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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Rietschels Lntcherkopf.

die Treue eines andern Schülers, des obengenannten G. Kietz, gerettet
worden sei. Sie eröffneten der aufhorchenden Welt, daß bei der Feier des
Lutherjubilämns am 10. November dieses Jahres der ans dem Dresdner Alt¬
markt aufzustellende Gipsabguß der Rictschelscheu Statue den echten Kopf tragen
werde und stellten eine Agitation in Aussicht, deren letztes Endziel die Be¬
seitigung des jetzt auf der Wormser Luthergestalt vorhandenen Kopfes und eine
nachträgliche Ausführung in Bronzeguß der von Kietz geretteten Rietschelschen
Arbeit fein sollte.

Wer auch uur irgend etwas von den hier in Rede stehenden Vorgänge,?
und Persönlichkeiten wußte, für den war es von vornherein klar, daß sich die
Sensationssucht und andre unlautere Motive einer Angelegenheit bemächtigten,
von der man nur zu gut wußte, daß sie vor dem großen Publikum wegen der
einschlagenden künstlerisch-technischen Fragen garnicht allsgetragen werden kann.
Zwar hatte Professor Donndorf das Glück, daß sich auf der Stelle zwei ge¬
wichtige Zeugen für ihn erhoben, ein Zeuge von jenseits des Grabes und ein
Lebender. Aus Julius Schmorr von Carolsfelds Tagebüchern veröffentlichte der
Sohn des geschiednen Meisters, der Bibliothekar Dr. Fr. Schmorr von Carols-
feld in Dresden, die Tagebuchaufzeichnungen seines Vaters vom 4. Februar
1861 bis zu Rietschels Tode, Aufzeichnungen, aus denen mit aller Deutlichkeit
hervorgeht, daß Donndorf die Arbeit am Lutherkopf durchaus im Einverständnis
mit seinem Meister und mit Rietschels Vertrauensmann, Schmorr von Carols-
feld. selbst ausgeführt hat. Der lebende Zeuge war Rietschels Schwager und
nachmaliger Biograph Andreas Oppermcinn in Zittau. Mit der schärfsten Be¬
stimmtheit sprach er aus, daß Rietschel den zuerst von ihm entworfenen Luther¬
kopf aus manmchfachen Gründen geändert habe, daß er, als er sich selbst zur
weitern Ausführung zu schwach gefühlt habe, seinem Schüler Donndorf den
Auftrag erteilte, in seinem Sinne diese Ausführung zu vollenden, daß Donn¬
dorf hierbei mit der höchsten Pietät Verfahren sei, daß der sogenannte "gerettete"
Lutherkopf nichts andres sei als jene erste von Rietschel selbst verworfene und
aus guten künstlerischen Gründen beseitigte Ausführung. Oppermann erklärte,
daß er sich nicht für berechtigt gehalten habe, bei der Auswahl der Rietschelschen
Werke für das in Dresden befindliche Rietschel-Museum diese von seinem ver¬
storbenen Schwager so bestimmt aufgegebene Arbeit zu berücksichtigen. Gegen¬
über seinem Zeugnis über den Hergang bei dieser ganzen Angelegenheit ist es
nicht mehr möglich, dem Bildhauer Donndorf eine bewußte Pietätlosigkeit und
Perfidie schuld zu geben (worauf es doch wohl hauptsächlich, wenn nicht allein,
abgesehen war), und man wird sich, wenn der Streit über den Lutherkopf fort¬
gesetzt werden soll, auf einen andern Boden stellen müssen.

Dies geschieht denn damit, daß man gegenwärtig behauptet, Rietschels Zu¬
stimmung zu der von Donndorf vollendeten Ausführung habe keinerlei Bedeu¬
tung, weil sie dem Meister in seinem Schwächezustand während der letzten Mo-


Rietschels Lntcherkopf.

die Treue eines andern Schülers, des obengenannten G. Kietz, gerettet
worden sei. Sie eröffneten der aufhorchenden Welt, daß bei der Feier des
Lutherjubilämns am 10. November dieses Jahres der ans dem Dresdner Alt¬
markt aufzustellende Gipsabguß der Rictschelscheu Statue den echten Kopf tragen
werde und stellten eine Agitation in Aussicht, deren letztes Endziel die Be¬
seitigung des jetzt auf der Wormser Luthergestalt vorhandenen Kopfes und eine
nachträgliche Ausführung in Bronzeguß der von Kietz geretteten Rietschelschen
Arbeit fein sollte.

