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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Neu-Deutschland.

Die zahlreichen polytechnischen Schulen Deutschlands stehen nach der Mei¬
nung des Verfassers auf der Höhe der Zeit und haben im Verein mit den
Kunstgewerbemuseen und den lokalen Industrie- und GeWerbeausstellungen bereits
einen günstigen Einfluß auf das deutsche Gewerbe und den Handel ausgeübt,
sodaß die alte Überlegenheit des Kunsthandwerkes in Städten wie Nürnberg
und Augsburg aus der Zeit vor dem dreißigjährigen Kriege wiederzukehren
scheint. Zahlreiche Industriezweige machen der herrschenden französischen Arbeit
bereits erhebliche Konkurrenz. Der Verfasser führt diese Verhältnisse seinen
Landsleuten als nachahmenswertes Beispiel vor und hält namentlich die künst¬
lerische Fortbildung des amerikanischen Gewerbtreibenden für umso wünschens¬
werter und notwendiger, als Amerika, was man in Deutschland freilich kaum
glauben werde, in der eigentlichen technischen Ausübung des Handwerkes voraus
sei. So meint Herr White beispielsweise, daß kein amerikanischer Handwerker
einer kleinen Stadt, der auf feinen Ruf hält, so schlecht ausgetrocknetes Holz
zu dem gewöhnlichsten Hausrat verwenden würde, wie es in Deutschland oft
zu künstlerischen Arbeiten von hoher Vollkommenheit benutzt wird. Überhaupt
werde das Material dort viel sorgfältiger ausgesucht und behandelt, und eine
Menge sinnreicher und wertvoller Arbeitsmethoden und praktischer Hilfsmittel
seien bei den amerikanischen Arbeitern in Gebrauch, welche man in Deutschland
entweder überhaupt nicht oder nicht genügend kenne.

Eine kurze Übersicht über die Entwicklung des preußischen und deutschen
Heerwesens schließt Herr White mit den Worten:

Zum Glück für Deutschland vereinigte Wilhelm von Preußen in sich Ver¬
stand, klaren Blick, kräftigen Geist, die zähe Ausdauer im Festhalten an dem einmal
Gewollten, und ein tiefes Gefühl edler Vaterlandsliebe. . . . Das heutige deutsche
Heer ist unleugbar das vollkommenste seiner Art. Ich habe bei den großen
Manövern Gelegenheit gehabt, diesen Gegenstand mit hervorragenden Militärs der
verschiednen europäischen Staaten zu besprechen, und sie haben anerkannt, daß keine
andre Armee der Gegenwart in derartigem Maße die Eigenschaften eines riesen¬
haften, lebendigen Organismus besitze, der voll patriotischen Selbstvertrauens
seinem Führer gehorche, wie die Glieder des menschlichen Körpers dem Willens¬
ausdruck des Gehirns.

Freilich betrachtet der Amerikaner das große stehende Heer als eine bedeutende
Last für den Staat. Er hebt hervor, daß fast jeder gesunde deutsche Mann drei
seiner besten Jahre und noch später jährlich einige Monate Soldat sein müsse,
und wenn er auch manche Vorteile dieser Dienstzeit und der allgemeinen Dienst¬
pflicht überhaupt nicht verkennt und dem patriotischen Gefühle der Deutschen Rech¬
nung trägt, so kann er sich vom Standpunkte des Republikaners doch nicht damit
einverstanden erklären. Er führt den Ausspruch Moltkes von der Notwendigkeit
einer funfzigjährigen Kriegsbereitschaft an, um daran die Hoffnung zu knüpfen,
daß lange vor Ablauf dieser Zeit eine allgemeine europäische Abrüstung die Ära
der internationalen Schiedsgerichte zur Regel erhoben und den Krieg zur Aus-


Neu-Deutschland.

Die zahlreichen polytechnischen Schulen Deutschlands stehen nach der Mei¬
nung des Verfassers auf der Höhe der Zeit und haben im Verein mit den
Kunstgewerbemuseen und den lokalen Industrie- und GeWerbeausstellungen bereits
einen günstigen Einfluß auf das deutsche Gewerbe und den Handel ausgeübt,
sodaß die alte Überlegenheit des Kunsthandwerkes in Städten wie Nürnberg
und Augsburg aus der Zeit vor dem dreißigjährigen Kriege wiederzukehren
scheint. Zahlreiche Industriezweige machen der herrschenden französischen Arbeit
bereits erhebliche Konkurrenz. Der Verfasser führt diese Verhältnisse seinen
Landsleuten als nachahmenswertes Beispiel vor und hält namentlich die künst¬
lerische Fortbildung des amerikanischen Gewerbtreibenden für umso wünschens¬
werter und notwendiger, als Amerika, was man in Deutschland freilich kaum
glauben werde, in der eigentlichen technischen Ausübung des Handwerkes voraus
sei. So meint Herr White beispielsweise, daß kein amerikanischer Handwerker
einer kleinen Stadt, der auf feinen Ruf hält, so schlecht ausgetrocknetes Holz
zu dem gewöhnlichsten Hausrat verwenden würde, wie es in Deutschland oft
zu künstlerischen Arbeiten von hoher Vollkommenheit benutzt wird. Überhaupt
werde das Material dort viel sorgfältiger ausgesucht und behandelt, und eine
Menge sinnreicher und wertvoller Arbeitsmethoden und praktischer Hilfsmittel
seien bei den amerikanischen Arbeitern in Gebrauch, welche man in Deutschland
entweder überhaupt nicht oder nicht genügend kenne.

