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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Ver Pariser Salon.

ihnen dasselbe Motiv, die aus dem Brunnen steigende Wahrheit, entlehnt
haben:


Ick Vöritv iouto uns
Loriiit un ^jour av son xuits;
Lliaoun s'onkiz^g,it " SÄ vus ....

Die Wahrheit ist natürlich in der kokett-eleganten Art eines Baudry behandelt.
Bei Garnier flieht nur eine Dienstmagd, welche eben Wasser schöpfen wollte,
und ein Bänkelsänger. Moreau-Vauthier hat dagegen seine Komposition schon
schärfer zugespitzt, indem er ein paar Mönche Hals über Kopf davonlaufen läßt.

Im Durchschnitt stand die Skulptur auf einem bei weitem höhern Niveau
als die Malerei. Indessen wird man, wenn man vorsichtig zu Werke gehen
will, nur zwei Arbeiten als ernsthafte Erfolge bezeichnen dürfen, die in eine
Quelle verwandelte Biblis von Suchetet, eine ruhende Gestalt von seltener
Anmut und innigem, wahrhaft rührendem Gesichtsausdruck, und Barrias' "Erstes
Begräbnis," Adam und Eva mit der Leiche Abels, eine Gruppe von tiefem
Ernste und echt tragischer Haltung. Aber diese Schöpfungen sind nicht Arbeiten
von gestern, sondern für den diesjährigen Salon nur in der Marmvrausführung
vollendet worden. Suchetets "Biblis" erschien bereits 1380 im Gipsmodell,
und Barrias' Gruppe reicht sogar bis 1878 zurück. Wenn man der Abstim¬
mung der Künstler folgen will, welche die Ehrenmedaille für die Plastik zu
vergeben hatten, so würde die französische Skulptur des Jahres 1883 in zwei
Reliefs von Jules Dalou, einem Schüler von Carpeaux und Duret, gipfeln.
Da aber beide politische Gegenstände im Sinne der reinen Republik behandeln,
ist die Vermutung nicht ganz ausgeschlossen, daß nicht der absolute Kunstwert,
sondern die Politik den Ausschlag gegeben hat. Beide Arbeiten verraten aller¬
dings ein sehr bedeutendes technisches Vermögen. Aber auf der andern Seite
ist in ihnen das Gefühl für die Gesetze der Plastik so mangelhaft ausgeprägt,
daß die Abstimmung, welche ihren Urheber mit der Ehrenmedaille auszeichnete,
ganz gegen die Traditionen der französischen Kunst geht. Jedenfalls beweist
diese Abstimmung, daß ein nach republikanischen Grundsätzen frei gebildeter
Künstlerkonvent ebensosehr vou persönlicher Leidenschaft und Voreingenommenheit
beherrscht wird, als eine aus wenigen, durch die Autorität berufenen Mitgliedern
bestehende Jury. Das eine Relief, welches ganz in dem malerischen Stile der
Reliefs an den Ghibertischen Erzthüren in Florenz gehalten ist, stellt die Sitzung
der Stände vom 23. Juni 1789 dar und zwar den Moment, wo Mirabeau
dem Minister des Königs die Worte zurief: "Wir sind hier durch den Willen
des Volkes und werden nur der Macht der Bajonette weichen." Mirabeau ist
für einen Bildhauer eine ebenso undankbare Aufgabe wie Gambetta, und die
andern Deputirten des dritten Standes, welche auf dem Relief den kühnen
Worten des Redners mehr oder minder erregt zustimmen, siud auch nicht
sonderlich glänzende Figuren. An eine wirkungsvolle Gruppirung hat der Künstler


Ver Pariser Salon.

ihnen dasselbe Motiv, die aus dem Brunnen steigende Wahrheit, entlehnt
haben:


Ick Vöritv iouto uns
Loriiit un ^jour av son xuits;
Lliaoun s'onkiz^g,it » SÄ vus ....

Die Wahrheit ist natürlich in der kokett-eleganten Art eines Baudry behandelt.
Bei Garnier flieht nur eine Dienstmagd, welche eben Wasser schöpfen wollte,
und ein Bänkelsänger. Moreau-Vauthier hat dagegen seine Komposition schon
schärfer zugespitzt, indem er ein paar Mönche Hals über Kopf davonlaufen läßt.

