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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Nilitärlast und Überproduktion.

hat sich der Welt nicht in einem Mangel an Bekleidungsgegenständen, nicht
einmal in einer übermäßigen Verteuerung der baumwollenen Zeuge, sondern in
einer furchtbaren Not unter den überzählig gewordenen englischen Industrie¬
arbeitern bemerkbar gemacht.

Doch geschichtliche Thatsachen werden bekanntlich immer von den verschiednen
Parteistaudpunkten aus verschieden ausgelegt und wirken auf den Gegner niemals
überzeugend. Wir kehren deshalb wieder zu unsrer ursprünglichen Argumentation
zurück. Die Summe aller der Artikel, welche beispielsweise von dein deutschen
Volke im Laufe jedes Jahres konsumirt werden, wird produzirt von einer be¬
stimmten Anzahl vou Arbeitern. (Daß ein Teil des Konsums aus dem Aus¬
lande eingeführt wird, beeinflußt die Darstellung in keiner Weise, da für die
eingeführten Waaren ein gleicher Wert ausgeführt werden muß. Deal die Ein¬
fuhr wird bezahlt entweder mit ausgeführten Waaren oder mit Geld, welches
doch auch vorher erworben, d. h. entweder für ausgeführte Waaren importirt
oder im Lande gewonnen sein muß. Vou deu Milliarden der französischen
Kriegskontribution glaube ich gegenwärtig absehen zu können.) Diese Arbeiter haben
aber zur Beschaffung des Konsums nicht das ganze Jahr hindurch zu thun.
Denn wäre dies der Fall, so würden keine Geschüstsstockungen entstehen können,
welche ihren Grund in Überproduktion haben und sich in Arbeiterentlassnngen
äußern. Durch eine etwaige Verminderung des stehenden Heeres wird aber
an sich keinerlei Arbeitsgelegenheit geschaffen. Mithin könnten nach Eintritt
derselben nicht mehr Arbeiter beschäftigt werden als zuvor, und die allgemeine
Not würde nicht ab- sondern zunehmen. Wird unigekehrt durch eine Vermehrung
des stehenden Heeres ein Teil der arbeitsfähigen Leute der Produktion ent¬
zogen, so finden andre, welche bisher beschäftigungslos waren, Arbeit, und die
durch Überfluß von Arbeitern hervorgerufene Not wird gemildert oder hört
gänzlich auf.

Man könnte nun zunächst meinen, ein Abgang von 100 000 Mann werde auf
das Arbeitsangebot keinen wesentlichen Einfluß haben. Ich glaube im Gegenteil,
derselbe würde sehr fühlbar werden. Denn wenn in einer Stadt, in welcher
z. B. 10 000 Arbeiter beschäftigt sind, auch nur aus einer Fabrik etwa hundert
wegen Arbeitsmangels entlassen werden müssen und nicht anderweitig beschäftigt
werden können, so ist damit die Sicherheit des Daseins auch für die übrigen
9900 untergraben, und es tritt für jeden einzelnen das unbehagliche Gefühl ein,
daß seine Dienste jeden Augenblick mit Leichtigkeit ersetzt werden können, daß
er mehr oder weniger überflüssig ist. Die Behaglichkeit der Lage sowohl der
Arbeiter als auch in gewissem Sinne der Arbeitgeber hängt gerade davon ab, daß
alle, welche arbeiten wollen, wirklich Arbeit finden, daß Nachfrage und An¬
gebot im wesentlichen sich das Gleichgewicht halten.

Aber, wird man weiter einwenden, die Soldaten kosten doch unter allen Um¬
ständen Geld, und es würde viel Geld erspart werden, wenn die Militärlast ver-


Nilitärlast und Überproduktion.

hat sich der Welt nicht in einem Mangel an Bekleidungsgegenständen, nicht
einmal in einer übermäßigen Verteuerung der baumwollenen Zeuge, sondern in
einer furchtbaren Not unter den überzählig gewordenen englischen Industrie¬
arbeitern bemerkbar gemacht.

Doch geschichtliche Thatsachen werden bekanntlich immer von den verschiednen
Parteistaudpunkten aus verschieden ausgelegt und wirken auf den Gegner niemals
überzeugend. Wir kehren deshalb wieder zu unsrer ursprünglichen Argumentation
zurück. Die Summe aller der Artikel, welche beispielsweise von dein deutschen
Volke im Laufe jedes Jahres konsumirt werden, wird produzirt von einer be¬
stimmten Anzahl vou Arbeitern. (Daß ein Teil des Konsums aus dem Aus¬
lande eingeführt wird, beeinflußt die Darstellung in keiner Weise, da für die
eingeführten Waaren ein gleicher Wert ausgeführt werden muß. Deal die Ein¬
fuhr wird bezahlt entweder mit ausgeführten Waaren oder mit Geld, welches
doch auch vorher erworben, d. h. entweder für ausgeführte Waaren importirt
oder im Lande gewonnen sein muß. Vou deu Milliarden der französischen
Kriegskontribution glaube ich gegenwärtig absehen zu können.) Diese Arbeiter haben
aber zur Beschaffung des Konsums nicht das ganze Jahr hindurch zu thun.
Denn wäre dies der Fall, so würden keine Geschüstsstockungen entstehen können,
welche ihren Grund in Überproduktion haben und sich in Arbeiterentlassnngen
äußern. Durch eine etwaige Verminderung des stehenden Heeres wird aber
an sich keinerlei Arbeitsgelegenheit geschaffen. Mithin könnten nach Eintritt
derselben nicht mehr Arbeiter beschäftigt werden als zuvor, und die allgemeine
Not würde nicht ab- sondern zunehmen. Wird unigekehrt durch eine Vermehrung
des stehenden Heeres ein Teil der arbeitsfähigen Leute der Produktion ent¬
zogen, so finden andre, welche bisher beschäftigungslos waren, Arbeit, und die
durch Überfluß von Arbeitern hervorgerufene Not wird gemildert oder hört
gänzlich auf.