Wer auch uur irgend etwas von den hier in Rede stehenden Vorgänge,?
und Persönlichkeiten wußte, für den war es von vornherein klar, daß sich die
Sensationssucht und andre unlautere Motive einer Angelegenheit bemächtigten,
von der man nur zu gut wußte, daß sie vor dem großen Publikum wegen der
einschlagenden künstlerisch-technischen Fragen garnicht allsgetragen werden kann.
Zwar hatte Professor Donndorf das Glück, daß sich auf der Stelle zwei ge¬
wichtige Zeugen für ihn erhoben, ein Zeuge von jenseits des Grabes und ein
Lebender. Aus Julius Schmorr von Carolsfelds Tagebüchern veröffentlichte der
Sohn des geschiednen Meisters, der Bibliothekar Dr. Fr. Schmorr von Carols-
feld in Dresden, die Tagebuchaufzeichnungen seines Vaters vom 4. Februar
1861 bis zu Rietschels Tode, Aufzeichnungen, aus denen mit aller Deutlichkeit
hervorgeht, daß Donndorf die Arbeit am Lutherkopf durchaus im Einverständnis
mit seinem Meister und mit Rietschels Vertrauensmann, Schmorr von Carols-
feld. selbst ausgeführt hat. Der lebende Zeuge war Rietschels Schwager und
nachmaliger Biograph Andreas Oppermcinn in Zittau. Mit der schärfsten Be¬
stimmtheit sprach er aus, daß Rietschel den zuerst von ihm entworfenen Luther¬
kopf aus manmchfachen Gründen geändert habe, daß er, als er sich selbst zur
weitern Ausführung zu schwach gefühlt habe, seinem Schüler Donndorf den
Auftrag erteilte, in seinem Sinne diese Ausführung zu vollenden, daß Donn¬
dorf hierbei mit der höchsten Pietät Verfahren sei, daß der sogenannte „gerettete"
Lutherkopf nichts andres sei als jene erste von Rietschel selbst verworfene und
aus guten künstlerischen Gründen beseitigte Ausführung. Oppermann erklärte,
daß er sich nicht für berechtigt gehalten habe, bei der Auswahl der Rietschelschen
Werke für das in Dresden befindliche Rietschel-Museum diese von seinem ver¬
storbenen Schwager so bestimmt aufgegebene Arbeit zu berücksichtigen. Gegen¬
über seinem Zeugnis über den Hergang bei dieser ganzen Angelegenheit ist es
nicht mehr möglich, dem Bildhauer Donndorf eine bewußte Pietätlosigkeit und
Perfidie schuld zu geben (worauf es doch wohl hauptsächlich, wenn nicht allein,
abgesehen war), und man wird sich, wenn der Streit über den Lutherkopf fort¬
gesetzt werden soll, auf einen andern Boden stellen müssen.

Dies geschieht denn damit, daß man gegenwärtig behauptet, Rietschels Zu¬
stimmung zu der von Donndorf vollendeten Ausführung habe keinerlei Bedeu¬
tung, weil sie dem Meister in seinem Schwächezustand während der letzten Mo-


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[0397] Rietschels Lntcherkopf. die Treue eines andern Schülers, des obengenannten G. Kietz, gerettet worden sei. Sie eröffneten der aufhorchenden Welt, daß bei der Feier des Lutherjubilämns am 10. November dieses Jahres der ans dem Dresdner Alt¬ markt aufzustellende Gipsabguß der Rictschelscheu Statue den echten Kopf tragen werde und stellten eine Agitation in Aussicht, deren letztes Endziel die Be¬ seitigung des jetzt auf der Wormser Luthergestalt vorhandenen Kopfes und eine nachträgliche Ausführung in Bronzeguß der von Kietz geretteten Rietschelschen Arbeit fein sollte. Wer auch uur irgend etwas von den hier in Rede stehenden Vorgänge,? und Persönlichkeiten wußte, für den war es von vornherein klar, daß sich die Sensationssucht und andre unlautere Motive einer Angelegenheit bemächtigten, von der man nur zu gut wußte, daß sie vor dem großen Publikum wegen der einschlagenden künstlerisch-technischen Fragen garnicht allsgetragen werden kann. Zwar hatte Professor Donndorf das Glück, daß sich auf der Stelle zwei ge¬ wichtige Zeugen für ihn erhoben, ein Zeuge von jenseits des Grabes und ein Lebender. Aus Julius Schmorr von Carolsfelds Tagebüchern veröffentlichte der Sohn des geschiednen Meisters, der Bibliothekar Dr. Fr. Schmorr von Carols- feld in Dresden, die Tagebuchaufzeichnungen seines Vaters vom 4. Februar 1861 bis zu Rietschels Tode, Aufzeichnungen, aus denen mit aller Deutlichkeit hervorgeht, daß Donndorf die Arbeit am Lutherkopf durchaus im Einverständnis mit seinem Meister und mit Rietschels Vertrauensmann, Schmorr von Carols- feld. selbst ausgeführt hat. Der lebende Zeuge war Rietschels Schwager und nachmaliger Biograph Andreas Oppermcinn in Zittau. Mit der schärfsten Be¬ stimmtheit sprach er aus, daß Rietschel den zuerst von ihm entworfenen Luther¬ kopf aus manmchfachen Gründen geändert habe, daß er, als er sich selbst zur weitern Ausführung zu schwach gefühlt habe, seinem Schüler Donndorf den Auftrag erteilte, in seinem Sinne diese Ausführung zu vollenden, daß Donn¬ dorf hierbei mit der höchsten Pietät Verfahren sei, daß der sogenannte „gerettete" Lutherkopf nichts andres sei als jene erste von Rietschel selbst verworfene und aus guten künstlerischen Gründen beseitigte Ausführung. Oppermann erklärte, daß er sich nicht für berechtigt gehalten habe, bei der Auswahl der Rietschelschen Werke für das in Dresden befindliche Rietschel-Museum diese von seinem ver¬ storbenen Schwager so bestimmt aufgegebene Arbeit zu berücksichtigen. Gegen¬ über seinem Zeugnis über den Hergang bei dieser ganzen Angelegenheit ist es nicht mehr möglich, dem Bildhauer Donndorf eine bewußte Pietätlosigkeit und Perfidie schuld zu geben (worauf es doch wohl hauptsächlich, wenn nicht allein, abgesehen war), und man wird sich, wenn der Streit über den Lutherkopf fort¬ gesetzt werden soll, auf einen andern Boden stellen müssen. Dies geschieht denn damit, daß man gegenwärtig behauptet, Rietschels Zu¬ stimmung zu der von Donndorf vollendeten Ausführung habe keinerlei Bedeu¬ tung, weil sie dem Meister in seinem Schwächezustand während der letzten Mo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/397>, abgerufen am 08.09.2024.