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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Don Atome.

mit welchem die Erzählung von Don Atome in Anlage und Tendenz eine ent¬
schiedn" Verwandtschaft hat.

Ein besondrer Vorzug Waldmüllers ist die ungemeine Anschaulichkeit seiner
Erzählung; es giebt kaum ein Buch, das dem Griffel des Zeichners ein solche
Fülle packend komischer Situationen zum Malen fertig lieferte. Damit soll
keineswegs der Wunsch nach einer illustrirten Ausgabe ausgesprochen sein; der
Genuß des Lesens wird ja durch Illustrationen selten oder nie erhöht, eher
beeinträchtigt; man kann aber dem erzählenden Schriftsteller wohl kaum ein
besseres Zeugnis dafür, daß er gut erzählt hat, ausstellen, als wenn sich bei
der Lektüre unwillkürlich in der Brust des Lesers der Wunsch regt, er möchte
imstande sein, das ihm so deutlich und greifbar vor Augen stehende Bild mit
dem Griffel festzuhalten. Und das geschieht bei Waldmüllers Buch fast auf
jeder Seite.

Gleich im Anfange der Erzählung gewahren wir diese Gabe. Don Adones
Mutter soll feierlich bestattet werden. Da zeigt sich in dem geöffneten Sarge
das schwarze Lieblingskätzchen der Verstorbenen; das Gefolge entflieht unter dem
entsetzten Rufe: II älavolo, it äiavolo! und in der Kirche bleiben nur Don
Atome und Fiammetta zurück und sind Zeuge des Vorganges, wie Signora
Trasi vom Scheintode wieder erwacht, freilich nur. um bald darauf endgiltig
das Zeitliche zu segnen. Die Flucht des Gefolges, die furchtsame Erregung
des abergläubischen Don Atome, die unbefangne Neugierde Fiammettas, die der
Auferstehung ihrer Herrin aus nächster Nähe, den Zeigefinger am geöffneten
Munde, gespannten Blickes zuschaut, die unter Führung des beschwörenden
Priesters wieder andringende Menge, über deren Köpfe hinweg die geängstete
Katze entspringt, und dazu der lachende Sonnenschein, der plätschernde Brunnen,
die gurrenden Tauben in der Umgebung der Kirche, das alles giebt so viele
wechselnde und fesselnde Bilder, daß man aus der Lust des innern Schauens
nicht herauskommt; man ist selbst Zeuge jener Vorgänge, deren Komik ohne
jede Aufdringlichkeit oder Absichtlichkeit aus der scheinbar so schlichten Erzählung
hervorleuchtet. Aber auch die Charaktere heben sich gleich in dieser Szene scharf
von einander ab. Der übermäßig gefühlsweiche und durch die Lektüre von
Teufelsbüchern in seinem Aberglauben nur bestärkte Sohn würde auch seiner¬
seits am liebsten vor der Mutter, deren Wiedererwachen er für Teufelsspuk
hält, die Flucht ergreifen; aber die in ihr-r derben Natürlichkeit durch die Selt¬
samkeit des Vorganges aufs höchste gefesselte Fiammetta hält ihn mit zurück,
ist der scheintoten behilflich, sich aufzurichten und macht den praktischen Vor¬
schlag, sie im Backtrog des Nachbars schnell und bequem nach Hause zu schaffen;
sie kann aber nicht umhin, ihrer wiedererwachten Herrin und Pathe unumwunden
zu erkennen zu geben, daß die Seltsamkeit des Vorganges ihr weitaus an der
ganzen Sache das Jnteressanteste ist. "Welch ein Glück, daß Euer Sohn mir
erlaubt hatte, sagte sie, das Totenmahl warmzustellen und nicht während des


Don Atome.

mit welchem die Erzählung von Don Atome in Anlage und Tendenz eine ent¬
schiedn« Verwandtschaft hat.

Ein besondrer Vorzug Waldmüllers ist die ungemeine Anschaulichkeit seiner
Erzählung; es giebt kaum ein Buch, das dem Griffel des Zeichners ein solche
Fülle packend komischer Situationen zum Malen fertig lieferte. Damit soll
keineswegs der Wunsch nach einer illustrirten Ausgabe ausgesprochen sein; der
Genuß des Lesens wird ja durch Illustrationen selten oder nie erhöht, eher
beeinträchtigt; man kann aber dem erzählenden Schriftsteller wohl kaum ein
besseres Zeugnis dafür, daß er gut erzählt hat, ausstellen, als wenn sich bei
der Lektüre unwillkürlich in der Brust des Lesers der Wunsch regt, er möchte
imstande sein, das ihm so deutlich und greifbar vor Augen stehende Bild mit
dem Griffel festzuhalten. Und das geschieht bei Waldmüllers Buch fast auf
jeder Seite.

