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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Literarhistorischer Dilettantismus.

Bedeutung als wirklich umfassendes Bild aller geistigen Bestrebungen des Aus¬
landes, soweit dieselben der Kenntnisnahme würdig erschienen; es bildete eine
willkommene Ergänzung zu den rein literarischen und den politischen Zeitschriften
Deutschlands. Seit einigen Jahren jedoch zeichnet ein Herr Eduard Engel als Re¬
dakteur, sein großes -- Hirn wollte auch in deutschen Dingen allzu--sorgen haben,
er fügte daher das In- zum Auslande hinzu, und die ganze magere Jämmer¬
lichkeit des heutigen "Magazins" war fertig. Die letzte Nummer des Blattes (24)
welche vor uns liegt, ist charakteristisch für die ganze Art und Weise, in welcher
Herr Engel redigirt. Fünf Spalten füllt der wörtliche Abdruck der Literar-
konvention zwischen Deutschland und Frankreich, vier Spalten nimmt eine Re¬
zension über den Roman von Ompteda "Der Anhänger" ein, drei die An¬
kündigung eines französischen Werkes über den Simplizissimus, welche für nie¬
mand neues enthält und in zwei Zeilen erledigt werden konnte, sechs einige
Sitzungsberichte Londoner Gesellschaften, und den Schluß bilden sieben winzige
Notizen. Zufällig also lebt jemand in London, dem es Vergnügen macht,
über englische Vereine zu berichten, Herr Engel bringt die Referate, ohne zu
bedenken, daß es noch viele andre Gesellschaften in der Welt giebt, die gleich
interessantes wie die Londoner verhandeln; zufällig sendet ihm ein Pariser eine
lange Rezension, welche dem Fremden wichtig sein mochte, dem deutschen Leser
aber garnichts bietet, Herr Engel nimmt sie gleichwohl auf, denn sie füllt einige
Spalten; zufällig fragt jemand an: Ich lese gerade einen hübschen Roman,
wollen Sie eine Kritik darüber? Herr Engel bejaht, denn so bringt er eine
neue Nummer zu stände. Schein, nichts als Schein! Statt daß Herr Engel
sich die Mühe nähme, einen Überblick zu gewinnen über die gegenwärtige Literatur
und nun seinen Mitarbeitern Auftrag gäbe, die hervorragenderen Erscheinungen
und Ereignisse zu behandeln, stellt er alle Artikel, welche der Zufall ihm ins
Zimmer schneit, manchmal Referate über Schulbücher, sehr oft philologische
Klaubereien, selten Aufsätze über Poesie und schöne Literatur, niemals über
das Theater, Wahl- und ziellos zusammen, und der Leser empfängt ein Bild
der heutigen Literatur, wie es richtiger manches politische Journal in seinem
Feuilleton bietet. Dann und wann weist Herr Engel sogar ein ihm über¬
mitteltes Manuskript zurück, mag es selbst das bedeutendste Buch kritisiren,
wenn nämlich der Verleger die Todsünde beging und die Redaktion des "Magazins"
keines Rezensionsexemplars für würdig erachtete.

Dann und wann aber greift Herr Engel auch selbst zur Feder, erklärt
sämtliche Ansichten, welche ihm und seiner trostlosen Nüchternheit nicht passen,
für verrückt, indem er glaubt, Grobheiten genügten und der Ideen bedürfe es
nicht, ihn Bischer und Scherr an die Seite zu stellen, und geht zurück an sein
Geschäft. Herr Engel ist nämlich Stenograph des Reichstages. Leider genügt
ihm jedoch dieser ehrenhafte Beruf nicht, er strebt höher hinaus, und deshalb
pfusche er den Literarhistorikern ins Handwerk, sobald ihm, was natürlich sehr


Literarhistorischer Dilettantismus.

Bedeutung als wirklich umfassendes Bild aller geistigen Bestrebungen des Aus¬
landes, soweit dieselben der Kenntnisnahme würdig erschienen; es bildete eine
willkommene Ergänzung zu den rein literarischen und den politischen Zeitschriften
Deutschlands. Seit einigen Jahren jedoch zeichnet ein Herr Eduard Engel als Re¬
dakteur, sein großes — Hirn wollte auch in deutschen Dingen allzu—sorgen haben,
er fügte daher das In- zum Auslande hinzu, und die ganze magere Jämmer¬
lichkeit des heutigen „Magazins" war fertig. Die letzte Nummer des Blattes (24)
welche vor uns liegt, ist charakteristisch für die ganze Art und Weise, in welcher
Herr Engel redigirt. Fünf Spalten füllt der wörtliche Abdruck der Literar-
konvention zwischen Deutschland und Frankreich, vier Spalten nimmt eine Re¬
zension über den Roman von Ompteda „Der Anhänger" ein, drei die An¬
kündigung eines französischen Werkes über den Simplizissimus, welche für nie¬
mand neues enthält und in zwei Zeilen erledigt werden konnte, sechs einige
Sitzungsberichte Londoner Gesellschaften, und den Schluß bilden sieben winzige
Notizen. Zufällig also lebt jemand in London, dem es Vergnügen macht,
über englische Vereine zu berichten, Herr Engel bringt die Referate, ohne zu
bedenken, daß es noch viele andre Gesellschaften in der Welt giebt, die gleich
interessantes wie die Londoner verhandeln; zufällig sendet ihm ein Pariser eine
lange Rezension, welche dem Fremden wichtig sein mochte, dem deutschen Leser
aber garnichts bietet, Herr Engel nimmt sie gleichwohl auf, denn sie füllt einige
Spalten; zufällig fragt jemand an: Ich lese gerade einen hübschen Roman,
wollen Sie eine Kritik darüber? Herr Engel bejaht, denn so bringt er eine
neue Nummer zu stände. Schein, nichts als Schein! Statt daß Herr Engel
sich die Mühe nähme, einen Überblick zu gewinnen über die gegenwärtige Literatur
und nun seinen Mitarbeitern Auftrag gäbe, die hervorragenderen Erscheinungen
und Ereignisse zu behandeln, stellt er alle Artikel, welche der Zufall ihm ins
Zimmer schneit, manchmal Referate über Schulbücher, sehr oft philologische
Klaubereien, selten Aufsätze über Poesie und schöne Literatur, niemals über
das Theater, Wahl- und ziellos zusammen, und der Leser empfängt ein Bild
der heutigen Literatur, wie es richtiger manches politische Journal in seinem
Feuilleton bietet. Dann und wann weist Herr Engel sogar ein ihm über¬
mitteltes Manuskript zurück, mag es selbst das bedeutendste Buch kritisiren,
wenn nämlich der Verleger die Todsünde beging und die Redaktion des „Magazins"
keines Rezensionsexemplars für würdig erachtete.

