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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
Fu'nfundvierzigstes Aapitel.

Eberhardt hatte die Gemächer der Gräfin in einer wunderbaren Stimmung
verlassen. Es war ihm, als werde für seinen Blick der Schleier gelüftet, welcher
die Ratschlüsse der Vorsehung verhüllt, und als sehe er im Wirrsal der irdischen
Ereignisse d:e klare Ordnung der Gottheit, die Gut und Böse nach den Ge¬
setzen unterscheidet, welche die Handlungen der Menschen in sich selber tragen.
Er fühlte, daß der verwirrte Knoten seines Lebensschicksals sich nach einer
höhern Fügung zu lösen beginne, und daß die Gräfin selbst im Übermaß ihrer
Verbrechen das eigne Gewebe zerstöre, worin sie gehofft hatte ihn und die Ge¬
liebte zu fesseln und zu vernichten. Überzeugt, daß sie es diesmal nicht wagen
werde, seine Stimme zu mißachten, und daß dann die notwendige Folge der
Begebenheiten seine Wünsche zur Erfüllung bringen werde, wollte er das Schloß
ruhig verlassen und nach ischolldorf zurückkehren, als ihn ein Diener anredete,
der auf dem Korridor auf ihn gewartet hatte, und ihm die Bitte des Barons,
ehr zu besuchen, ausrichtete,

Eberhardt folgte dem Diener und ward in das Arbeitszimmer des alten
Herrn geführt.

Baron Sextus erhob sich aus seinem Lehnstuhl vor dem Arbeitstisch, als
der junge Mann ins Zimmer trat, und ging ihm einige Schritte entgegen.
Als sich beide Männer einander gegenüberstanden und sich prüfend betrachteten,
gewahrte Eberhardt eine Veränderung in dem Wesen des Alten, die sich im
Zeitraume weniger Wochen vollzogen hatte. Die stramme Haltung des ehe¬
maligen Reitero^fiziers war wohl nicht ganz verschwunden, aber sie trat nicht
mehr so charakteristisch hervor wie ehemals, und das braunrote Gesicht zeigte
eine Spur von Ermüdung, die Eberhardt nicht an ihm kannte. Es war er¬
sichtlich, daß die Aufregungen der letzten Zeit, ein innerer Kampf in dem stolzen
Herzen des trotzigen Edelmannes, an ihm gezehrt hatten, und daß die Schmerzen,
welche das liebende Paar in dem Streite zwischen gesellschaftlichen Vorurteilen
und dem Drange ihrer Seelen erlitten hatte, anch auf das Leben dieses rüstigen
Vertreters seines Standes eingewirkt hatten, weil er doch auch Vater war.
Und was Eberhardt nicht ahnen konnte -- ein andrer Schmerz, ein Leiden von
fast noch mehr einschneidender Wirkung bohrte an ihm: die Entdeckung, daß er
die Hoffnung und Neigung seines eignen Herzens noch im Alter auf einen un¬
würdigen Gegenstand gewandt habe. Sein tiefverletzter Stolz und die Kränkung
eines nach spätem Glucke sich sehnenden Gemütes nagten an ihm und prägten
ehre niederbeugende Wirkung seiner äußern Erscheinung auf.

Während Eberhardt diesen Eindruck bei seiner Begegnung mit dem alten
Herrn gewann und schweigend vor ihm stand, in Erwartung dessen, was der¬
selbe ihm zu sagen habe, betrachtete auch Baron Sextus ihn prüfend und voller
Spannung wegen der Entwicklung der Begebenheiten, die ihn rätselhaft um¬
schlangen. Nachdem sich seine Gedanken soviel mit dem Abwesenden beschäftigt
hatten, und in dem Gefühl der Wichtigkeit, welche diese Persönlichkeit im Laufe
der letzten Monate für ihn erhalten hatte, suchte er aus dem Gesichtsausdruck
und der Haltung des jungen Mannes, noch ehe er ihn anredete, herauszulesen,
mit wem er es zu thun habe. Er mußte sich dabei gestehen, daß er sich kein
Antlitz und kein Auftreten vorstellen könne, welches mehr als dieses geeignet
sein konnte, ein günstiges Vorurteil zu erwecken. Das instinktive Gefühl, welches


Grenzboten III. 1883. 50
Die Grafen von Altenschwerdt.
Fu'nfundvierzigstes Aapitel.