Gleich im Anfange der Erzählung gewahren wir diese Gabe. Don Adones
Mutter soll feierlich bestattet werden. Da zeigt sich in dem geöffneten Sarge
das schwarze Lieblingskätzchen der Verstorbenen; das Gefolge entflieht unter dem
entsetzten Rufe: II älavolo, it äiavolo! und in der Kirche bleiben nur Don
Atome und Fiammetta zurück und sind Zeuge des Vorganges, wie Signora
Trasi vom Scheintode wieder erwacht, freilich nur. um bald darauf endgiltig
das Zeitliche zu segnen. Die Flucht des Gefolges, die furchtsame Erregung
des abergläubischen Don Atome, die unbefangne Neugierde Fiammettas, die der
Auferstehung ihrer Herrin aus nächster Nähe, den Zeigefinger am geöffneten
Munde, gespannten Blickes zuschaut, die unter Führung des beschwörenden
Priesters wieder andringende Menge, über deren Köpfe hinweg die geängstete
Katze entspringt, und dazu der lachende Sonnenschein, der plätschernde Brunnen,
die gurrenden Tauben in der Umgebung der Kirche, das alles giebt so viele
wechselnde und fesselnde Bilder, daß man aus der Lust des innern Schauens
nicht herauskommt; man ist selbst Zeuge jener Vorgänge, deren Komik ohne
jede Aufdringlichkeit oder Absichtlichkeit aus der scheinbar so schlichten Erzählung
hervorleuchtet. Aber auch die Charaktere heben sich gleich in dieser Szene scharf
von einander ab. Der übermäßig gefühlsweiche und durch die Lektüre von
Teufelsbüchern in seinem Aberglauben nur bestärkte Sohn würde auch seiner¬
seits am liebsten vor der Mutter, deren Wiedererwachen er für Teufelsspuk
hält, die Flucht ergreifen; aber die in ihr-r derben Natürlichkeit durch die Selt¬
samkeit des Vorganges aufs höchste gefesselte Fiammetta hält ihn mit zurück,
ist der scheintoten behilflich, sich aufzurichten und macht den praktischen Vor¬
schlag, sie im Backtrog des Nachbars schnell und bequem nach Hause zu schaffen;
sie kann aber nicht umhin, ihrer wiedererwachten Herrin und Pathe unumwunden
zu erkennen zu geben, daß die Seltsamkeit des Vorganges ihr weitaus an der
ganzen Sache das Jnteressanteste ist. „Welch ein Glück, daß Euer Sohn mir
erlaubt hatte, sagte sie, das Totenmahl warmzustellen und nicht während des


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[0471] Don Atome. mit welchem die Erzählung von Don Atome in Anlage und Tendenz eine ent¬ schiedn« Verwandtschaft hat. Ein besondrer Vorzug Waldmüllers ist die ungemeine Anschaulichkeit seiner Erzählung; es giebt kaum ein Buch, das dem Griffel des Zeichners ein solche Fülle packend komischer Situationen zum Malen fertig lieferte. Damit soll keineswegs der Wunsch nach einer illustrirten Ausgabe ausgesprochen sein; der Genuß des Lesens wird ja durch Illustrationen selten oder nie erhöht, eher beeinträchtigt; man kann aber dem erzählenden Schriftsteller wohl kaum ein besseres Zeugnis dafür, daß er gut erzählt hat, ausstellen, als wenn sich bei der Lektüre unwillkürlich in der Brust des Lesers der Wunsch regt, er möchte imstande sein, das ihm so deutlich und greifbar vor Augen stehende Bild mit dem Griffel festzuhalten. Und das geschieht bei Waldmüllers Buch fast auf jeder Seite. Gleich im Anfange der Erzählung gewahren wir diese Gabe. Don Adones Mutter soll feierlich bestattet werden. Da zeigt sich in dem geöffneten Sarge das schwarze Lieblingskätzchen der Verstorbenen; das Gefolge entflieht unter dem entsetzten Rufe: II älavolo, it äiavolo! und in der Kirche bleiben nur Don Atome und Fiammetta zurück und sind Zeuge des Vorganges, wie Signora Trasi vom Scheintode wieder erwacht, freilich nur. um bald darauf endgiltig das Zeitliche zu segnen. Die Flucht des Gefolges, die furchtsame Erregung des abergläubischen Don Atome, die unbefangne Neugierde Fiammettas, die der Auferstehung ihrer Herrin aus nächster Nähe, den Zeigefinger am geöffneten Munde, gespannten Blickes zuschaut, die unter Führung des beschwörenden Priesters wieder andringende Menge, über deren Köpfe hinweg die geängstete Katze entspringt, und dazu der lachende Sonnenschein, der plätschernde Brunnen, die gurrenden Tauben in der Umgebung der Kirche, das alles giebt so viele wechselnde und fesselnde Bilder, daß man aus der Lust des innern Schauens nicht herauskommt; man ist selbst Zeuge jener Vorgänge, deren Komik ohne jede Aufdringlichkeit oder Absichtlichkeit aus der scheinbar so schlichten Erzählung hervorleuchtet. Aber auch die Charaktere heben sich gleich in dieser Szene scharf von einander ab. Der übermäßig gefühlsweiche und durch die Lektüre von Teufelsbüchern in seinem Aberglauben nur bestärkte Sohn würde auch seiner¬ seits am liebsten vor der Mutter, deren Wiedererwachen er für Teufelsspuk hält, die Flucht ergreifen; aber die in ihr-r derben Natürlichkeit durch die Selt¬ samkeit des Vorganges aufs höchste gefesselte Fiammetta hält ihn mit zurück, ist der scheintoten behilflich, sich aufzurichten und macht den praktischen Vor¬ schlag, sie im Backtrog des Nachbars schnell und bequem nach Hause zu schaffen; sie kann aber nicht umhin, ihrer wiedererwachten Herrin und Pathe unumwunden zu erkennen zu geben, daß die Seltsamkeit des Vorganges ihr weitaus an der ganzen Sache das Jnteressanteste ist. „Welch ein Glück, daß Euer Sohn mir erlaubt hatte, sagte sie, das Totenmahl warmzustellen und nicht während des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/471>, abgerufen am 08.09.2024.