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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Don Atome.

geboten hat, und mit dem Wunsche, daß es ihm, der schon sechzehn Lebensjahre
seiner Ausgabe gewidmet hat, bald vergönnt sein möge, dieselbe zum glücklichen
Ende zu führen. Zu der einen dann gewonnenen vollständigen und sichern
Grundlage für das Studium Haydns möge sich als zweite recht bald eine Ge¬
samtausgabe seiner Werke gesellen. Was bei Mozart in so preiswürdiger
Weise durchgeführt ist, wird sich auch bei seinem ebenbürtigen ältern Kunst¬
genossen ermöglichen lassen, und noch größer dürfte hier die Zahl der bisher
unbekannten Kompositionen sein. Unsre Vorväter lebten in Zeiten königlichen
Überflusses. So reichlich strömten die Kunstgaben auf sie nieder, daß es un¬
möglich war, sie sämtlich mit Würdigung zu genießen. Gegen jene Zeiten sind
wir Bettler geworden. So möge ihr überflüssiger Reichtum von uns nicht un¬
genutzt bleiben.


Philipp Spitta.


Don Atome.

me literarische Sommerfrische für den vom Treiben des Tages
ermüdeten und von der Prosa des Lebens mürbe gemachten Geist --
so könnte man Robert Waldmüllers neueste Erzählung Don
Atome mit Recht nennen.*) Sie gehört zu jenen eigentümlichen
Schöpfungen, die den Leser in ihre Welt völlig hineinziehen,
ihn für eine Zeit zum Mitbürger dieser schönen, heitern Welt machen, deren
reinen Äther er mit Wohlbehagen einzieht, und aus der er dann erquickt, er¬
frischt wieder zum Erdenleben herabsteigt. Nicht als ob wir es hier mit über-
schwänglich hohen Dingen zu thun hätten -- der Held der Erzählung ist eine
derbe, tölpelhafte Natur, und seine Erlebnisse sind oft sehr grobkörniger Art --
aber die ganze Stimmung des Buches ist eine so freie, heitere, wirklich poetische,
daß wir uns hier dem leichten Spiele der dichterischen Einbildungskraft nur zu
gern überlassen.

Schon die Einleitung ist mit feiner Kunst geschrieben und daraus berechnet,
unsre Neugierde anzuregen. Die Objektivität des Erzählers geht soweit, daß er
diese Einleitung nicht einmal in eignem Namen giebt, sondern das, was er über
seinen angeblichen Gewährsmann geglaubt wissen will, in einem Gespräche von



*) Don Atome. Dem berühmten Fabulantcn von der "Spiaggia della Marinella"
in Neapel, Gian Francesco Sabattini, nacherzählt von Robert Waldmüller. 2 Bände.
Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1833.
Don Atome.

geboten hat, und mit dem Wunsche, daß es ihm, der schon sechzehn Lebensjahre
seiner Ausgabe gewidmet hat, bald vergönnt sein möge, dieselbe zum glücklichen
Ende zu führen. Zu der einen dann gewonnenen vollständigen und sichern
Grundlage für das Studium Haydns möge sich als zweite recht bald eine Ge¬
samtausgabe seiner Werke gesellen. Was bei Mozart in so preiswürdiger
Weise durchgeführt ist, wird sich auch bei seinem ebenbürtigen ältern Kunst¬
genossen ermöglichen lassen, und noch größer dürfte hier die Zahl der bisher
unbekannten Kompositionen sein. Unsre Vorväter lebten in Zeiten königlichen
Überflusses. So reichlich strömten die Kunstgaben auf sie nieder, daß es un¬
möglich war, sie sämtlich mit Würdigung zu genießen. Gegen jene Zeiten sind
wir Bettler geworden. So möge ihr überflüssiger Reichtum von uns nicht un¬
genutzt bleiben.


Philipp Spitta.