Eberhardt hatte die Gemächer der Gräfin in einer wunderbaren Stimmung
verlassen. Es war ihm, als werde für seinen Blick der Schleier gelüftet, welcher
die Ratschlüsse der Vorsehung verhüllt, und als sehe er im Wirrsal der irdischen
Ereignisse d:e klare Ordnung der Gottheit, die Gut und Böse nach den Ge¬
setzen unterscheidet, welche die Handlungen der Menschen in sich selber tragen.
Er fühlte, daß der verwirrte Knoten seines Lebensschicksals sich nach einer
höhern Fügung zu lösen beginne, und daß die Gräfin selbst im Übermaß ihrer
Verbrechen das eigne Gewebe zerstöre, worin sie gehofft hatte ihn und die Ge¬
liebte zu fesseln und zu vernichten. Überzeugt, daß sie es diesmal nicht wagen
werde, seine Stimme zu mißachten, und daß dann die notwendige Folge der
Begebenheiten seine Wünsche zur Erfüllung bringen werde, wollte er das Schloß
ruhig verlassen und nach ischolldorf zurückkehren, als ihn ein Diener anredete,
der auf dem Korridor auf ihn gewartet hatte, und ihm die Bitte des Barons,
ehr zu besuchen, ausrichtete,

Eberhardt folgte dem Diener und ward in das Arbeitszimmer des alten
Herrn geführt.

Baron Sextus erhob sich aus seinem Lehnstuhl vor dem Arbeitstisch, als
der junge Mann ins Zimmer trat, und ging ihm einige Schritte entgegen.
Als sich beide Männer einander gegenüberstanden und sich prüfend betrachteten,
gewahrte Eberhardt eine Veränderung in dem Wesen des Alten, die sich im
Zeitraume weniger Wochen vollzogen hatte. Die stramme Haltung des ehe¬
maligen Reitero^fiziers war wohl nicht ganz verschwunden, aber sie trat nicht
mehr so charakteristisch hervor wie ehemals, und das braunrote Gesicht zeigte
eine Spur von Ermüdung, die Eberhardt nicht an ihm kannte. Es war er¬
sichtlich, daß die Aufregungen der letzten Zeit, ein innerer Kampf in dem stolzen
Herzen des trotzigen Edelmannes, an ihm gezehrt hatten, und daß die Schmerzen,
welche das liebende Paar in dem Streite zwischen gesellschaftlichen Vorurteilen
und dem Drange ihrer Seelen erlitten hatte, anch auf das Leben dieses rüstigen
Vertreters seines Standes eingewirkt hatten, weil er doch auch Vater war.
Und was Eberhardt nicht ahnen konnte — ein andrer Schmerz, ein Leiden von
fast noch mehr einschneidender Wirkung bohrte an ihm: die Entdeckung, daß er
die Hoffnung und Neigung seines eignen Herzens noch im Alter auf einen un¬
würdigen Gegenstand gewandt habe. Sein tiefverletzter Stolz und die Kränkung
eines nach spätem Glucke sich sehnenden Gemütes nagten an ihm und prägten
ehre niederbeugende Wirkung seiner äußern Erscheinung auf.

Während Eberhardt diesen Eindruck bei seiner Begegnung mit dem alten
Herrn gewann und schweigend vor ihm stand, in Erwartung dessen, was der¬
selbe ihm zu sagen habe, betrachtete auch Baron Sextus ihn prüfend und voller
Spannung wegen der Entwicklung der Begebenheiten, die ihn rätselhaft um¬
schlangen. Nachdem sich seine Gedanken soviel mit dem Abwesenden beschäftigt
hatten, und in dem Gefühl der Wichtigkeit, welche diese Persönlichkeit im Laufe
der letzten Monate für ihn erhalten hatte, suchte er aus dem Gesichtsausdruck
und der Haltung des jungen Mannes, noch ehe er ihn anredete, herauszulesen,
mit wem er es zu thun habe. Er mußte sich dabei gestehen, daß er sich kein
Antlitz und kein Auftreten vorstellen könne, welches mehr als dieses geeignet
sein konnte, ein günstiges Vorurteil zu erwecken. Das instinktive Gefühl, welches


