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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Friedrich preller.

die Häuser Goethes, Schillers, Wielands betrachten und sich innerlich dadurch
gehoben fühlen; dem Bewohner der kleine" Stadt mit einem eignen künstlerischen
Streben war nicht so gut zu Mute. Ein neues Dasein fordert neue Rechte,
und vom Ruhme seiner Umgebung kann nicht zehren, wer selbst eine Bedeutung
in sich fühlt. Preller faßte den Gedanken, Weimar zu verlassen, ernstlich ins
Auge. Da starb bald nach Goethes Tode Hofrat Meyer (im Oktober 1832),
und es erging an Preller die Anfrage, ob er den Unterricht, den der Verstorbene
in der ersten Klasse der Zeichenschule erteilt hatte, fortan übernehmen wolle?
Das Jahrgehalt dieser Stellung betrug 120 Thaler, die Großherzogin aber
versprach die geringe Besoldung durch die alljährliche Bestellung eines Bildes
um 200 Thaler zu erhöhen. Dieser Antrag mochte für den jungen Künstler
eher etwas Erschreckendes als Beglückendes haben, und doch forderte er zu ernster
Erwägung heraus. Daß man ihm wohlwollte, konnte Preller nicht verkennen.
Man suchte ihn Weimar zu erhalten und that dazu, soviel die Verhältnisse
gestatteten. Die Augen der Eltern mochten freudig und bittend auf dem
Sohne ruhen. Der Wunsch und die Pflicht, für seine Braut und sich bald
den eignen Herd zu gründen, traten vor seine Seele. Er sagte zu, und im
Stillen unterdrückte er die beklemmende Aussicht, zeitlebens Zeichenlehrer zu
bleiben."

Diese feste Anstellung Prellers in Weimar, welche sein Bleiben für das
Leben entschied, giebt zu sehr ernsten Betrachtungen Anlaß. Es ist ohne Frage
ein Unglück, daß seit ein paar Jahrzehnten die mittlern und kleinern deutschen
Städte geistig mehr veröden, daß es strebsame und auf eine größere Entwicklung
angelegte Naturen immer unmöglicher finden oder für unmöglich halten, ihr
Leben in einer Umgebung zu verbringen, in der vor zwei Menschenaltern die
größten Individualitäten und Leistungen gereift sind. Aber es muß gesagt
werden, daß die neueste Anschauung ein Produkt der Fehler ist, die in den dreißiger,
vierziger und noch in den fünfziger Jahren allerorts begangen worden sind.
Man hat offenbar den rechten Augenblick versäumt, sich allzu engen und dürftigen
Überlieferungen zu entwinden. Man hat zu einer Zeit, wo es mit mäßigen Mitteln
noch vollkommen möglich gewesen wäre, eine ganze Reihe von Bildungsstätten und
Bildungsmittelpunkten in frischem Leben und erfreulicher Wirkung zu erhalten,
in armseligster Weise geknausert. Man hat, ans das ursprünglich vorhandene
Heimatsgefühl, auf die deutsche Neigung zur besondern Entwicklung auch im be¬
schränkten Kreise pochend, den unvermeidlichen Umschwung nicht vorausgesehen.
Man hat bis zum Unverantwortlichen den vorzüglichsten Männern der älteren Ge¬
neration Opfer und Entsagungen auferlegt, welche einen viel zu großen Teil
ihrer zu bessern Dingen bestimmten Kraft verbraucht haben. Auch von dem Unter¬
schied der Zeiten abgesehen, waren "Versorgungen" wie diejenige Friedrich
Prellers unzulänglich uno unwürdig. Weil die LebcnSeuge, in die man eine
immerhin schon bedeutende, vielversprechende und sich täglich freier und schöner


Friedrich preller.

die Häuser Goethes, Schillers, Wielands betrachten und sich innerlich dadurch
gehoben fühlen; dem Bewohner der kleine» Stadt mit einem eignen künstlerischen
Streben war nicht so gut zu Mute. Ein neues Dasein fordert neue Rechte,
und vom Ruhme seiner Umgebung kann nicht zehren, wer selbst eine Bedeutung
in sich fühlt. Preller faßte den Gedanken, Weimar zu verlassen, ernstlich ins
Auge. Da starb bald nach Goethes Tode Hofrat Meyer (im Oktober 1832),
und es erging an Preller die Anfrage, ob er den Unterricht, den der Verstorbene
in der ersten Klasse der Zeichenschule erteilt hatte, fortan übernehmen wolle?
Das Jahrgehalt dieser Stellung betrug 120 Thaler, die Großherzogin aber
versprach die geringe Besoldung durch die alljährliche Bestellung eines Bildes
um 200 Thaler zu erhöhen. Dieser Antrag mochte für den jungen Künstler
eher etwas Erschreckendes als Beglückendes haben, und doch forderte er zu ernster
Erwägung heraus. Daß man ihm wohlwollte, konnte Preller nicht verkennen.
Man suchte ihn Weimar zu erhalten und that dazu, soviel die Verhältnisse
gestatteten. Die Augen der Eltern mochten freudig und bittend auf dem
Sohne ruhen. Der Wunsch und die Pflicht, für seine Braut und sich bald
den eignen Herd zu gründen, traten vor seine Seele. Er sagte zu, und im
Stillen unterdrückte er die beklemmende Aussicht, zeitlebens Zeichenlehrer zu
bleiben."

Diese feste Anstellung Prellers in Weimar, welche sein Bleiben für das
Leben entschied, giebt zu sehr ernsten Betrachtungen Anlaß. Es ist ohne Frage
ein Unglück, daß seit ein paar Jahrzehnten die mittlern und kleinern deutschen
Städte geistig mehr veröden, daß es strebsame und auf eine größere Entwicklung
angelegte Naturen immer unmöglicher finden oder für unmöglich halten, ihr
Leben in einer Umgebung zu verbringen, in der vor zwei Menschenaltern die
größten Individualitäten und Leistungen gereift sind. Aber es muß gesagt
werden, daß die neueste Anschauung ein Produkt der Fehler ist, die in den dreißiger,
vierziger und noch in den fünfziger Jahren allerorts begangen worden sind.
Man hat offenbar den rechten Augenblick versäumt, sich allzu engen und dürftigen
Überlieferungen zu entwinden. Man hat zu einer Zeit, wo es mit mäßigen Mitteln
noch vollkommen möglich gewesen wäre, eine ganze Reihe von Bildungsstätten und
Bildungsmittelpunkten in frischem Leben und erfreulicher Wirkung zu erhalten,
in armseligster Weise geknausert. Man hat, ans das ursprünglich vorhandene
Heimatsgefühl, auf die deutsche Neigung zur besondern Entwicklung auch im be¬
schränkten Kreise pochend, den unvermeidlichen Umschwung nicht vorausgesehen.
Man hat bis zum Unverantwortlichen den vorzüglichsten Männern der älteren Ge¬
neration Opfer und Entsagungen auferlegt, welche einen viel zu großen Teil
ihrer zu bessern Dingen bestimmten Kraft verbraucht haben. Auch von dem Unter¬
schied der Zeiten abgesehen, waren „Versorgungen" wie diejenige Friedrich
Prellers unzulänglich uno unwürdig. Weil die LebcnSeuge, in die man eine
immerhin schon bedeutende, vielversprechende und sich täglich freier und schöner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/40>, abgerufen am 08.09.2024.