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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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<L. F. podis Lzaydn-Biographie.

nur sein Streben nach Popularisirung des Stoffes zum gelegentlichen Einstreuen
solcher Stellen. Ich fürchte nur, er ist einem Trugbilde nachgegangen. Zur
angenehmen Unterhaltung für einen großen Leserkreis ist sein Buch nicht ge¬
macht, eben wegen seines stark hervortretenden antiquarischen Charakters. Und
weil es diesen Charakter hat, darum berühren solche Stellen fremdartig und
machen einen unharmonischen Eindruck. Das Buch hat Gehalt und Wert genug
auch ohne sie.

Es ist unmöglich, auch nur einen namhaften Teil der einzelnen Angaben
auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Gerade einer solchen Arbeit gegenüber gilt in
vollem Maße, was Lessing einmal äußert: es müsse merkwürdig zugehen, wenn
der Kritiker von der Sache nicht weniger verstünde als der Autor. Der Leser
hat indessen durchweg so ganz den Eindruck vollster Zuverlässigkeit, daß er sehr
bald in das angenehme Gefühl kommt, es sei eine Nachprüfung hier auch gar¬
nicht nötig. Irrtümer werden sich natürlich auch in diesem Buche finden, einzelne
thatsächliche Ergänzungen werden gemacht werden können; aber was will das
sagen? Einige Kleinigkeiten, die mir zufällig aufgestoßen sind, mögen hier be¬
merkt werden. Johann Friedrich niste soll nach I, 120 ein Jahr vor Haydns
Tode, also 1808, in Wien gewesen sein und hier mit Haydn verkehrt haben.
Dasselbe Jahr nimmt in "Beethovens Leben" III, 62 auch Thayer an. niste
sagt in seinen "Erinnerungen" allerdings, "wenige Zeit" nachher sei Haydn ge¬
storben. Aber daß es gerade ein Jahr nachher gewesen sei, sagt er nicht, und
einen andern Anhaltepunkt für die Annahme Pohls und Thayers kann ich nicht
finden. niste verfaßte die Erinnerungen mehr als zwanzig Jahre später; der
Dauer des Zeitraumes zwischen seinem Besuche bei Haydn und dessen Tode er¬
innerte er sich wohl nicht mehr genau, und ganz genau nahm er es mit seinen
Angaben überhaupt nicht. So spricht er z. B. von dem "Hofrat" von Collin,
obwohl Collin diesen Titel damals noch garnicht hatte, und eine andre starke
Ungenauigkeit wird man gleich kennen lernen. Nach meiner Meinung ist niste
gegen Ende des Jahres 1806 nach Wien gegangen. Er kam von Dresden,
wo er mit Paer verkehrt hatte, und sagt, Paers Geschick habe ihn kurz darauf
in eine andre Gegend gerufen. Paer verließ Dresden in Begleitung Napoleons
Ende 1806 und kehrte nicht wieder dahin zurück. Auf seiner Reise nach Wien
will niste Prag berührt und daselbst mit Weber "manchen genußreichen Abend"
verlebt haben. Ersteres mag sein, letzteres ist so, wie er sagt, unmöglich. Denn
Weber kam nach Prag erst am 12. Januar 1813. Von 1807 bis 1810 war
Weber in Stuttgart. Hätte niste seine Wiener Reise 1808 gemacht und auf
derselben Weber kenne" gelernt, so hätte er von Dresden nach Wien über Stutt¬
gart fahren müssen. 1806 aber war Weber in Breslau, oder seit dem Herbste
auf Schloß Karlsruhe in Schlesien. Und an einem dieser beiden Orte wird
die Begegnung stattgefunden haben. In Prag ist niste sicherlich auch gewesen,
und weil er in spätern Jahren wußte, daß Weber dort einmal als Kapellmeister


<L. F. podis Lzaydn-Biographie.

nur sein Streben nach Popularisirung des Stoffes zum gelegentlichen Einstreuen
solcher Stellen. Ich fürchte nur, er ist einem Trugbilde nachgegangen. Zur
angenehmen Unterhaltung für einen großen Leserkreis ist sein Buch nicht ge¬
macht, eben wegen seines stark hervortretenden antiquarischen Charakters. Und
weil es diesen Charakter hat, darum berühren solche Stellen fremdartig und
machen einen unharmonischen Eindruck. Das Buch hat Gehalt und Wert genug
auch ohne sie.

Es ist unmöglich, auch nur einen namhaften Teil der einzelnen Angaben
auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Gerade einer solchen Arbeit gegenüber gilt in
vollem Maße, was Lessing einmal äußert: es müsse merkwürdig zugehen, wenn
der Kritiker von der Sache nicht weniger verstünde als der Autor. Der Leser
hat indessen durchweg so ganz den Eindruck vollster Zuverlässigkeit, daß er sehr
bald in das angenehme Gefühl kommt, es sei eine Nachprüfung hier auch gar¬
nicht nötig. Irrtümer werden sich natürlich auch in diesem Buche finden, einzelne
thatsächliche Ergänzungen werden gemacht werden können; aber was will das
sagen? Einige Kleinigkeiten, die mir zufällig aufgestoßen sind, mögen hier be¬
merkt werden. Johann Friedrich niste soll nach I, 120 ein Jahr vor Haydns
Tode, also 1808, in Wien gewesen sein und hier mit Haydn verkehrt haben.
Dasselbe Jahr nimmt in „Beethovens Leben" III, 62 auch Thayer an. niste
sagt in seinen „Erinnerungen" allerdings, „wenige Zeit" nachher sei Haydn ge¬
storben. Aber daß es gerade ein Jahr nachher gewesen sei, sagt er nicht, und
einen andern Anhaltepunkt für die Annahme Pohls und Thayers kann ich nicht
finden. niste verfaßte die Erinnerungen mehr als zwanzig Jahre später; der
Dauer des Zeitraumes zwischen seinem Besuche bei Haydn und dessen Tode er¬
innerte er sich wohl nicht mehr genau, und ganz genau nahm er es mit seinen
Angaben überhaupt nicht. So spricht er z. B. von dem „Hofrat" von Collin,
obwohl Collin diesen Titel damals noch garnicht hatte, und eine andre starke
Ungenauigkeit wird man gleich kennen lernen. Nach meiner Meinung ist niste
gegen Ende des Jahres 1806 nach Wien gegangen. Er kam von Dresden,
wo er mit Paer verkehrt hatte, und sagt, Paers Geschick habe ihn kurz darauf
in eine andre Gegend gerufen. Paer verließ Dresden in Begleitung Napoleons
Ende 1806 und kehrte nicht wieder dahin zurück. Auf seiner Reise nach Wien
will niste Prag berührt und daselbst mit Weber „manchen genußreichen Abend"
verlebt haben. Ersteres mag sein, letzteres ist so, wie er sagt, unmöglich. Denn
Weber kam nach Prag erst am 12. Januar 1813. Von 1807 bis 1810 war
Weber in Stuttgart. Hätte niste seine Wiener Reise 1808 gemacht und auf
derselben Weber kenne» gelernt, so hätte er von Dresden nach Wien über Stutt¬
gart fahren müssen. 1806 aber war Weber in Breslau, oder seit dem Herbste
auf Schloß Karlsruhe in Schlesien. Und an einem dieser beiden Orte wird
die Begegnung stattgefunden haben. In Prag ist niste sicherlich auch gewesen,
und weil er in spätern Jahren wußte, daß Weber dort einmal als Kapellmeister


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/460>, abgerufen am 08.09.2024.