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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Vie Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fvrtsetzu"t,.)
Sechsundvierzigstes Kapitel.

ähreud das alte Schloß der Schauplatz mörderischer Thaten war
und alle seine Gemächer und Korridore von den Erzählungen
dieser Thaten erfüllt waren, blieben nur allein die stillen, ab¬
gelegenen Thurmzimmer Dorvthceus unberührt von den Schrecken
des Tages,

Es war Dorothea nichts davon mitgeteilt worden, daß ein
Duell zwischen dem Grafen von Franeker und dem Freiherrn von Valdeghem
stattgefunden hatte. Auch von der Verlesung jener wichtigen Bestimmung über
die Erbschaft, sowie von der Abreise der hessischen Sextus hatte man ihr nichts
gesagt.

^ Hier, wo das leidende junge Mädchen in der tiefsten Erschütterung ihres
innern sich von jeder Berührung mit der Außenwelt fernhielt, hier herrschte
vollkommene Ruhe, und nur die stille Einsamkeit des Himmels und des Waldes
blickten in das hochgelegene Zimmer herein. Wolken zogen droben vorbei, und
dle unabsehbaren Flächen der herbstlich gefärbten Baumwipfel breiteten sich unter
aus, aber von den Ereignissen der Menschenwelt durfte nichts in das Zimmer
Gingen, wo die im Herzen Getroffene auf Genesung harrte.

Nur Millieeut war bei ihr, und diese treue Freundin verließ sie keinen
Augenblick. Seitdem sie von ihrem Besuche in Scholldorf in der Frühe des
Morgens uach dem Verlobungsfeste zurückgekehrt war, blieb sie unablässig bei
Dorothea. Dein: die Kunde, welche sie von Eberhardt zurückgebracht hatte, war
^vn tief ergreifender Wirkung auf die Unglückliche gewesen, und ihr Zustand
^air so beunruhigend, daß Millicent es nicht wagte, sich anch uur für eine Stunde
von der Freundin zu entfernen. Mit glänzenden, fieberhaften Angen blickte
Dorothea um sich und wiederholte immer wieder, ohne doch, wie es schien,
wissen, was sie sprach, alle die Klagen, in welchen sie ihr Leid der ver¬
gangnen Zeit schon so oft gegen Millieeut ausgeströmt hatte. Erst gegen Morgen
' w der zweiten Nacht nach jenem Feste, welches die entscheidende traurige Wen¬
dung ihres Schicksals zu bezeichnen bestimmt erschien, siegte die jugendliche Kraft


Grenzboten III. 1883. 66


Vie Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fvrtsetzu»t,.)
Sechsundvierzigstes Kapitel.

ähreud das alte Schloß der Schauplatz mörderischer Thaten war
und alle seine Gemächer und Korridore von den Erzählungen
dieser Thaten erfüllt waren, blieben nur allein die stillen, ab¬
gelegenen Thurmzimmer Dorvthceus unberührt von den Schrecken
des Tages,

Es war Dorothea nichts davon mitgeteilt worden, daß ein
Duell zwischen dem Grafen von Franeker und dem Freiherrn von Valdeghem
stattgefunden hatte. Auch von der Verlesung jener wichtigen Bestimmung über
die Erbschaft, sowie von der Abreise der hessischen Sextus hatte man ihr nichts
gesagt.

^ Hier, wo das leidende junge Mädchen in der tiefsten Erschütterung ihres
innern sich von jeder Berührung mit der Außenwelt fernhielt, hier herrschte
vollkommene Ruhe, und nur die stille Einsamkeit des Himmels und des Waldes
blickten in das hochgelegene Zimmer herein. Wolken zogen droben vorbei, und
dle unabsehbaren Flächen der herbstlich gefärbten Baumwipfel breiteten sich unter
aus, aber von den Ereignissen der Menschenwelt durfte nichts in das Zimmer
Gingen, wo die im Herzen Getroffene auf Genesung harrte.

Nur Millieeut war bei ihr, und diese treue Freundin verließ sie keinen
Augenblick. Seitdem sie von ihrem Besuche in Scholldorf in der Frühe des
Morgens uach dem Verlobungsfeste zurückgekehrt war, blieb sie unablässig bei
Dorothea. Dein: die Kunde, welche sie von Eberhardt zurückgebracht hatte, war
^vn tief ergreifender Wirkung auf die Unglückliche gewesen, und ihr Zustand
^air so beunruhigend, daß Millicent es nicht wagte, sich anch uur für eine Stunde
von der Freundin zu entfernen. Mit glänzenden, fieberhaften Angen blickte
Dorothea um sich und wiederholte immer wieder, ohne doch, wie es schien,
wissen, was sie sprach, alle die Klagen, in welchen sie ihr Leid der ver¬
gangnen Zeit schon so oft gegen Millieeut ausgeströmt hatte. Erst gegen Morgen
' w der zweiten Nacht nach jenem Feste, welches die entscheidende traurige Wen¬
dung ihres Schicksals zu bezeichnen bestimmt erschien, siegte die jugendliche Kraft


Grenzboten III. 1883. 66
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[0529] Vie Grafen von Altenschwerdt. August Niemann Roman von(Gotha). (Fvrtsetzu»t,.) Sechsundvierzigstes Kapitel. ähreud das alte Schloß der Schauplatz mörderischer Thaten war und alle seine Gemächer und Korridore von den Erzählungen dieser Thaten erfüllt waren, blieben nur allein die stillen, ab¬ gelegenen Thurmzimmer Dorvthceus unberührt von den Schrecken des Tages, Es war Dorothea nichts davon mitgeteilt worden, daß ein Duell zwischen dem Grafen von Franeker und dem Freiherrn von Valdeghem stattgefunden hatte. Auch von der Verlesung jener wichtigen Bestimmung über die Erbschaft, sowie von der Abreise der hessischen Sextus hatte man ihr nichts gesagt. ^ Hier, wo das leidende junge Mädchen in der tiefsten Erschütterung ihres innern sich von jeder Berührung mit der Außenwelt fernhielt, hier herrschte vollkommene Ruhe, und nur die stille Einsamkeit des Himmels und des Waldes blickten in das hochgelegene Zimmer herein. Wolken zogen droben vorbei, und dle unabsehbaren Flächen der herbstlich gefärbten Baumwipfel breiteten sich unter aus, aber von den Ereignissen der Menschenwelt durfte nichts in das Zimmer Gingen, wo die im Herzen Getroffene auf Genesung harrte. Nur Millieeut war bei ihr, und diese treue Freundin verließ sie keinen Augenblick. Seitdem sie von ihrem Besuche in Scholldorf in der Frühe des Morgens uach dem Verlobungsfeste zurückgekehrt war, blieb sie unablässig bei Dorothea. Dein: die Kunde, welche sie von Eberhardt zurückgebracht hatte, war ^vn tief ergreifender Wirkung auf die Unglückliche gewesen, und ihr Zustand ^air so beunruhigend, daß Millicent es nicht wagte, sich anch uur für eine Stunde von der Freundin zu entfernen. Mit glänzenden, fieberhaften Angen blickte Dorothea um sich und wiederholte immer wieder, ohne doch, wie es schien, wissen, was sie sprach, alle die Klagen, in welchen sie ihr Leid der ver¬ gangnen Zeit schon so oft gegen Millieeut ausgeströmt hatte. Erst gegen Morgen ' w der zweiten Nacht nach jenem Feste, welches die entscheidende traurige Wen¬ dung ihres Schicksals zu bezeichnen bestimmt erschien, siegte die jugendliche Kraft Grenzboten III. 1883. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/529>, abgerufen am 08.09.2024.