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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Friedrich Schlegel.

auch in den tausend geheimen Absichten, welche der große Dichter im stillen
verfolgt und an denen er wie an den leisen Spuren seines Waltens erkannt
sein will. Während so der Begriff der romantischen Ironie auf der einen
Seite ganz harmlos und selbst fruchtbar erscheint, ist er auf der andern Seite
dehnbar genng, um allen Exeentrizitciten und Extravaganzen einer schwärmenden
Phantasie oder eines zügellosen Verstandes zum Deckmantel zu dienen.

Noch von einer dritten Seite zeigt sich die Laxitüt der besprochenen Defini¬
tion deutlich und unwiderleglich. Schlegel will sich absichtlich darüber nicht
klar werden, ob er unter der romantischen Dichtung eine Dichtungsart, wie
wir von antiker und sentimentalischer Poesie reden, oder ob er eine Dichtungs¬
gattung, wie wir von Roman oder Drama reden, unter ihr versteht. Schon
die Etymologie und historische Bedeutuug des Wortes "romantisch" konnte
darauf verweisen, den Roman und die romantische Dichtung zu identifiziren,
und während das einemal der Roman als die eigentliche romantische Dich-
tungsart eine Unterabteilung bildet, wird die Lehre von dem Unterschiede der
Dichtungsgattungen ein andermal aus dem Bereiche der romantischen Dichtung
ganz verwiesen. Der Roman soll ein Kompendium des ganzen geistigen Lebens
eines genialischer Individuums sein; daher es für einen Dichter im Grunde
überflüssig ist, mehr als einen Roman zu schreiben. Das große Vorbild ist der
Wilhelm Meister von Goethe, und wieder ist es zweifelhaft, wieviel an den
von diesen beobachteten Eigentümlichkeiten in die Definition der romantischen
Dichtung, wieviel umgekehrt aus dieser in die auf die Athennumsfragmcute
unmittelbar folgende "Charakteristik des Wilhelm Meister" übergegangen ist.
Ist doch diese Charakteristik selbst nach den in der neuen Schule gangbaren
Vorstellungen als Kunstwerk zu betrachten und dem obersten Gesetze der Ironie
unterworfen. "Mit Zweifel bewundern" war ein Wort Lessings; "mit Ironie
bewundern" sagt Friedrich Schlegel, und er that sich was darauf zu Gute, daß
Goethe dieselbe nicht einmal dnrchgemcrkt habe. Alle die bekannten Gesichts¬
punkte, welche Schlegel jemals auf dichterische Werke angewendet hatte, kehren
hier wieder: wie die griechische Poesie wird Wilhelm Meister als ein göttliches
Gewächs, ein Organismus betrachtet; die Selbständigkeit der Teile wird an dem
modernen Roman wie an dem homerischen Epos aufgezeigt; die "gesellige
Poesie" des Romans war schon im Aufsatz über Forster zur Sprache gekommen;
die "gebildete Willkür des Dichters" erinnert wörtlich an die Definition. Was
Schlegel über die Komposition, über das Malerische und Musikalische im Meister
sagt, sind goldne Worte, dergleichen man in der neuern Kritik lind literar¬
historischen Charakteristik vergebens suchen wird. Sie versöhnen uns fast damit,
daß mau deutlich sieht, wie Schlegel mit dem Kunstwerke ein bloßes Spiel
treibt und es, gewissermaßen zur Illustration der vorhergehenden Fragmente
und zum Anreize, im Lichte der neuen romantischen Ideen schimmern lind
glänzen läßt. Getreu dem Gedanken von der im Kunstwerke, und also auch


Friedrich Schlegel.

auch in den tausend geheimen Absichten, welche der große Dichter im stillen
verfolgt und an denen er wie an den leisen Spuren seines Waltens erkannt
sein will. Während so der Begriff der romantischen Ironie auf der einen
Seite ganz harmlos und selbst fruchtbar erscheint, ist er auf der andern Seite
dehnbar genng, um allen Exeentrizitciten und Extravaganzen einer schwärmenden
Phantasie oder eines zügellosen Verstandes zum Deckmantel zu dienen.