Man könnte nun zunächst meinen, ein Abgang von 100 000 Mann werde auf
das Arbeitsangebot keinen wesentlichen Einfluß haben. Ich glaube im Gegenteil,
derselbe würde sehr fühlbar werden. Denn wenn in einer Stadt, in welcher
z. B. 10 000 Arbeiter beschäftigt sind, auch nur aus einer Fabrik etwa hundert
wegen Arbeitsmangels entlassen werden müssen und nicht anderweitig beschäftigt
werden können, so ist damit die Sicherheit des Daseins auch für die übrigen
9900 untergraben, und es tritt für jeden einzelnen das unbehagliche Gefühl ein,
daß seine Dienste jeden Augenblick mit Leichtigkeit ersetzt werden können, daß
er mehr oder weniger überflüssig ist. Die Behaglichkeit der Lage sowohl der
Arbeiter als auch in gewissem Sinne der Arbeitgeber hängt gerade davon ab, daß
alle, welche arbeiten wollen, wirklich Arbeit finden, daß Nachfrage und An¬
gebot im wesentlichen sich das Gleichgewicht halten.

Aber, wird man weiter einwenden, die Soldaten kosten doch unter allen Um¬
ständen Geld, und es würde viel Geld erspart werden, wenn die Militärlast ver-


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[0388] Nilitärlast und Überproduktion. hat sich der Welt nicht in einem Mangel an Bekleidungsgegenständen, nicht einmal in einer übermäßigen Verteuerung der baumwollenen Zeuge, sondern in einer furchtbaren Not unter den überzählig gewordenen englischen Industrie¬ arbeitern bemerkbar gemacht. Doch geschichtliche Thatsachen werden bekanntlich immer von den verschiednen Parteistaudpunkten aus verschieden ausgelegt und wirken auf den Gegner niemals überzeugend. Wir kehren deshalb wieder zu unsrer ursprünglichen Argumentation zurück. Die Summe aller der Artikel, welche beispielsweise von dein deutschen Volke im Laufe jedes Jahres konsumirt werden, wird produzirt von einer be¬ stimmten Anzahl vou Arbeitern. (Daß ein Teil des Konsums aus dem Aus¬ lande eingeführt wird, beeinflußt die Darstellung in keiner Weise, da für die eingeführten Waaren ein gleicher Wert ausgeführt werden muß. Deal die Ein¬ fuhr wird bezahlt entweder mit ausgeführten Waaren oder mit Geld, welches doch auch vorher erworben, d. h. entweder für ausgeführte Waaren importirt oder im Lande gewonnen sein muß. Vou deu Milliarden der französischen Kriegskontribution glaube ich gegenwärtig absehen zu können.) Diese Arbeiter haben aber zur Beschaffung des Konsums nicht das ganze Jahr hindurch zu thun. Denn wäre dies der Fall, so würden keine Geschüstsstockungen entstehen können, welche ihren Grund in Überproduktion haben und sich in Arbeiterentlassnngen äußern. Durch eine etwaige Verminderung des stehenden Heeres wird aber an sich keinerlei Arbeitsgelegenheit geschaffen. Mithin könnten nach Eintritt derselben nicht mehr Arbeiter beschäftigt werden als zuvor, und die allgemeine Not würde nicht ab- sondern zunehmen. Wird unigekehrt durch eine Vermehrung des stehenden Heeres ein Teil der arbeitsfähigen Leute der Produktion ent¬ zogen, so finden andre, welche bisher beschäftigungslos waren, Arbeit, und die durch Überfluß von Arbeitern hervorgerufene Not wird gemildert oder hört gänzlich auf. Man könnte nun zunächst meinen, ein Abgang von 100 000 Mann werde auf das Arbeitsangebot keinen wesentlichen Einfluß haben. Ich glaube im Gegenteil, derselbe würde sehr fühlbar werden. Denn wenn in einer Stadt, in welcher z. B. 10 000 Arbeiter beschäftigt sind, auch nur aus einer Fabrik etwa hundert wegen Arbeitsmangels entlassen werden müssen und nicht anderweitig beschäftigt werden können, so ist damit die Sicherheit des Daseins auch für die übrigen 9900 untergraben, und es tritt für jeden einzelnen das unbehagliche Gefühl ein, daß seine Dienste jeden Augenblick mit Leichtigkeit ersetzt werden können, daß er mehr oder weniger überflüssig ist. Die Behaglichkeit der Lage sowohl der Arbeiter als auch in gewissem Sinne der Arbeitgeber hängt gerade davon ab, daß alle, welche arbeiten wollen, wirklich Arbeit finden, daß Nachfrage und An¬ gebot im wesentlichen sich das Gleichgewicht halten. Aber, wird man weiter einwenden, die Soldaten kosten doch unter allen Um¬ ständen Geld, und es würde viel Geld erspart werden, wenn die Militärlast ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/388>, abgerufen am 08.09.2024.