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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Ausstellung in Amsterdam und das Projekt einer Weltausstellung in Berlin.

erklären, welche seit einem Menschenalter derselben Tradition folgen und in
ihrer, übrigens echt französischen, Anmaßung von dem Grundsatze ausgehend,
daß Paris die Welt sei und der übrigen Welt Gesetze und Geschmack vorzu¬
schreiben habe, sich hartnäckig gegen jede Neuerung verschließen. Sie bewegen
sich fast sämtlich in den Stilformen, welche die Wandlungen des französischen
Geschmacks von Ludwig XIII. bis auf Napoleon I. krystallisiren, die wir also
mit Barock, Rococo, Zopf und ?r<ziuisr smxirs bezeichnen. Die wachsende Er¬
höhung der Arbeitslöhne einerseits und das starke malerische Gefühl der Fran¬
zosen andrerseits haben zur Folge gehabt, daß bei der Möbelfabrikation der
Kunsttischler und der Holzbildhauer immer mehr in den Hintergrund traten,
um dem 1g.pi88i<zr, dem Dekorateur, desto breitern Spielraum zu lassen. Die
Holzskulptnr und die eigentliche tektonische Form der Möbels werden immer
mehr beschränkt, und die Polsterung, die Dekoration mit kostbaren Seiden- und
Sammetstofsen, mit welchen der französische Tapezierer nicht so ängstlich zu
verfahren braucht wie der deutsche, bestimmen die Physiognomie der Sitzmöbel,
Toilettentische u. f. w. Die französische Abteilung der Amsterdamer Ausstellung
liefert eine beredte Illustration zu diesem Umbildungsprozesse. In allen Dingen,
welche sich auf dekorative Ausstattung beziehen, nehmen die Franzosen nach wie
vor eine tonangebende Stellung ein, und sie verdienen dieselbe auch, weil der
ihrer Rasse angeborne Farbensinn sie vor allen andern Nationen speziell für
die Dekoration von Räumen mit Stoffen befähigt. Es muß anerkannt werden,
daß auch in Österreich und Deutschland vereinzelt ganz vorzügliches auf diesem
Gebiete geleistet wird. Aber bei den Franzosen ist das dekorative Geschick ein
durchgehender, bezeichnender Charakterzug. Sie haben denn auch in ihrer Ab¬
teilung in Amsterdam von diesem Geschick den ausgiebigsten Gebrauch gemacht.
Die Natur des Unternehmens, welches von einem französischen Spekulanten im
Verein mit französischen und belgischen Kapitalisten in Szene gesetzt worden ist,
brachte es mit sich, daß die Franzosen sich gewissermaßen wie zu Hause fühlen
und sich den besten Platz auswählen konnten. Aus Courtoisie überließen sie
Holland den ersten Platz in dem Hauptausstellungsgebäude, welches von einem
französischen Architekten entworfen worden ist; es folgt Belgien, darauf der
Raum für England, welches sich nicht offiziell beteiligt hat und nur durch
wenige, zum Teil auch in Holland domizilirte Firmen vertreten ist, alsdann im
schönsten und hellsten Teil des Gebäudes unter einer mächtigen Glaskuppel
die Ausstellung Frankreichs, und ganz zuletzt, wie immer als Aschenbrödel,
Deutschland in engen, schlecht beleuchteten Räumen, welche eine dürftige, durch
nichts fesselnde und imponirende Dekoration erhalten haben. Was haben da¬
gegen die Franzosen aufgeboten! Zwei Reihen von kolossalen Karyatiden, welche
zu beiden Seiten der (ZÄsi-is et'd.oren6ur in der Höhe das Gebälk tragen,
Velarien, Friese, allegorische Figuren, Teppiche und Fahnen -- alles stürmt in
berauschender Farbenpracht auf die Sinne ein. Und zu beiden Seiten dieses


Die Ausstellung in Amsterdam und das Projekt einer Weltausstellung in Berlin.

