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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Ein kleines Unglück zu so großem! sagte sie mit einem melancholischen
Lächeln, Bitte, geleiten Sie mich zu dem Sessel dort, ich habe mir, wie es
scheint, den Knöchel verrenkt.

Baron Sextus unterstützte sie, und sie schlang ihren Arm um seinen Hals.
O mein alter Freund, flüsterte sie, sich an ihn schmiegend und neben ihm dcchin-
hinkend, mein alter Freund, welch ein Tag!

Um des Himmels willen! erwiederte er, indem er sie sanft in den Sessel
gleiten ließ, es wird doch hoffentlich nichts Ernstliches sein?

Wer kann das wissen! sagte sie seufzend. Mein Gemüt ist so verdüstert,
daß ich auch bei Kleinigkeiten fürchte.

Sie hob den rechten Fuß empor, streifte ihr Nachtgewand zurück, ließ den
Pantoffel zu Boden fallen und betastete das Gelenk, während sie versuchte, den
Fuß zu bewegen. Ah, es geht nicht, ächzte sie. Wie das schmerzt! Ich bitte
Sie, lieber Baron, holen Sie mir den Arzt, sobald er drüben abkommen kann.
Traurig und doch gut, daß er im Hause ist. Ach, mein Freund, Ihr Schloß
wird zum Lazarett)!

Baron Sextus stand kalt und ernsthaft vor ihr, das in ihm erweckte Mit¬
leid und der Gräfin Anschmiegen waren nicht warm genug, um sein Mißtrauen
zu schmelzen.

Es wird am besten sein, sofort kalte Umschläge zu machen, sagte der Ge¬
neral, indem er die Klingel zog.

Der eintretende Diener ward beauftragt, Wasser und ein Handtuch zu
bringen, und der Baron ging selbst, um den Arzt zu holen. Es zeigte sich,
daß der Knöchel bei jeder, auch der geringsten, Drehung schmerzte, daß aber
äußerlich keine Verletzung, keine Schwellung zu bemerken war. Gräfin Sibylle
ward auf dem Sessel in ihr Schlafzimmer getragen und zu Bett gebracht, der
Arzt legte einen Verband an, welcher den Fuß in einer günstigen Stellung fest¬
hielt, verordnete eine Einreibung, und dann ward es still im Schlosse. Baron
Sextus zog sich zurück, nachdem er dem General ein Schlafzimmer hatte geben
lassen, und der Verwundete blieb in der Pflege des Arztes und der Wärterin.




Dreiundvierzigstes Aapitel.

Gräfin Sibylle lag, nachdem der Arzt sie verlassen hatte, einige Minuten
unbeweglich im Bette, aber ihre dunkeln Augen wanderten rastlos umher in dem
weiten Schlafgemach mit der roten Tapete. Die Weißen Vorhänge des Bettes
waren zurückgeschlagen, und sie konnte sich in dem Pfeilerspiegel an der gegen¬
überliegenden Wand sehen. Aus dem Toilettetische stand eine Lampe, und in
°nen Nähe glänzten die krystallenen und vergoldeten Fläschchen und Büchse",
welche der Gräfin nötig waren, um die Farbe ihres Gesichts lebhaft und an¬
genehm zu erhalten und ihren Augen jenes geheimnisvolle Leuchten zu verleihen,
Welches schon so manchem Manne gefährlich geworden war. Neben dem Tische
wß das junge Mädchen, welches mit dem verantwortlichen Amte betraut war,
der Gräfin als Zofe an die Hand zu gehen, und sie saß mit gesenktem Kopfe
"">de da, hatte die Hände im Schoße gefaltet und harrte etwaiger Befehle.
Der Baron hatte gewünscht, daß sie die Nacht bei ihrer Dame wache.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Ein kleines Unglück zu so großem! sagte sie mit einem melancholischen
Lächeln, Bitte, geleiten Sie mich zu dem Sessel dort, ich habe mir, wie es
scheint, den Knöchel verrenkt.

Baron Sextus unterstützte sie, und sie schlang ihren Arm um seinen Hals.
O mein alter Freund, flüsterte sie, sich an ihn schmiegend und neben ihm dcchin-
hinkend, mein alter Freund, welch ein Tag!

Um des Himmels willen! erwiederte er, indem er sie sanft in den Sessel
gleiten ließ, es wird doch hoffentlich nichts Ernstliches sein?

Wer kann das wissen! sagte sie seufzend. Mein Gemüt ist so verdüstert,
daß ich auch bei Kleinigkeiten fürchte.

Sie hob den rechten Fuß empor, streifte ihr Nachtgewand zurück, ließ den
Pantoffel zu Boden fallen und betastete das Gelenk, während sie versuchte, den
Fuß zu bewegen. Ah, es geht nicht, ächzte sie. Wie das schmerzt! Ich bitte
Sie, lieber Baron, holen Sie mir den Arzt, sobald er drüben abkommen kann.
Traurig und doch gut, daß er im Hause ist. Ach, mein Freund, Ihr Schloß
wird zum Lazarett)!

Baron Sextus stand kalt und ernsthaft vor ihr, das in ihm erweckte Mit¬
leid und der Gräfin Anschmiegen waren nicht warm genug, um sein Mißtrauen
zu schmelzen.

Es wird am besten sein, sofort kalte Umschläge zu machen, sagte der Ge¬
neral, indem er die Klingel zog.

