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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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<L. F. podis l^aydu-Biographie.

können, der in seiner Eigenschaft als Universitätslehrer der Jugend nicht nur
als Philolog, sondern auch als Kunstgelehrter im weitesten Umfange ein leuch¬
tendes Vorbild sein konnte. Man sagt wohl, die notwendige Vereinigung künst¬
lerischer und wissenschaftlicher Befähigung und die Möglichkeit, beide nebeneinander
gleichmäßig auszubilden, sei zu selten und zu schwer zu erlangen, als daß auf
diesem Gebiete ein zahlreicher Nachwuchs je zu erhoffen wäre. Dies Bedenken
ist bei der ungewöhnlichen Ausdehnung, welche die Musikübung heute in allen
Kreisen gewonnen hat, wohl nur in beschränktem Maße stichhaltig. Der Haupt¬
grund lag in Jahr selber. Allerdings -- und das muß vorweg gesagt werden --
in einer Beziehung hat Jahr mehr gewährt als nur eine allgemeine, wenn auch
sehr starke Anregung. In der Übertragung der an den antiken Schriftstellern
ausgebildeten herstellenden, sichtenden und erklärenden Methode auf die in Schrift
oder Druck überlieferten Musikwerke ist er bahnbrechend geworden. Er hat zu¬
erst gewisse Grundsätze aufgestellt, nach welchen fortan jeder verfahren muß,
der den Anspruch erhebt, ein berufener Herausgeber älterer Musik zu sein.
Niemand wird dulden wollen, daß von diesem Verdienste dem bedeutenden Manne
auch nur das Geringste abgestritten werde. Aber dabei darf doch nicht ungesagt
bleiben, daß das Ziel, welches Jahr mit der Anwendung der philologischen
Methode verfolgte, ein im weitern Sinne historisches nicht, oder doch nur in
indirekter Beziehung war. Jahns kritische Arbeiten betreffen nur Mozart und
Beethoven, zwei Meister also, welche die Musik der Gegenwart noch immer be¬
herrschen, deren Künstlergesichter jedem vertraut sind, der das Recht hat, hier
überhaupt mitzureden. Die Züge dieser Gesichter lassen sich im einzelnen hier
und da berichtigen, in ihrer Gesamtheit stehen sie fest. Jahns strenge Gewissen¬
haftigkeit, neben so vielen seltenen Eigenschaften eine seiner schönsten, ließ ihn
bei Erforschung des Wesens seiner Lieblingskomponisten nicht ruhen, bis er
ihrer Absichten bis ins kleinste gewiß geworden zu sein glaubte; hierzu mußte
ihm die philologische Methode verhelfen. Angewendet auf Schrift- und Druck¬
werke entlegenerer Zeiten wird sie zwar immer noch als Grundlage auch für
die historische Forschung dienen. Aber bei allen Kunstwerken, deren Gehalt sich
nicht traditionell und ununterbrochen bis auf die Gegenwart fortwirkend er¬
halten hat, wird sie nicht ausreichen. Denn sie ist an sprachlichen und nicht an
tonlichen Produkten ausgebildet worden. In unvergleichlich höherm Grade als
die Wortsprache lebt die Musik in der Sinnlichkeit des Klanges. Man kann
eine Komposition lesen, wie man ein Buch liest. Aber zum Leben gelangt sie
dann nur halb, namentlich wenn sie auf das Zusammenwirken vieler, individuell
thätiger Personen berechnet ist. Die Reproduktion eines Musikwerks, welche
etwas zu seinem Wesen notwendig gehöriges ist, beruht auf der Bethätigung
gewisser direkt oder indirekt beseelter Organe. Wesen und Ausdrucksfähigkeit
derselben ändert sich unaufhörlich, manche gehen mit der Zeit ganz unter; es
ändert sich eben so ununterbrochen die Empfindung des Ohres für das Ange-


