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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Ver Streitfall von Tamatave.

Werde; indeß höre ich, daß es notwendig werden wird, unsre Gebäude zu zer¬
stören, weil sie so nahe bei dem Fort liegen.

Aus Paris wird berichtet, daß der Admiral Pierre um Entlassung aus
seiner Stellung als Befehlshaber des Geschwaders bei Madagaskar nachgesucht
hat, und zwar aus Gesundheitsrücksichten; als sein Nachfolger ist der Admiral
Galiber ernannt worden, der sich bereits in Toulon befindet, wo er sich un¬
verzüglich nach Tamatave einzuschiffen gedenkt. Desgleichen ist der Marine-
minister Brun von seinem Amte zurückgetreten. Der Streitfall, der durch das
Verfahren Pierres in Tamatave entstand, wird aller Wahrscheinlichkeit zufolge
schon jetzt erledigt sein. Nach den obigen Privatnachrichten ist von beiden Seiten
gesündigt worden, am meisten aber von den Engländern. Die Missionäre
konspirirten mit den Hovas, sie versteckten Spione derselben, versuchten die Vor¬
Postenkette zu überschreiten und kehrten sich nicht an die Regeln, welche der Be¬
lagerungszustand vorschreibt. Der Konsul Pakenham stand diesen Ungehörig¬
keiten vermutlich nicht fern, und der Kapitän der Dryad verfuhr dem fran¬
zösischen Admiral gegenüber in einer Weise, die sich nicht rechtfertigen läßt. Er
war nicht befugt, über dessen Maßregeln Aufklärung zu verlangen. Hätten die
Franzosen trotzdem gefehlt, indem sie zu schroff vorgegangen wären und gegen
die völkerrechtliche Unverletzbarkeit des Konsuls verstoßen hätten, so würde man
in Paris bereit sein, der englischen Regierung die Genugthuung zu gewähren,
auf die sie billigerweise Anspruch erheben könnte. Je mehr sich durch die dort
noch erwarteten amtlichen Nachrichten die ursprünglichen Angaben Glad-
stones bestätigen, desto stärker wird die Sache Englands, und desto leichter wird
eine endgiltige Ausgleichung des Streites sein. Dahin geht auch die Äußerung,
die Gladstone in seiner Rede im Mansion House bezüglich der Angelegenheit
that, und die durchaus friedfertig lautete. Auffällig kann nur die lange Ver¬
zögerung erscheinen, welche jener amtliche Bericht erfahren hat. Die wahrschein¬
lichste Lösung dieses Rätsels ist wohl die, daß die Grundlagen zu einer wechsel¬
seitigen Verständigung zwischen den beiden Regierungen bald nach dem 11. Juli
gefunden wurden, wo Gladstone des Gegenstandes zuerst im Parlamente Er¬
wähnung that, und daß man es für förderlich hielt, erst einige Zeit vergehen
zu lassen, ehe man den wahren Sachverhalt in die Öffentlichkeit gelangen ließ,
da sich inzwischen die hier und dort stark erhitzte öffentliche Meinung abkühlen
mußte.

Das letztere hat sich, nach den Zeitungen zu urteilen, in Paris bereits
vollzogen. Der Verfluß mehrerer Wochen, bevor genauere Nachrichten über
die Vorfälle in Tamatave eintrafen, und die Erklärung des englischen Premier¬
ministers beim Lordmayorsbankett erklären die geringe Aufmerksamkeit, welche
die Pariser Blätter der Madagaskarfrage zuwenden. Man hat überdies Ursache,
an andres zu denken, vor allem an die Expedition in Tonkin, die zu gefährlichen
Verwicklungen führen kann. Die letzten Nachrichten aus Tamatave sind von


Ver Streitfall von Tamatave.

Werde; indeß höre ich, daß es notwendig werden wird, unsre Gebäude zu zer¬
stören, weil sie so nahe bei dem Fort liegen.

Aus Paris wird berichtet, daß der Admiral Pierre um Entlassung aus
seiner Stellung als Befehlshaber des Geschwaders bei Madagaskar nachgesucht
hat, und zwar aus Gesundheitsrücksichten; als sein Nachfolger ist der Admiral
Galiber ernannt worden, der sich bereits in Toulon befindet, wo er sich un¬
verzüglich nach Tamatave einzuschiffen gedenkt. Desgleichen ist der Marine-
minister Brun von seinem Amte zurückgetreten. Der Streitfall, der durch das
Verfahren Pierres in Tamatave entstand, wird aller Wahrscheinlichkeit zufolge
schon jetzt erledigt sein. Nach den obigen Privatnachrichten ist von beiden Seiten
gesündigt worden, am meisten aber von den Engländern. Die Missionäre
konspirirten mit den Hovas, sie versteckten Spione derselben, versuchten die Vor¬
Postenkette zu überschreiten und kehrten sich nicht an die Regeln, welche der Be¬
lagerungszustand vorschreibt. Der Konsul Pakenham stand diesen Ungehörig¬
keiten vermutlich nicht fern, und der Kapitän der Dryad verfuhr dem fran¬
zösischen Admiral gegenüber in einer Weise, die sich nicht rechtfertigen läßt. Er
war nicht befugt, über dessen Maßregeln Aufklärung zu verlangen. Hätten die
Franzosen trotzdem gefehlt, indem sie zu schroff vorgegangen wären und gegen
die völkerrechtliche Unverletzbarkeit des Konsuls verstoßen hätten, so würde man
in Paris bereit sein, der englischen Regierung die Genugthuung zu gewähren,
auf die sie billigerweise Anspruch erheben könnte. Je mehr sich durch die dort
noch erwarteten amtlichen Nachrichten die ursprünglichen Angaben Glad-
stones bestätigen, desto stärker wird die Sache Englands, und desto leichter wird
eine endgiltige Ausgleichung des Streites sein. Dahin geht auch die Äußerung,
die Gladstone in seiner Rede im Mansion House bezüglich der Angelegenheit
that, und die durchaus friedfertig lautete. Auffällig kann nur die lange Ver¬
zögerung erscheinen, welche jener amtliche Bericht erfahren hat. Die wahrschein¬
lichste Lösung dieses Rätsels ist wohl die, daß die Grundlagen zu einer wechsel¬
seitigen Verständigung zwischen den beiden Regierungen bald nach dem 11. Juli
gefunden wurden, wo Gladstone des Gegenstandes zuerst im Parlamente Er¬
wähnung that, und daß man es für förderlich hielt, erst einige Zeit vergehen
zu lassen, ehe man den wahren Sachverhalt in die Öffentlichkeit gelangen ließ,
da sich inzwischen die hier und dort stark erhitzte öffentliche Meinung abkühlen
mußte.