Der eintretende Diener ward beauftragt, Wasser und ein Handtuch zu
bringen, und der Baron ging selbst, um den Arzt zu holen. Es zeigte sich,
daß der Knöchel bei jeder, auch der geringsten, Drehung schmerzte, daß aber
äußerlich keine Verletzung, keine Schwellung zu bemerken war. Gräfin Sibylle
ward auf dem Sessel in ihr Schlafzimmer getragen und zu Bett gebracht, der
Arzt legte einen Verband an, welcher den Fuß in einer günstigen Stellung fest¬
hielt, verordnete eine Einreibung, und dann ward es still im Schlosse. Baron
Sextus zog sich zurück, nachdem er dem General ein Schlafzimmer hatte geben
lassen, und der Verwundete blieb in der Pflege des Arztes und der Wärterin.




Dreiundvierzigstes Aapitel.

Gräfin Sibylle lag, nachdem der Arzt sie verlassen hatte, einige Minuten
unbeweglich im Bette, aber ihre dunkeln Augen wanderten rastlos umher in dem
weiten Schlafgemach mit der roten Tapete. Die Weißen Vorhänge des Bettes
waren zurückgeschlagen, und sie konnte sich in dem Pfeilerspiegel an der gegen¬
überliegenden Wand sehen. Aus dem Toilettetische stand eine Lampe, und in
°nen Nähe glänzten die krystallenen und vergoldeten Fläschchen und Büchse»,
welche der Gräfin nötig waren, um die Farbe ihres Gesichts lebhaft und an¬
genehm zu erhalten und ihren Augen jenes geheimnisvolle Leuchten zu verleihen,
Welches schon so manchem Manne gefährlich geworden war. Neben dem Tische
wß das junge Mädchen, welches mit dem verantwortlichen Amte betraut war,
der Gräfin als Zofe an die Hand zu gehen, und sie saß mit gesenktem Kopfe
"">de da, hatte die Hände im Schoße gefaltet und harrte etwaiger Befehle.
Der Baron hatte gewünscht, daß sie die Nacht bei ihrer Dame wache.


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[0415] Die Grafen von Altenschwerdt. Ein kleines Unglück zu so großem! sagte sie mit einem melancholischen Lächeln, Bitte, geleiten Sie mich zu dem Sessel dort, ich habe mir, wie es scheint, den Knöchel verrenkt. Baron Sextus unterstützte sie, und sie schlang ihren Arm um seinen Hals. O mein alter Freund, flüsterte sie, sich an ihn schmiegend und neben ihm dcchin- hinkend, mein alter Freund, welch ein Tag! Um des Himmels willen! erwiederte er, indem er sie sanft in den Sessel gleiten ließ, es wird doch hoffentlich nichts Ernstliches sein? Wer kann das wissen! sagte sie seufzend. Mein Gemüt ist so verdüstert, daß ich auch bei Kleinigkeiten fürchte. Sie hob den rechten Fuß empor, streifte ihr Nachtgewand zurück, ließ den Pantoffel zu Boden fallen und betastete das Gelenk, während sie versuchte, den Fuß zu bewegen. Ah, es geht nicht, ächzte sie. Wie das schmerzt! Ich bitte Sie, lieber Baron, holen Sie mir den Arzt, sobald er drüben abkommen kann. Traurig und doch gut, daß er im Hause ist. Ach, mein Freund, Ihr Schloß wird zum Lazarett)! Baron Sextus stand kalt und ernsthaft vor ihr, das in ihm erweckte Mit¬ leid und der Gräfin Anschmiegen waren nicht warm genug, um sein Mißtrauen zu schmelzen. Es wird am besten sein, sofort kalte Umschläge zu machen, sagte der Ge¬ neral, indem er die Klingel zog. Der eintretende Diener ward beauftragt, Wasser und ein Handtuch zu bringen, und der Baron ging selbst, um den Arzt zu holen. Es zeigte sich, daß der Knöchel bei jeder, auch der geringsten, Drehung schmerzte, daß aber äußerlich keine Verletzung, keine Schwellung zu bemerken war. Gräfin Sibylle ward auf dem Sessel in ihr Schlafzimmer getragen und zu Bett gebracht, der Arzt legte einen Verband an, welcher den Fuß in einer günstigen Stellung fest¬ hielt, verordnete eine Einreibung, und dann ward es still im Schlosse. Baron Sextus zog sich zurück, nachdem er dem General ein Schlafzimmer hatte geben lassen, und der Verwundete blieb in der Pflege des Arztes und der Wärterin. Dreiundvierzigstes Aapitel. Gräfin Sibylle lag, nachdem der Arzt sie verlassen hatte, einige Minuten unbeweglich im Bette, aber ihre dunkeln Augen wanderten rastlos umher in dem weiten Schlafgemach mit der roten Tapete. Die Weißen Vorhänge des Bettes waren zurückgeschlagen, und sie konnte sich in dem Pfeilerspiegel an der gegen¬ überliegenden Wand sehen. Aus dem Toilettetische stand eine Lampe, und in °nen Nähe glänzten die krystallenen und vergoldeten Fläschchen und Büchse», welche der Gräfin nötig waren, um die Farbe ihres Gesichts lebhaft und an¬ genehm zu erhalten und ihren Augen jenes geheimnisvolle Leuchten zu verleihen, Welches schon so manchem Manne gefährlich geworden war. Neben dem Tische wß das junge Mädchen, welches mit dem verantwortlichen Amte betraut war, der Gräfin als Zofe an die Hand zu gehen, und sie saß mit gesenktem Kopfe "">de da, hatte die Hände im Schoße gefaltet und harrte etwaiger Befehle. Der Baron hatte gewünscht, daß sie die Nacht bei ihrer Dame wache.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/415>, abgerufen am 08.09.2024.