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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der pariser Salon.

Garten pflücken oder die Wäsche zum Bleiche" auf den Rasen legen, so wird
niemand in sonderliche Erregung darüber geraten. L'Hermitte, welcher an
Energie des Ausdrucks Baseler-Lepage noch überragt, malt einen Schnitter,
welcher in seiner Arbeit innehält, um sich den Schweiß von der Stirn zu
wischen. Vor ihm kniet eine Frau, beschäftigt, Garben znsammenznbinden, und
im Hintergrunde sieht man noch zwei Figuren bei dem gleichen Tagewerk.
Alles in naturgroße, der lange Bauer in der Mitte, seine mächtige Sense und
das Getreidefeld, und alles in einem ganz lichten Tone gehalten, welcher durch
die blendende Sonne des Hochsommers bedingt ist. Im vorigen Jahre hatte
derselbe Künstler eine ganze Gesellschaft von Erntearbeitern gemalt, welchen auf
dem Hofe einer Meierei ihr Tngelohn ausgezahlt wird. Der Staat hat kein
Bedenken getragen, diese riesengroße Verherrlichung der Trivialität für den
Luxembourg anzukaufen und neben den poetisch-heroischen Schöpfungen eiues
Breton aufzuhängen. Es verlohnt nicht der Mühe, alle Gemälde dieser
Gruppe namhaft zu machen, da das stoffliche Interesse, welches sich an die¬
selben knüpft, wie gesagt, ein äußerst geringes ist. Hier küßt ein Ackersmann
im Vorbeigehen ein Gänsemädchen, dort steht ein Hirt in einem unförmlichen
Mantel und blickt stumpfsinnig auf seine Herde, auf einem dritten Bilde ißt
ein zahnloser Greis bedächtig seine Suppe, auf einem vierten sitzen ein paar
Frauen und stricken und, um dieser großartigen Poesie des Landlebens die
Krone aufzusetzen, führt uns ein fünftes einen ganzen Viehmarkt in Lebens¬
größe vor!

Was auch La Brnyere geschrieben und Millet zu malen versucht hat, --
tragisch oder auch nur dramatisch ist dieser Kampf des Ackerbauers mit dem
Erdboden nicht. Er ist hart, erschöpfend, niederdrückend; aber kein erhebendes
nud begeisterndes Thema für die künstlerische Gestaltungskraft. Ein solches
ergiebt sich dem Künstler erst, wenn er der Erde den Rücken kehrt und den
Kampf beobachtet, welchen eine andre Klasse von Menschen mit einem andern
Elemente, dem Wasser, zu bestehen haben. Es fehlt auch nicht um Künstlern,
welche sich auf diesem dankbaren Gebiete mit großer technischer Virtuosität
bewegen; das Interesse, welches ihre Darstellungen hervorrufen, ist ungleich
lebhafter und nachhaltiger. Schon in der Fischersfrau, welche ihrem ins
Meer ziehenden Manne mit banger Sorge nachblickt oder mit Ungeduld seine
Rückkehr erwartet, liegt ein Moment dramatischer Spannung. Und wie steigert
sich dieselbe, wenn uns der Maler schildert, wie mutige Männer sich auf zer¬
brechlichem Fahrzeug in die tobende See hineinwagen, nur einem in Not befind¬
lichen Nächsten Hilfe zu bringen! Renouf hat auf seinem "Piloten" eine solche
Szene mit großartiger Bravour geschildert! Mit vier Schiffern bemannt, welche
übermenschliche Anstrengungen machen, um gegen die sich wildüberstürzendeu
Wogen anzukämpfen, durchschneidet das Boot einen Wellenknmm, um im nächsten
Augenblicke wieder in die Tiefe hinabznschießen. Als sein Ziel winkt hinten,


Der pariser Salon.

Garten pflücken oder die Wäsche zum Bleiche» auf den Rasen legen, so wird
niemand in sonderliche Erregung darüber geraten. L'Hermitte, welcher an
Energie des Ausdrucks Baseler-Lepage noch überragt, malt einen Schnitter,
welcher in seiner Arbeit innehält, um sich den Schweiß von der Stirn zu
wischen. Vor ihm kniet eine Frau, beschäftigt, Garben znsammenznbinden, und
im Hintergrunde sieht man noch zwei Figuren bei dem gleichen Tagewerk.
Alles in naturgroße, der lange Bauer in der Mitte, seine mächtige Sense und
das Getreidefeld, und alles in einem ganz lichten Tone gehalten, welcher durch
die blendende Sonne des Hochsommers bedingt ist. Im vorigen Jahre hatte
derselbe Künstler eine ganze Gesellschaft von Erntearbeitern gemalt, welchen auf
dem Hofe einer Meierei ihr Tngelohn ausgezahlt wird. Der Staat hat kein
Bedenken getragen, diese riesengroße Verherrlichung der Trivialität für den
Luxembourg anzukaufen und neben den poetisch-heroischen Schöpfungen eiues
Breton aufzuhängen. Es verlohnt nicht der Mühe, alle Gemälde dieser
Gruppe namhaft zu machen, da das stoffliche Interesse, welches sich an die¬
selben knüpft, wie gesagt, ein äußerst geringes ist. Hier küßt ein Ackersmann
im Vorbeigehen ein Gänsemädchen, dort steht ein Hirt in einem unförmlichen
Mantel und blickt stumpfsinnig auf seine Herde, auf einem dritten Bilde ißt
ein zahnloser Greis bedächtig seine Suppe, auf einem vierten sitzen ein paar
Frauen und stricken und, um dieser großartigen Poesie des Landlebens die
Krone aufzusetzen, führt uns ein fünftes einen ganzen Viehmarkt in Lebens¬
größe vor!

Was auch La Brnyere geschrieben und Millet zu malen versucht hat, —
tragisch oder auch nur dramatisch ist dieser Kampf des Ackerbauers mit dem
Erdboden nicht. Er ist hart, erschöpfend, niederdrückend; aber kein erhebendes
nud begeisterndes Thema für die künstlerische Gestaltungskraft. Ein solches
ergiebt sich dem Künstler erst, wenn er der Erde den Rücken kehrt und den
Kampf beobachtet, welchen eine andre Klasse von Menschen mit einem andern
Elemente, dem Wasser, zu bestehen haben. Es fehlt auch nicht um Künstlern,
welche sich auf diesem dankbaren Gebiete mit großer technischer Virtuosität
bewegen; das Interesse, welches ihre Darstellungen hervorrufen, ist ungleich
lebhafter und nachhaltiger. Schon in der Fischersfrau, welche ihrem ins
Meer ziehenden Manne mit banger Sorge nachblickt oder mit Ungeduld seine
Rückkehr erwartet, liegt ein Moment dramatischer Spannung. Und wie steigert
sich dieselbe, wenn uns der Maler schildert, wie mutige Männer sich auf zer¬
brechlichem Fahrzeug in die tobende See hineinwagen, nur einem in Not befind¬
lichen Nächsten Hilfe zu bringen! Renouf hat auf seinem „Piloten" eine solche
Szene mit großartiger Bravour geschildert! Mit vier Schiffern bemannt, welche
übermenschliche Anstrengungen machen, um gegen die sich wildüberstürzendeu
Wogen anzukämpfen, durchschneidet das Boot einen Wellenknmm, um im nächsten
Augenblicke wieder in die Tiefe hinabznschießen. Als sein Ziel winkt hinten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/360>, abgerufen am 08.09.2024.