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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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<L. F. Pohls k^aydn-Biographie.

der Gestalt, wie sie vom Biographen gezeichnet wurde, einfach in eine historische
Kette eingegliedert werden könnte. Sie nimmt sich in ihrer Isolirtheit anders
aus und muß es; sie ist thatsächlich etwas andres. Vielleicht liegt überhaupt
etwas unrichtiges darin, große, überragende Menschen biographisch zu behandeln.
Geschieht es dennoch, läßt man einmal einen solchen Geisteskoloß dem Leser
ganz nahe auf den Leib rücken, so muß man schon darauf gefaßt sein, daß
mancher sich unbehaglich fühlt. Aber mit dem häufig gehörten Vorwurfe, daß
der Biograph zum unbedingten Lobredner seines Helden werde und ihn über
alle andern erhebe, könnte man vorsichtiger sein. Wenn eine einzige Persönlich¬
keit in den Mittelpunkt einer Arbeit gestellt wird, so muß sich naturgemäß alles
Licht der Darstellung auf sie vereinigen, und alle sonst auftretenden Persönlich¬
keiten, alle Fäden geschichtlicher Entwicklung haben nur Bedeutung, insofern sie
dieser Persönlichkeit dienen und auf sie hinführen. In einem großen historischen
Bilde wird sie ganz von selbst in andern Verhältnissen erscheinen. Wenn schon
vom Historiker eine gewisse Kunst der Darstellung mit Recht gefordert wird,
so in viel höherm Maße noch vom Biographen. In Jahr war die Freude an
der in sich ruhenden Erscheinung und am plastischen Herausbilden derselben in
stärkeren Maße wirksam als der Zug zum ewig bewegten Fluß der Geschichte. Sie
verband sich mit einer Neigung zum sorglichen Zusammentragen, zum Anhäufen
des Stoffes, zum Sammeln auch von nebensächlichen Kleinigkeiten, das auch
wieder mehr den Philologen als den eigentlichen Geschichtsmeister verrät. Daß
er verstand, seinem Gestaltungstriebe zu genügen, ohne je die Wahrheit auch
nur um ein geringes zu beugen, darin liegt seine Größe. Aber es war das
eben eine individuelle Naturgabe, die sich nicht übertragen ließ und also auch
keine Schule machen konnte. Daß gewisse Äußerlichkeiten seiner Art von manchen
nachgeahmt worden sind, hat keine Bedeutung.

C. F. Po si, von dessen Arbeit über Haydn jetzt zwei Bände vorliegen
(Leipzig, Breitkopf und Hürtel, 1875 und 1882), steht scheinbar mit Jahr in
sehr engem Zusammenhange. Jahr ist es gewesen, der ihn im Jahre 1867
zur Ausführung der Arbeit bestimmt, auch durch Material aus seinen eignen
Sammlungen unterstützt hat, in Jahr sieht Pohl mit Recht einen Meister bio¬
graphischer Darstelluugskunst, und wer die Vorrede gelesen hat, könnte erwarte",
nunmehr in ein Buch zu gelangen, das möglichst nach Zahns Muster geformt
sei. Dem ist aber nicht so. Die Art der Behandlung ist eine gänzlich andre,
und von einer innern Beeinflussung kann die Rede nicht sein. Man darf es,
wie die Dinge liegen, nicht anfechten, daß Pohl seinen eignen Weg gehen wollte.
Er mußte es selbst am besten wissen, auf welche Weise er seines Gegenstandes
am erfolgreichsten Herr werden konnte. Bei der Zerfahrenheit, die in musik¬
geschichtlichen Dingen bei uns herrscht, ist es schon erfreulich, wenn die Arbeit
überhaupt nur an irgend einem nutzenversprechenden Punkte einsetzt. Das Weitere
wird sich mit der Zeit wohl finden.


<L. F. Pohls k^aydn-Biographie.

der Gestalt, wie sie vom Biographen gezeichnet wurde, einfach in eine historische
Kette eingegliedert werden könnte. Sie nimmt sich in ihrer Isolirtheit anders
aus und muß es; sie ist thatsächlich etwas andres. Vielleicht liegt überhaupt
etwas unrichtiges darin, große, überragende Menschen biographisch zu behandeln.
Geschieht es dennoch, läßt man einmal einen solchen Geisteskoloß dem Leser
ganz nahe auf den Leib rücken, so muß man schon darauf gefaßt sein, daß
mancher sich unbehaglich fühlt. Aber mit dem häufig gehörten Vorwurfe, daß
der Biograph zum unbedingten Lobredner seines Helden werde und ihn über
alle andern erhebe, könnte man vorsichtiger sein. Wenn eine einzige Persönlich¬
keit in den Mittelpunkt einer Arbeit gestellt wird, so muß sich naturgemäß alles
Licht der Darstellung auf sie vereinigen, und alle sonst auftretenden Persönlich¬
keiten, alle Fäden geschichtlicher Entwicklung haben nur Bedeutung, insofern sie
dieser Persönlichkeit dienen und auf sie hinführen. In einem großen historischen
Bilde wird sie ganz von selbst in andern Verhältnissen erscheinen. Wenn schon
vom Historiker eine gewisse Kunst der Darstellung mit Recht gefordert wird,
so in viel höherm Maße noch vom Biographen. In Jahr war die Freude an
der in sich ruhenden Erscheinung und am plastischen Herausbilden derselben in
stärkeren Maße wirksam als der Zug zum ewig bewegten Fluß der Geschichte. Sie
verband sich mit einer Neigung zum sorglichen Zusammentragen, zum Anhäufen
des Stoffes, zum Sammeln auch von nebensächlichen Kleinigkeiten, das auch
wieder mehr den Philologen als den eigentlichen Geschichtsmeister verrät. Daß
er verstand, seinem Gestaltungstriebe zu genügen, ohne je die Wahrheit auch
nur um ein geringes zu beugen, darin liegt seine Größe. Aber es war das
eben eine individuelle Naturgabe, die sich nicht übertragen ließ und also auch
keine Schule machen konnte. Daß gewisse Äußerlichkeiten seiner Art von manchen
nachgeahmt worden sind, hat keine Bedeutung.

C. F. Po si, von dessen Arbeit über Haydn jetzt zwei Bände vorliegen
(Leipzig, Breitkopf und Hürtel, 1875 und 1882), steht scheinbar mit Jahr in
sehr engem Zusammenhange. Jahr ist es gewesen, der ihn im Jahre 1867
zur Ausführung der Arbeit bestimmt, auch durch Material aus seinen eignen
Sammlungen unterstützt hat, in Jahr sieht Pohl mit Recht einen Meister bio¬
graphischer Darstelluugskunst, und wer die Vorrede gelesen hat, könnte erwarte»,
nunmehr in ein Buch zu gelangen, das möglichst nach Zahns Muster geformt
sei. Dem ist aber nicht so. Die Art der Behandlung ist eine gänzlich andre,
und von einer innern Beeinflussung kann die Rede nicht sein. Man darf es,
wie die Dinge liegen, nicht anfechten, daß Pohl seinen eignen Weg gehen wollte.
Er mußte es selbst am besten wissen, auf welche Weise er seines Gegenstandes
am erfolgreichsten Herr werden konnte. Bei der Zerfahrenheit, die in musik¬
geschichtlichen Dingen bei uns herrscht, ist es schon erfreulich, wenn die Arbeit
überhaupt nur an irgend einem nutzenversprechenden Punkte einsetzt. Das Weitere
wird sich mit der Zeit wohl finden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/456>, abgerufen am 08.09.2024.