Grenzboten III. 1883. 50
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[0481] Die Grafen von Altenschwerdt. Fu'nfundvierzigstes Aapitel. Eberhardt hatte die Gemächer der Gräfin in einer wunderbaren Stimmung verlassen. Es war ihm, als werde für seinen Blick der Schleier gelüftet, welcher die Ratschlüsse der Vorsehung verhüllt, und als sehe er im Wirrsal der irdischen Ereignisse d:e klare Ordnung der Gottheit, die Gut und Böse nach den Ge¬ setzen unterscheidet, welche die Handlungen der Menschen in sich selber tragen. Er fühlte, daß der verwirrte Knoten seines Lebensschicksals sich nach einer höhern Fügung zu lösen beginne, und daß die Gräfin selbst im Übermaß ihrer Verbrechen das eigne Gewebe zerstöre, worin sie gehofft hatte ihn und die Ge¬ liebte zu fesseln und zu vernichten. Überzeugt, daß sie es diesmal nicht wagen werde, seine Stimme zu mißachten, und daß dann die notwendige Folge der Begebenheiten seine Wünsche zur Erfüllung bringen werde, wollte er das Schloß ruhig verlassen und nach ischolldorf zurückkehren, als ihn ein Diener anredete, der auf dem Korridor auf ihn gewartet hatte, und ihm die Bitte des Barons, ehr zu besuchen, ausrichtete, Eberhardt folgte dem Diener und ward in das Arbeitszimmer des alten Herrn geführt. Baron Sextus erhob sich aus seinem Lehnstuhl vor dem Arbeitstisch, als der junge Mann ins Zimmer trat, und ging ihm einige Schritte entgegen. Als sich beide Männer einander gegenüberstanden und sich prüfend betrachteten, gewahrte Eberhardt eine Veränderung in dem Wesen des Alten, die sich im Zeitraume weniger Wochen vollzogen hatte. Die stramme Haltung des ehe¬ maligen Reitero^fiziers war wohl nicht ganz verschwunden, aber sie trat nicht mehr so charakteristisch hervor wie ehemals, und das braunrote Gesicht zeigte eine Spur von Ermüdung, die Eberhardt nicht an ihm kannte. Es war er¬ sichtlich, daß die Aufregungen der letzten Zeit, ein innerer Kampf in dem stolzen Herzen des trotzigen Edelmannes, an ihm gezehrt hatten, und daß die Schmerzen, welche das liebende Paar in dem Streite zwischen gesellschaftlichen Vorurteilen und dem Drange ihrer Seelen erlitten hatte, anch auf das Leben dieses rüstigen Vertreters seines Standes eingewirkt hatten, weil er doch auch Vater war. Und was Eberhardt nicht ahnen konnte — ein andrer Schmerz, ein Leiden von fast noch mehr einschneidender Wirkung bohrte an ihm: die Entdeckung, daß er die Hoffnung und Neigung seines eignen Herzens noch im Alter auf einen un¬ würdigen Gegenstand gewandt habe. Sein tiefverletzter Stolz und die Kränkung eines nach spätem Glucke sich sehnenden Gemütes nagten an ihm und prägten ehre niederbeugende Wirkung seiner äußern Erscheinung auf. Während Eberhardt diesen Eindruck bei seiner Begegnung mit dem alten Herrn gewann und schweigend vor ihm stand, in Erwartung dessen, was der¬ selbe ihm zu sagen habe, betrachtete auch Baron Sextus ihn prüfend und voller Spannung wegen der Entwicklung der Begebenheiten, die ihn rätselhaft um¬ schlangen. Nachdem sich seine Gedanken soviel mit dem Abwesenden beschäftigt hatten, und in dem Gefühl der Wichtigkeit, welche diese Persönlichkeit im Laufe der letzten Monate für ihn erhalten hatte, suchte er aus dem Gesichtsausdruck und der Haltung des jungen Mannes, noch ehe er ihn anredete, herauszulesen, mit wem er es zu thun habe. Er mußte sich dabei gestehen, daß er sich kein Antlitz und kein Auftreten vorstellen könne, welches mehr als dieses geeignet sein konnte, ein günstiges Vorurteil zu erwecken. Das instinktive Gefühl, welches Grenzboten III. 1883. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/481>, abgerufen am 05.12.2024.