Dann und wann aber greift Herr Engel auch selbst zur Feder, erklärt
sämtliche Ansichten, welche ihm und seiner trostlosen Nüchternheit nicht passen,
für verrückt, indem er glaubt, Grobheiten genügten und der Ideen bedürfe es
nicht, ihn Bischer und Scherr an die Seite zu stellen, und geht zurück an sein
Geschäft. Herr Engel ist nämlich Stenograph des Reichstages. Leider genügt
ihm jedoch dieser ehrenhafte Beruf nicht, er strebt höher hinaus, und deshalb
pfusche er den Literarhistorikern ins Handwerk, sobald ihm, was natürlich sehr


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[0044] Literarhistorischer Dilettantismus. Bedeutung als wirklich umfassendes Bild aller geistigen Bestrebungen des Aus¬ landes, soweit dieselben der Kenntnisnahme würdig erschienen; es bildete eine willkommene Ergänzung zu den rein literarischen und den politischen Zeitschriften Deutschlands. Seit einigen Jahren jedoch zeichnet ein Herr Eduard Engel als Re¬ dakteur, sein großes — Hirn wollte auch in deutschen Dingen allzu—sorgen haben, er fügte daher das In- zum Auslande hinzu, und die ganze magere Jämmer¬ lichkeit des heutigen „Magazins" war fertig. Die letzte Nummer des Blattes (24) welche vor uns liegt, ist charakteristisch für die ganze Art und Weise, in welcher Herr Engel redigirt. Fünf Spalten füllt der wörtliche Abdruck der Literar- konvention zwischen Deutschland und Frankreich, vier Spalten nimmt eine Re¬ zension über den Roman von Ompteda „Der Anhänger" ein, drei die An¬ kündigung eines französischen Werkes über den Simplizissimus, welche für nie¬ mand neues enthält und in zwei Zeilen erledigt werden konnte, sechs einige Sitzungsberichte Londoner Gesellschaften, und den Schluß bilden sieben winzige Notizen. Zufällig also lebt jemand in London, dem es Vergnügen macht, über englische Vereine zu berichten, Herr Engel bringt die Referate, ohne zu bedenken, daß es noch viele andre Gesellschaften in der Welt giebt, die gleich interessantes wie die Londoner verhandeln; zufällig sendet ihm ein Pariser eine lange Rezension, welche dem Fremden wichtig sein mochte, dem deutschen Leser aber garnichts bietet, Herr Engel nimmt sie gleichwohl auf, denn sie füllt einige Spalten; zufällig fragt jemand an: Ich lese gerade einen hübschen Roman, wollen Sie eine Kritik darüber? Herr Engel bejaht, denn so bringt er eine neue Nummer zu stände. Schein, nichts als Schein! Statt daß Herr Engel sich die Mühe nähme, einen Überblick zu gewinnen über die gegenwärtige Literatur und nun seinen Mitarbeitern Auftrag gäbe, die hervorragenderen Erscheinungen und Ereignisse zu behandeln, stellt er alle Artikel, welche der Zufall ihm ins Zimmer schneit, manchmal Referate über Schulbücher, sehr oft philologische Klaubereien, selten Aufsätze über Poesie und schöne Literatur, niemals über das Theater, Wahl- und ziellos zusammen, und der Leser empfängt ein Bild der heutigen Literatur, wie es richtiger manches politische Journal in seinem Feuilleton bietet. Dann und wann weist Herr Engel sogar ein ihm über¬ mitteltes Manuskript zurück, mag es selbst das bedeutendste Buch kritisiren, wenn nämlich der Verleger die Todsünde beging und die Redaktion des „Magazins" keines Rezensionsexemplars für würdig erachtete. Dann und wann aber greift Herr Engel auch selbst zur Feder, erklärt sämtliche Ansichten, welche ihm und seiner trostlosen Nüchternheit nicht passen, für verrückt, indem er glaubt, Grobheiten genügten und der Ideen bedürfe es nicht, ihn Bischer und Scherr an die Seite zu stellen, und geht zurück an sein Geschäft. Herr Engel ist nämlich Stenograph des Reichstages. Leider genügt ihm jedoch dieser ehrenhafte Beruf nicht, er strebt höher hinaus, und deshalb pfusche er den Literarhistorikern ins Handwerk, sobald ihm, was natürlich sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/44>, abgerufen am 08.09.2024.