Eine kurze Übersicht über die Entwicklung des preußischen und deutschen
Heerwesens schließt Herr White mit den Worten:

Zum Glück für Deutschland vereinigte Wilhelm von Preußen in sich Ver¬
stand, klaren Blick, kräftigen Geist, die zähe Ausdauer im Festhalten an dem einmal
Gewollten, und ein tiefes Gefühl edler Vaterlandsliebe. . . . Das heutige deutsche
Heer ist unleugbar das vollkommenste seiner Art. Ich habe bei den großen
Manövern Gelegenheit gehabt, diesen Gegenstand mit hervorragenden Militärs der
verschiednen europäischen Staaten zu besprechen, und sie haben anerkannt, daß keine
andre Armee der Gegenwart in derartigem Maße die Eigenschaften eines riesen¬
haften, lebendigen Organismus besitze, der voll patriotischen Selbstvertrauens
seinem Führer gehorche, wie die Glieder des menschlichen Körpers dem Willens¬
ausdruck des Gehirns.

Freilich betrachtet der Amerikaner das große stehende Heer als eine bedeutende
Last für den Staat. Er hebt hervor, daß fast jeder gesunde deutsche Mann drei
seiner besten Jahre und noch später jährlich einige Monate Soldat sein müsse,
und wenn er auch manche Vorteile dieser Dienstzeit und der allgemeinen Dienst¬
pflicht überhaupt nicht verkennt und dem patriotischen Gefühle der Deutschen Rech¬
nung trägt, so kann er sich vom Standpunkte des Republikaners doch nicht damit
einverstanden erklären. Er führt den Ausspruch Moltkes von der Notwendigkeit
einer funfzigjährigen Kriegsbereitschaft an, um daran die Hoffnung zu knüpfen,
daß lange vor Ablauf dieser Zeit eine allgemeine europäische Abrüstung die Ära
der internationalen Schiedsgerichte zur Regel erhoben und den Krieg zur Aus-


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[0444] Neu-Deutschland. Die zahlreichen polytechnischen Schulen Deutschlands stehen nach der Mei¬ nung des Verfassers auf der Höhe der Zeit und haben im Verein mit den Kunstgewerbemuseen und den lokalen Industrie- und GeWerbeausstellungen bereits einen günstigen Einfluß auf das deutsche Gewerbe und den Handel ausgeübt, sodaß die alte Überlegenheit des Kunsthandwerkes in Städten wie Nürnberg und Augsburg aus der Zeit vor dem dreißigjährigen Kriege wiederzukehren scheint. Zahlreiche Industriezweige machen der herrschenden französischen Arbeit bereits erhebliche Konkurrenz. Der Verfasser führt diese Verhältnisse seinen Landsleuten als nachahmenswertes Beispiel vor und hält namentlich die künst¬ lerische Fortbildung des amerikanischen Gewerbtreibenden für umso wünschens¬ werter und notwendiger, als Amerika, was man in Deutschland freilich kaum glauben werde, in der eigentlichen technischen Ausübung des Handwerkes voraus sei. So meint Herr White beispielsweise, daß kein amerikanischer Handwerker einer kleinen Stadt, der auf feinen Ruf hält, so schlecht ausgetrocknetes Holz zu dem gewöhnlichsten Hausrat verwenden würde, wie es in Deutschland oft zu künstlerischen Arbeiten von hoher Vollkommenheit benutzt wird. Überhaupt werde das Material dort viel sorgfältiger ausgesucht und behandelt, und eine Menge sinnreicher und wertvoller Arbeitsmethoden und praktischer Hilfsmittel seien bei den amerikanischen Arbeitern in Gebrauch, welche man in Deutschland entweder überhaupt nicht oder nicht genügend kenne. Eine kurze Übersicht über die Entwicklung des preußischen und deutschen Heerwesens schließt Herr White mit den Worten: Zum Glück für Deutschland vereinigte Wilhelm von Preußen in sich Ver¬ stand, klaren Blick, kräftigen Geist, die zähe Ausdauer im Festhalten an dem einmal Gewollten, und ein tiefes Gefühl edler Vaterlandsliebe. . . . Das heutige deutsche Heer ist unleugbar das vollkommenste seiner Art. Ich habe bei den großen Manövern Gelegenheit gehabt, diesen Gegenstand mit hervorragenden Militärs der verschiednen europäischen Staaten zu besprechen, und sie haben anerkannt, daß keine andre Armee der Gegenwart in derartigem Maße die Eigenschaften eines riesen¬ haften, lebendigen Organismus besitze, der voll patriotischen Selbstvertrauens seinem Führer gehorche, wie die Glieder des menschlichen Körpers dem Willens¬ ausdruck des Gehirns. Freilich betrachtet der Amerikaner das große stehende Heer als eine bedeutende Last für den Staat. Er hebt hervor, daß fast jeder gesunde deutsche Mann drei seiner besten Jahre und noch später jährlich einige Monate Soldat sein müsse, und wenn er auch manche Vorteile dieser Dienstzeit und der allgemeinen Dienst¬ pflicht überhaupt nicht verkennt und dem patriotischen Gefühle der Deutschen Rech¬ nung trägt, so kann er sich vom Standpunkte des Republikaners doch nicht damit einverstanden erklären. Er führt den Ausspruch Moltkes von der Notwendigkeit einer funfzigjährigen Kriegsbereitschaft an, um daran die Hoffnung zu knüpfen, daß lange vor Ablauf dieser Zeit eine allgemeine europäische Abrüstung die Ära der internationalen Schiedsgerichte zur Regel erhoben und den Krieg zur Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/444>, abgerufen am 08.09.2024.