Im Durchschnitt stand die Skulptur auf einem bei weitem höhern Niveau
als die Malerei. Indessen wird man, wenn man vorsichtig zu Werke gehen
will, nur zwei Arbeiten als ernsthafte Erfolge bezeichnen dürfen, die in eine
Quelle verwandelte Biblis von Suchetet, eine ruhende Gestalt von seltener
Anmut und innigem, wahrhaft rührendem Gesichtsausdruck, und Barrias' „Erstes
Begräbnis," Adam und Eva mit der Leiche Abels, eine Gruppe von tiefem
Ernste und echt tragischer Haltung. Aber diese Schöpfungen sind nicht Arbeiten
von gestern, sondern für den diesjährigen Salon nur in der Marmvrausführung
vollendet worden. Suchetets „Biblis" erschien bereits 1380 im Gipsmodell,
und Barrias' Gruppe reicht sogar bis 1878 zurück. Wenn man der Abstim¬
mung der Künstler folgen will, welche die Ehrenmedaille für die Plastik zu
vergeben hatten, so würde die französische Skulptur des Jahres 1883 in zwei
Reliefs von Jules Dalou, einem Schüler von Carpeaux und Duret, gipfeln.
Da aber beide politische Gegenstände im Sinne der reinen Republik behandeln,
ist die Vermutung nicht ganz ausgeschlossen, daß nicht der absolute Kunstwert,
sondern die Politik den Ausschlag gegeben hat. Beide Arbeiten verraten aller¬
dings ein sehr bedeutendes technisches Vermögen. Aber auf der andern Seite
ist in ihnen das Gefühl für die Gesetze der Plastik so mangelhaft ausgeprägt,
daß die Abstimmung, welche ihren Urheber mit der Ehrenmedaille auszeichnete,
ganz gegen die Traditionen der französischen Kunst geht. Jedenfalls beweist
diese Abstimmung, daß ein nach republikanischen Grundsätzen frei gebildeter
Künstlerkonvent ebensosehr vou persönlicher Leidenschaft und Voreingenommenheit
beherrscht wird, als eine aus wenigen, durch die Autorität berufenen Mitgliedern
bestehende Jury. Das eine Relief, welches ganz in dem malerischen Stile der
Reliefs an den Ghibertischen Erzthüren in Florenz gehalten ist, stellt die Sitzung
der Stände vom 23. Juni 1789 dar und zwar den Moment, wo Mirabeau
dem Minister des Königs die Worte zurief: „Wir sind hier durch den Willen
des Volkes und werden nur der Macht der Bajonette weichen." Mirabeau ist
für einen Bildhauer eine ebenso undankbare Aufgabe wie Gambetta, und die
andern Deputirten des dritten Standes, welche auf dem Relief den kühnen
Worten des Redners mehr oder minder erregt zustimmen, siud auch nicht
sonderlich glänzende Figuren. An eine wirkungsvolle Gruppirung hat der Künstler


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[0366] Ver Pariser Salon. ihnen dasselbe Motiv, die aus dem Brunnen steigende Wahrheit, entlehnt haben: Ick Vöritv iouto uns Loriiit un ^jour av son xuits; Lliaoun s'onkiz^g,it » SÄ vus .... Die Wahrheit ist natürlich in der kokett-eleganten Art eines Baudry behandelt. Bei Garnier flieht nur eine Dienstmagd, welche eben Wasser schöpfen wollte, und ein Bänkelsänger. Moreau-Vauthier hat dagegen seine Komposition schon schärfer zugespitzt, indem er ein paar Mönche Hals über Kopf davonlaufen läßt. Im Durchschnitt stand die Skulptur auf einem bei weitem höhern Niveau als die Malerei. Indessen wird man, wenn man vorsichtig zu Werke gehen will, nur zwei Arbeiten als ernsthafte Erfolge bezeichnen dürfen, die in eine Quelle verwandelte Biblis von Suchetet, eine ruhende Gestalt von seltener Anmut und innigem, wahrhaft rührendem Gesichtsausdruck, und Barrias' „Erstes Begräbnis," Adam und Eva mit der Leiche Abels, eine Gruppe von tiefem Ernste und echt tragischer Haltung. Aber diese Schöpfungen sind nicht Arbeiten von gestern, sondern für den diesjährigen Salon nur in der Marmvrausführung vollendet worden. Suchetets „Biblis" erschien bereits 1380 im Gipsmodell, und Barrias' Gruppe reicht sogar bis 1878 zurück. Wenn man der Abstim¬ mung der Künstler folgen will, welche die Ehrenmedaille für die Plastik zu vergeben hatten, so würde die französische Skulptur des Jahres 1883 in zwei Reliefs von Jules Dalou, einem Schüler von Carpeaux und Duret, gipfeln. Da aber beide politische Gegenstände im Sinne der reinen Republik behandeln, ist die Vermutung nicht ganz ausgeschlossen, daß nicht der absolute Kunstwert, sondern die Politik den Ausschlag gegeben hat. Beide Arbeiten verraten aller¬ dings ein sehr bedeutendes technisches Vermögen. Aber auf der andern Seite ist in ihnen das Gefühl für die Gesetze der Plastik so mangelhaft ausgeprägt, daß die Abstimmung, welche ihren Urheber mit der Ehrenmedaille auszeichnete, ganz gegen die Traditionen der französischen Kunst geht. Jedenfalls beweist diese Abstimmung, daß ein nach republikanischen Grundsätzen frei gebildeter Künstlerkonvent ebensosehr vou persönlicher Leidenschaft und Voreingenommenheit beherrscht wird, als eine aus wenigen, durch die Autorität berufenen Mitgliedern bestehende Jury. Das eine Relief, welches ganz in dem malerischen Stile der Reliefs an den Ghibertischen Erzthüren in Florenz gehalten ist, stellt die Sitzung der Stände vom 23. Juni 1789 dar und zwar den Moment, wo Mirabeau dem Minister des Königs die Worte zurief: „Wir sind hier durch den Willen des Volkes und werden nur der Macht der Bajonette weichen." Mirabeau ist für einen Bildhauer eine ebenso undankbare Aufgabe wie Gambetta, und die andern Deputirten des dritten Standes, welche auf dem Relief den kühnen Worten des Redners mehr oder minder erregt zustimmen, siud auch nicht sonderlich glänzende Figuren. An eine wirkungsvolle Gruppirung hat der Künstler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/366>, abgerufen am 08.09.2024.