Das letztere hat sich, nach den Zeitungen zu urteilen, in Paris bereits
vollzogen. Der Verfluß mehrerer Wochen, bevor genauere Nachrichten über
die Vorfälle in Tamatave eintrafen, und die Erklärung des englischen Premier¬
ministers beim Lordmayorsbankett erklären die geringe Aufmerksamkeit, welche
die Pariser Blätter der Madagaskarfrage zuwenden. Man hat überdies Ursache,
an andres zu denken, vor allem an die Expedition in Tonkin, die zu gefährlichen
Verwicklungen führen kann. Die letzten Nachrichten aus Tamatave sind von


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[0437] Ver Streitfall von Tamatave. Werde; indeß höre ich, daß es notwendig werden wird, unsre Gebäude zu zer¬ stören, weil sie so nahe bei dem Fort liegen. Aus Paris wird berichtet, daß der Admiral Pierre um Entlassung aus seiner Stellung als Befehlshaber des Geschwaders bei Madagaskar nachgesucht hat, und zwar aus Gesundheitsrücksichten; als sein Nachfolger ist der Admiral Galiber ernannt worden, der sich bereits in Toulon befindet, wo er sich un¬ verzüglich nach Tamatave einzuschiffen gedenkt. Desgleichen ist der Marine- minister Brun von seinem Amte zurückgetreten. Der Streitfall, der durch das Verfahren Pierres in Tamatave entstand, wird aller Wahrscheinlichkeit zufolge schon jetzt erledigt sein. Nach den obigen Privatnachrichten ist von beiden Seiten gesündigt worden, am meisten aber von den Engländern. Die Missionäre konspirirten mit den Hovas, sie versteckten Spione derselben, versuchten die Vor¬ Postenkette zu überschreiten und kehrten sich nicht an die Regeln, welche der Be¬ lagerungszustand vorschreibt. Der Konsul Pakenham stand diesen Ungehörig¬ keiten vermutlich nicht fern, und der Kapitän der Dryad verfuhr dem fran¬ zösischen Admiral gegenüber in einer Weise, die sich nicht rechtfertigen läßt. Er war nicht befugt, über dessen Maßregeln Aufklärung zu verlangen. Hätten die Franzosen trotzdem gefehlt, indem sie zu schroff vorgegangen wären und gegen die völkerrechtliche Unverletzbarkeit des Konsuls verstoßen hätten, so würde man in Paris bereit sein, der englischen Regierung die Genugthuung zu gewähren, auf die sie billigerweise Anspruch erheben könnte. Je mehr sich durch die dort noch erwarteten amtlichen Nachrichten die ursprünglichen Angaben Glad- stones bestätigen, desto stärker wird die Sache Englands, und desto leichter wird eine endgiltige Ausgleichung des Streites sein. Dahin geht auch die Äußerung, die Gladstone in seiner Rede im Mansion House bezüglich der Angelegenheit that, und die durchaus friedfertig lautete. Auffällig kann nur die lange Ver¬ zögerung erscheinen, welche jener amtliche Bericht erfahren hat. Die wahrschein¬ lichste Lösung dieses Rätsels ist wohl die, daß die Grundlagen zu einer wechsel¬ seitigen Verständigung zwischen den beiden Regierungen bald nach dem 11. Juli gefunden wurden, wo Gladstone des Gegenstandes zuerst im Parlamente Er¬ wähnung that, und daß man es für förderlich hielt, erst einige Zeit vergehen zu lassen, ehe man den wahren Sachverhalt in die Öffentlichkeit gelangen ließ, da sich inzwischen die hier und dort stark erhitzte öffentliche Meinung abkühlen mußte. Das letztere hat sich, nach den Zeitungen zu urteilen, in Paris bereits vollzogen. Der Verfluß mehrerer Wochen, bevor genauere Nachrichten über die Vorfälle in Tamatave eintrafen, und die Erklärung des englischen Premier¬ ministers beim Lordmayorsbankett erklären die geringe Aufmerksamkeit, welche die Pariser Blätter der Madagaskarfrage zuwenden. Man hat überdies Ursache, an andres zu denken, vor allem an die Expedition in Tonkin, die zu gefährlichen Verwicklungen führen kann. Die letzten Nachrichten aus Tamatave sind von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/437>, abgerufen am 08.09.2024.