<L. F. podis l^aydu-Biographie.

können, der in seiner Eigenschaft als Universitätslehrer der Jugend nicht nur
als Philolog, sondern auch als Kunstgelehrter im weitesten Umfange ein leuch¬
tendes Vorbild sein konnte. Man sagt wohl, die notwendige Vereinigung künst¬
lerischer und wissenschaftlicher Befähigung und die Möglichkeit, beide nebeneinander
gleichmäßig auszubilden, sei zu selten und zu schwer zu erlangen, als daß auf
diesem Gebiete ein zahlreicher Nachwuchs je zu erhoffen wäre. Dies Bedenken
ist bei der ungewöhnlichen Ausdehnung, welche die Musikübung heute in allen
Kreisen gewonnen hat, wohl nur in beschränktem Maße stichhaltig. Der Haupt¬
grund lag in Jahr selber. Allerdings — und das muß vorweg gesagt werden —
in einer Beziehung hat Jahr mehr gewährt als nur eine allgemeine, wenn auch
sehr starke Anregung. In der Übertragung der an den antiken Schriftstellern
ausgebildeten herstellenden, sichtenden und erklärenden Methode auf die in Schrift
oder Druck überlieferten Musikwerke ist er bahnbrechend geworden. Er hat zu¬
erst gewisse Grundsätze aufgestellt, nach welchen fortan jeder verfahren muß,
der den Anspruch erhebt, ein berufener Herausgeber älterer Musik zu sein.
Niemand wird dulden wollen, daß von diesem Verdienste dem bedeutenden Manne
auch nur das Geringste abgestritten werde. Aber dabei darf doch nicht ungesagt
bleiben, daß das Ziel, welches Jahr mit der Anwendung der philologischen
Methode verfolgte, ein im weitern Sinne historisches nicht, oder doch nur in
indirekter Beziehung war. Jahns kritische Arbeiten betreffen nur Mozart und
Beethoven, zwei Meister also, welche die Musik der Gegenwart noch immer be¬
herrschen, deren Künstlergesichter jedem vertraut sind, der das Recht hat, hier
überhaupt mitzureden. Die Züge dieser Gesichter lassen sich im einzelnen hier
und da berichtigen, in ihrer Gesamtheit stehen sie fest. Jahns strenge Gewissen¬
haftigkeit, neben so vielen seltenen Eigenschaften eine seiner schönsten, ließ ihn
bei Erforschung des Wesens seiner Lieblingskomponisten nicht ruhen, bis er
ihrer Absichten bis ins kleinste gewiß geworden zu sein glaubte; hierzu mußte
ihm die philologische Methode verhelfen. Angewendet auf Schrift- und Druck¬
werke entlegenerer Zeiten wird sie zwar immer noch als Grundlage auch für
die historische Forschung dienen. Aber bei allen Kunstwerken, deren Gehalt sich
nicht traditionell und ununterbrochen bis auf die Gegenwart fortwirkend er¬
halten hat, wird sie nicht ausreichen. Denn sie ist an sprachlichen und nicht an
tonlichen Produkten ausgebildet worden. In unvergleichlich höherm Grade als
die Wortsprache lebt die Musik in der Sinnlichkeit des Klanges. Man kann
eine Komposition lesen, wie man ein Buch liest. Aber zum Leben gelangt sie
dann nur halb, namentlich wenn sie auf das Zusammenwirken vieler, individuell
thätiger Personen berechnet ist. Die Reproduktion eines Musikwerks, welche
etwas zu seinem Wesen notwendig gehöriges ist, beruht auf der Bethätigung
gewisser direkt oder indirekt beseelter Organe. Wesen und Ausdrucksfähigkeit
derselben ändert sich unaufhörlich, manche gehen mit der Zeit ganz unter; es
ändert sich eben so ununterbrochen die Empfindung des Ohres für das Ange-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/454>, abgerufen am 08.09.2024.