung durch den ErWerber verhindern sollen. In letzter Beziehung wird
überhaupt der Wunsch ausgesprochen, daß der Staat gegen das Parzellen¬
unwesen Vorkehrungen treffe und namentlich für Neuansiedlungeu den Nachweis
einer genügenden wirtschaftlichen Grundlage verlange. Weitere Vorschläge sind:


Agraria.

der Versasser in einem Überwucher» des Pachtsystems, in der schlechten Ver¬
teilung des Grund und Bodens durch zu große Anhäufung des Grundbesitzes
in der toten Hand — die lediglich und hier nicht weit genug bei der Forst¬
wirtschaft von segensreicher Wirkung ist —, in der unzureichenden Größe der
kleinen Bauernstellen und dem ganzen Parzellen umwehen, in der Auswanderung,
in dem Mangel an Wirtschaftskapital und der damit verbundenen Wucherfrei¬
heit und hypothekarischen Belastung, d. i. in der unbegrenzten Verschuldungsfrei¬
heit, in der Konkurrenz mit Ländern, welche erst neu in die Zivilisation eintreten
und daher mit erheblich geringern Kosten arbeiten können, in mangelhafter Fach¬
bildung des Landmannes u. dergl. in. In allen diesen Punkten wird man dem
Verfasser seine Zustimmung nicht versagen können; er hat den richtigen Blick
für die Schäden, die er bloßlegt, ohne Rücksicht auf die Gründe und Ursachen,
denen sie entstammen.

Bei der Frage, ob und wie Abhilfe geschaffen werden kann, zeigt sich der
Verfasser als Pessimist. Die große Verkehrsfreiheit der Gegenwart führt nach
seiner Anschauung zum Untergang, weil er jeden Versuch der Einschränkung
dieser Freiheit für vergeblich hält — „zuletzt hilft nichts." Trotzdem glaubt er,
daß es Mittel giebt, diesen Tod auf möglichst lange Zeit hinauszuschieben. Bei
seinen Heilmitteln spielt die Organisation einer landwirtschaftlichen Statistik
zunächst eine Voraussetzung für die Kur. Der Verfasser will eine Beteiligung
der Landwirtschaft bei dem Volkswirtschaftsrat — den leider inzwischen Partei¬
verblendung gestrichen hat — mit entsprechenden Organisationen für Provinzen
und Kreise. Diesen Behörden soll die Überwachung und Verarbeitung der
Statistik überlassen werden, für welche er ein bestimmtes Formular aufstellt,
das im großen und ganzen auf allgemeine Billigung wird rechnen können.
Obwohl der Großgrundbesitz und namentlich der Fideikommißbesitz als schädlich
nicht anerkannt wird, und obwohl der Verfasser den Wünschen der Sozialdemo¬
kratie auf Verstaatlichung des Grundeigentums mit ebenso ernsten wie zutreffenden
Gründen entgegentritt, so verlangt er doch mit desto größerer Entschiedenheit
eine Parzellirung der Domänen. Er sucht nachzuweisen, daß deren Verwaltung
durch den Staatsbeamten unzureichend und die Kosten (in Preußen Millionen
bei 30 Millionen Domänen) unverhältnismäßig hoch seien. Der Erlös aus den
Domänen soll hauptsächlich zu Aufforstungszwecken verwendet werden, wobei
die Ausführungen über die jetzt bestehenden Mängel von besonderm Interesse
sind. Für die Parzellirung der Domänen und die Konstituirung einer Rente
von selten der ErWerber werden detaillirte Vorschläge gemacht, die einerseits
eine Entwertung des Grund und Bodens und andrerseits eine irrationelle Be¬
wirtschaftung durch den ErWerber verhindern sollen. In letzter Beziehung wird
überhaupt der Wunsch ausgesprochen, daß der Staat gegen das Parzellen¬
unwesen Vorkehrungen treffe und namentlich für Neuansiedlungeu den Nachweis
einer genügenden wirtschaftlichen Grundlage verlange. Weitere Vorschläge sind:


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[0547] Agraria. der Versasser in einem Überwucher» des Pachtsystems, in der schlechten Ver¬ teilung des Grund und Bodens durch zu große Anhäufung des Grundbesitzes in der toten Hand — die lediglich und hier nicht weit genug bei der Forst¬ wirtschaft von segensreicher Wirkung ist —, in der unzureichenden Größe der kleinen Bauernstellen und dem ganzen Parzellen umwehen, in der Auswanderung, in dem Mangel an Wirtschaftskapital und der damit verbundenen Wucherfrei¬ heit und hypothekarischen Belastung, d. i. in der unbegrenzten Verschuldungsfrei¬ heit, in der Konkurrenz mit Ländern, welche erst neu in die Zivilisation eintreten und daher mit erheblich geringern Kosten arbeiten können, in mangelhafter Fach¬ bildung des Landmannes u. dergl. in. In allen diesen Punkten wird man dem Verfasser seine Zustimmung nicht versagen können; er hat den richtigen Blick für die Schäden, die er bloßlegt, ohne Rücksicht auf die Gründe und Ursachen, denen sie entstammen. Bei der Frage, ob und wie Abhilfe geschaffen werden kann, zeigt sich der Verfasser als Pessimist. Die große Verkehrsfreiheit der Gegenwart führt nach seiner Anschauung zum Untergang, weil er jeden Versuch der Einschränkung dieser Freiheit für vergeblich hält — „zuletzt hilft nichts." Trotzdem glaubt er, daß es Mittel giebt, diesen Tod auf möglichst lange Zeit hinauszuschieben. Bei seinen Heilmitteln spielt die Organisation einer landwirtschaftlichen Statistik zunächst eine Voraussetzung für die Kur. Der Verfasser will eine Beteiligung der Landwirtschaft bei dem Volkswirtschaftsrat — den leider inzwischen Partei¬ verblendung gestrichen hat — mit entsprechenden Organisationen für Provinzen und Kreise. Diesen Behörden soll die Überwachung und Verarbeitung der Statistik überlassen werden, für welche er ein bestimmtes Formular aufstellt, das im großen und ganzen auf allgemeine Billigung wird rechnen können. Obwohl der Großgrundbesitz und namentlich der Fideikommißbesitz als schädlich nicht anerkannt wird, und obwohl der Verfasser den Wünschen der Sozialdemo¬ kratie auf Verstaatlichung des Grundeigentums mit ebenso ernsten wie zutreffenden Gründen entgegentritt, so verlangt er doch mit desto größerer Entschiedenheit eine Parzellirung der Domänen. Er sucht nachzuweisen, daß deren Verwaltung durch den Staatsbeamten unzureichend und die Kosten (in Preußen Millionen bei 30 Millionen Domänen) unverhältnismäßig hoch seien. Der Erlös aus den Domänen soll hauptsächlich zu Aufforstungszwecken verwendet werden, wobei die Ausführungen über die jetzt bestehenden Mängel von besonderm Interesse sind. Für die Parzellirung der Domänen und die Konstituirung einer Rente von selten der ErWerber werden detaillirte Vorschläge gemacht, die einerseits eine Entwertung des Grund und Bodens und andrerseits eine irrationelle Be¬ wirtschaftung durch den ErWerber verhindern sollen. In letzter Beziehung wird überhaupt der Wunsch ausgesprochen, daß der Staat gegen das Parzellen¬ unwesen Vorkehrungen treffe und namentlich für Neuansiedlungeu den Nachweis einer genügenden wirtschaftlichen Grundlage verlange. Weitere Vorschläge sind:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/547>, abgerufen am 08.09.2024.