Don Atome.

me literarische Sommerfrische für den vom Treiben des Tages
ermüdeten und von der Prosa des Lebens mürbe gemachten Geist —
so könnte man Robert Waldmüllers neueste Erzählung Don
Atome mit Recht nennen.*) Sie gehört zu jenen eigentümlichen
Schöpfungen, die den Leser in ihre Welt völlig hineinziehen,
ihn für eine Zeit zum Mitbürger dieser schönen, heitern Welt machen, deren
reinen Äther er mit Wohlbehagen einzieht, und aus der er dann erquickt, er¬
frischt wieder zum Erdenleben herabsteigt. Nicht als ob wir es hier mit über-
schwänglich hohen Dingen zu thun hätten — der Held der Erzählung ist eine
derbe, tölpelhafte Natur, und seine Erlebnisse sind oft sehr grobkörniger Art —
aber die ganze Stimmung des Buches ist eine so freie, heitere, wirklich poetische,
daß wir uns hier dem leichten Spiele der dichterischen Einbildungskraft nur zu
gern überlassen.

Schon die Einleitung ist mit feiner Kunst geschrieben und daraus berechnet,
unsre Neugierde anzuregen. Die Objektivität des Erzählers geht soweit, daß er
diese Einleitung nicht einmal in eignem Namen giebt, sondern das, was er über
seinen angeblichen Gewährsmann geglaubt wissen will, in einem Gespräche von



*) Don Atome. Dem berühmten Fabulantcn von der „Spiaggia della Marinella"
in Neapel, Gian Francesco Sabattini, nacherzählt von Robert Waldmüller. 2 Bände.
Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1833.
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[0469] Don Atome. geboten hat, und mit dem Wunsche, daß es ihm, der schon sechzehn Lebensjahre seiner Ausgabe gewidmet hat, bald vergönnt sein möge, dieselbe zum glücklichen Ende zu führen. Zu der einen dann gewonnenen vollständigen und sichern Grundlage für das Studium Haydns möge sich als zweite recht bald eine Ge¬ samtausgabe seiner Werke gesellen. Was bei Mozart in so preiswürdiger Weise durchgeführt ist, wird sich auch bei seinem ebenbürtigen ältern Kunst¬ genossen ermöglichen lassen, und noch größer dürfte hier die Zahl der bisher unbekannten Kompositionen sein. Unsre Vorväter lebten in Zeiten königlichen Überflusses. So reichlich strömten die Kunstgaben auf sie nieder, daß es un¬ möglich war, sie sämtlich mit Würdigung zu genießen. Gegen jene Zeiten sind wir Bettler geworden. So möge ihr überflüssiger Reichtum von uns nicht un¬ genutzt bleiben. Philipp Spitta. Don Atome. me literarische Sommerfrische für den vom Treiben des Tages ermüdeten und von der Prosa des Lebens mürbe gemachten Geist — so könnte man Robert Waldmüllers neueste Erzählung Don Atome mit Recht nennen.*) Sie gehört zu jenen eigentümlichen Schöpfungen, die den Leser in ihre Welt völlig hineinziehen, ihn für eine Zeit zum Mitbürger dieser schönen, heitern Welt machen, deren reinen Äther er mit Wohlbehagen einzieht, und aus der er dann erquickt, er¬ frischt wieder zum Erdenleben herabsteigt. Nicht als ob wir es hier mit über- schwänglich hohen Dingen zu thun hätten — der Held der Erzählung ist eine derbe, tölpelhafte Natur, und seine Erlebnisse sind oft sehr grobkörniger Art — aber die ganze Stimmung des Buches ist eine so freie, heitere, wirklich poetische, daß wir uns hier dem leichten Spiele der dichterischen Einbildungskraft nur zu gern überlassen. Schon die Einleitung ist mit feiner Kunst geschrieben und daraus berechnet, unsre Neugierde anzuregen. Die Objektivität des Erzählers geht soweit, daß er diese Einleitung nicht einmal in eignem Namen giebt, sondern das, was er über seinen angeblichen Gewährsmann geglaubt wissen will, in einem Gespräche von *) Don Atome. Dem berühmten Fabulantcn von der „Spiaggia della Marinella" in Neapel, Gian Francesco Sabattini, nacherzählt von Robert Waldmüller. 2 Bände. Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1833.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/469>, abgerufen am 08.09.2024.