erklären, welche seit einem Menschenalter derselben Tradition folgen und in
ihrer, übrigens echt französischen, Anmaßung von dem Grundsatze ausgehend,
daß Paris die Welt sei und der übrigen Welt Gesetze und Geschmack vorzu¬
schreiben habe, sich hartnäckig gegen jede Neuerung verschließen. Sie bewegen
sich fast sämtlich in den Stilformen, welche die Wandlungen des französischen
Geschmacks von Ludwig XIII. bis auf Napoleon I. krystallisiren, die wir also
mit Barock, Rococo, Zopf und ?r<ziuisr smxirs bezeichnen. Die wachsende Er¬
höhung der Arbeitslöhne einerseits und das starke malerische Gefühl der Fran¬
zosen andrerseits haben zur Folge gehabt, daß bei der Möbelfabrikation der
Kunsttischler und der Holzbildhauer immer mehr in den Hintergrund traten,
um dem 1g.pi88i<zr, dem Dekorateur, desto breitern Spielraum zu lassen. Die
Holzskulptnr und die eigentliche tektonische Form der Möbels werden immer
mehr beschränkt, und die Polsterung, die Dekoration mit kostbaren Seiden- und
Sammetstofsen, mit welchen der französische Tapezierer nicht so ängstlich zu
verfahren braucht wie der deutsche, bestimmen die Physiognomie der Sitzmöbel,
Toilettentische u. f. w. Die französische Abteilung der Amsterdamer Ausstellung
liefert eine beredte Illustration zu diesem Umbildungsprozesse. In allen Dingen,
welche sich auf dekorative Ausstattung beziehen, nehmen die Franzosen nach wie
vor eine tonangebende Stellung ein, und sie verdienen dieselbe auch, weil der
ihrer Rasse angeborne Farbensinn sie vor allen andern Nationen speziell für
die Dekoration von Räumen mit Stoffen befähigt. Es muß anerkannt werden,
daß auch in Österreich und Deutschland vereinzelt ganz vorzügliches auf diesem
Gebiete geleistet wird. Aber bei den Franzosen ist das dekorative Geschick ein
durchgehender, bezeichnender Charakterzug. Sie haben denn auch in ihrer Ab¬
teilung in Amsterdam von diesem Geschick den ausgiebigsten Gebrauch gemacht.
Die Natur des Unternehmens, welches von einem französischen Spekulanten im
Verein mit französischen und belgischen Kapitalisten in Szene gesetzt worden ist,
brachte es mit sich, daß die Franzosen sich gewissermaßen wie zu Hause fühlen
und sich den besten Platz auswählen konnten. Aus Courtoisie überließen sie
Holland den ersten Platz in dem Hauptausstellungsgebäude, welches von einem
französischen Architekten entworfen worden ist; es folgt Belgien, darauf der
Raum für England, welches sich nicht offiziell beteiligt hat und nur durch
wenige, zum Teil auch in Holland domizilirte Firmen vertreten ist, alsdann im
schönsten und hellsten Teil des Gebäudes unter einer mächtigen Glaskuppel
die Ausstellung Frankreichs, und ganz zuletzt, wie immer als Aschenbrödel,
Deutschland in engen, schlecht beleuchteten Räumen, welche eine dürftige, durch
nichts fesselnde und imponirende Dekoration erhalten haben. Was haben da¬
gegen die Franzosen aufgeboten! Zwei Reihen von kolossalen Karyatiden, welche
zu beiden Seiten der (ZÄsi-is et'd.oren6ur in der Höhe das Gebälk tragen,
Velarien, Friese, allegorische Figuren, Teppiche und Fahnen — alles stürmt in
berauschender Farbenpracht auf die Sinne ein. Und zu beiden Seiten dieses


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[0404] Die Ausstellung in Amsterdam und das Projekt einer Weltausstellung in Berlin. erklären, welche seit einem Menschenalter derselben Tradition folgen und in ihrer, übrigens echt französischen, Anmaßung von dem Grundsatze ausgehend, daß Paris die Welt sei und der übrigen Welt Gesetze und Geschmack vorzu¬ schreiben habe, sich hartnäckig gegen jede Neuerung verschließen. Sie bewegen sich fast sämtlich in den Stilformen, welche die Wandlungen des französischen Geschmacks von Ludwig XIII. bis auf Napoleon I. krystallisiren, die wir also mit Barock, Rococo, Zopf und ?r<ziuisr smxirs bezeichnen. Die wachsende Er¬ höhung der Arbeitslöhne einerseits und das starke malerische Gefühl der Fran¬ zosen andrerseits haben zur Folge gehabt, daß bei der Möbelfabrikation der Kunsttischler und der Holzbildhauer immer mehr in den Hintergrund traten, um dem 1g.pi88i<zr, dem Dekorateur, desto breitern Spielraum zu lassen. Die Holzskulptnr und die eigentliche tektonische Form der Möbels werden immer mehr beschränkt, und die Polsterung, die Dekoration mit kostbaren Seiden- und Sammetstofsen, mit welchen der französische Tapezierer nicht so ängstlich zu verfahren braucht wie der deutsche, bestimmen die Physiognomie der Sitzmöbel, Toilettentische u. f. w. Die französische Abteilung der Amsterdamer Ausstellung liefert eine beredte Illustration zu diesem Umbildungsprozesse. In allen Dingen, welche sich auf dekorative Ausstattung beziehen, nehmen die Franzosen nach wie vor eine tonangebende Stellung ein, und sie verdienen dieselbe auch, weil der ihrer Rasse angeborne Farbensinn sie vor allen andern Nationen speziell für die Dekoration von Räumen mit Stoffen befähigt. Es muß anerkannt werden, daß auch in Österreich und Deutschland vereinzelt ganz vorzügliches auf diesem Gebiete geleistet wird. Aber bei den Franzosen ist das dekorative Geschick ein durchgehender, bezeichnender Charakterzug. Sie haben denn auch in ihrer Ab¬ teilung in Amsterdam von diesem Geschick den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Die Natur des Unternehmens, welches von einem französischen Spekulanten im Verein mit französischen und belgischen Kapitalisten in Szene gesetzt worden ist, brachte es mit sich, daß die Franzosen sich gewissermaßen wie zu Hause fühlen und sich den besten Platz auswählen konnten. Aus Courtoisie überließen sie Holland den ersten Platz in dem Hauptausstellungsgebäude, welches von einem französischen Architekten entworfen worden ist; es folgt Belgien, darauf der Raum für England, welches sich nicht offiziell beteiligt hat und nur durch wenige, zum Teil auch in Holland domizilirte Firmen vertreten ist, alsdann im schönsten und hellsten Teil des Gebäudes unter einer mächtigen Glaskuppel die Ausstellung Frankreichs, und ganz zuletzt, wie immer als Aschenbrödel, Deutschland in engen, schlecht beleuchteten Räumen, welche eine dürftige, durch nichts fesselnde und imponirende Dekoration erhalten haben. Was haben da¬ gegen die Franzosen aufgeboten! Zwei Reihen von kolossalen Karyatiden, welche zu beiden Seiten der (ZÄsi-is et'd.oren6ur in der Höhe das Gebälk tragen, Velarien, Friese, allegorische Figuren, Teppiche und Fahnen — alles stürmt in berauschender Farbenpracht auf die Sinne ein. Und zu beiden Seiten dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/404>, abgerufen am 08.09.2024.