Noch von einer dritten Seite zeigt sich die Laxitüt der besprochenen Defini¬
tion deutlich und unwiderleglich. Schlegel will sich absichtlich darüber nicht
klar werden, ob er unter der romantischen Dichtung eine Dichtungsart, wie
wir von antiker und sentimentalischer Poesie reden, oder ob er eine Dichtungs¬
gattung, wie wir von Roman oder Drama reden, unter ihr versteht. Schon
die Etymologie und historische Bedeutuug des Wortes „romantisch" konnte
darauf verweisen, den Roman und die romantische Dichtung zu identifiziren,
und während das einemal der Roman als die eigentliche romantische Dich-
tungsart eine Unterabteilung bildet, wird die Lehre von dem Unterschiede der
Dichtungsgattungen ein andermal aus dem Bereiche der romantischen Dichtung
ganz verwiesen. Der Roman soll ein Kompendium des ganzen geistigen Lebens
eines genialischer Individuums sein; daher es für einen Dichter im Grunde
überflüssig ist, mehr als einen Roman zu schreiben. Das große Vorbild ist der
Wilhelm Meister von Goethe, und wieder ist es zweifelhaft, wieviel an den
von diesen beobachteten Eigentümlichkeiten in die Definition der romantischen
Dichtung, wieviel umgekehrt aus dieser in die auf die Athennumsfragmcute
unmittelbar folgende „Charakteristik des Wilhelm Meister" übergegangen ist.
Ist doch diese Charakteristik selbst nach den in der neuen Schule gangbaren
Vorstellungen als Kunstwerk zu betrachten und dem obersten Gesetze der Ironie
unterworfen. „Mit Zweifel bewundern" war ein Wort Lessings; „mit Ironie
bewundern" sagt Friedrich Schlegel, und er that sich was darauf zu Gute, daß
Goethe dieselbe nicht einmal dnrchgemcrkt habe. Alle die bekannten Gesichts¬
punkte, welche Schlegel jemals auf dichterische Werke angewendet hatte, kehren
hier wieder: wie die griechische Poesie wird Wilhelm Meister als ein göttliches
Gewächs, ein Organismus betrachtet; die Selbständigkeit der Teile wird an dem
modernen Roman wie an dem homerischen Epos aufgezeigt; die „gesellige
Poesie" des Romans war schon im Aufsatz über Forster zur Sprache gekommen;
die „gebildete Willkür des Dichters" erinnert wörtlich an die Definition. Was
Schlegel über die Komposition, über das Malerische und Musikalische im Meister
sagt, sind goldne Worte, dergleichen man in der neuern Kritik lind literar¬
historischen Charakteristik vergebens suchen wird. Sie versöhnen uns fast damit,
daß mau deutlich sieht, wie Schlegel mit dem Kunstwerke ein bloßes Spiel
treibt und es, gewissermaßen zur Illustration der vorhergehenden Fragmente
und zum Anreize, im Lichte der neuen romantischen Ideen schimmern lind
glänzen läßt. Getreu dem Gedanken von der im Kunstwerke, und also auch


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[0351] Friedrich Schlegel. auch in den tausend geheimen Absichten, welche der große Dichter im stillen verfolgt und an denen er wie an den leisen Spuren seines Waltens erkannt sein will. Während so der Begriff der romantischen Ironie auf der einen Seite ganz harmlos und selbst fruchtbar erscheint, ist er auf der andern Seite dehnbar genng, um allen Exeentrizitciten und Extravaganzen einer schwärmenden Phantasie oder eines zügellosen Verstandes zum Deckmantel zu dienen. Noch von einer dritten Seite zeigt sich die Laxitüt der besprochenen Defini¬ tion deutlich und unwiderleglich. Schlegel will sich absichtlich darüber nicht klar werden, ob er unter der romantischen Dichtung eine Dichtungsart, wie wir von antiker und sentimentalischer Poesie reden, oder ob er eine Dichtungs¬ gattung, wie wir von Roman oder Drama reden, unter ihr versteht. Schon die Etymologie und historische Bedeutuug des Wortes „romantisch" konnte darauf verweisen, den Roman und die romantische Dichtung zu identifiziren, und während das einemal der Roman als die eigentliche romantische Dich- tungsart eine Unterabteilung bildet, wird die Lehre von dem Unterschiede der Dichtungsgattungen ein andermal aus dem Bereiche der romantischen Dichtung ganz verwiesen. Der Roman soll ein Kompendium des ganzen geistigen Lebens eines genialischer Individuums sein; daher es für einen Dichter im Grunde überflüssig ist, mehr als einen Roman zu schreiben. Das große Vorbild ist der Wilhelm Meister von Goethe, und wieder ist es zweifelhaft, wieviel an den von diesen beobachteten Eigentümlichkeiten in die Definition der romantischen Dichtung, wieviel umgekehrt aus dieser in die auf die Athennumsfragmcute unmittelbar folgende „Charakteristik des Wilhelm Meister" übergegangen ist. Ist doch diese Charakteristik selbst nach den in der neuen Schule gangbaren Vorstellungen als Kunstwerk zu betrachten und dem obersten Gesetze der Ironie unterworfen. „Mit Zweifel bewundern" war ein Wort Lessings; „mit Ironie bewundern" sagt Friedrich Schlegel, und er that sich was darauf zu Gute, daß Goethe dieselbe nicht einmal dnrchgemcrkt habe. Alle die bekannten Gesichts¬ punkte, welche Schlegel jemals auf dichterische Werke angewendet hatte, kehren hier wieder: wie die griechische Poesie wird Wilhelm Meister als ein göttliches Gewächs, ein Organismus betrachtet; die Selbständigkeit der Teile wird an dem modernen Roman wie an dem homerischen Epos aufgezeigt; die „gesellige Poesie" des Romans war schon im Aufsatz über Forster zur Sprache gekommen; die „gebildete Willkür des Dichters" erinnert wörtlich an die Definition. Was Schlegel über die Komposition, über das Malerische und Musikalische im Meister sagt, sind goldne Worte, dergleichen man in der neuern Kritik lind literar¬ historischen Charakteristik vergebens suchen wird. Sie versöhnen uns fast damit, daß mau deutlich sieht, wie Schlegel mit dem Kunstwerke ein bloßes Spiel treibt und es, gewissermaßen zur Illustration der vorhergehenden Fragmente und zum Anreize, im Lichte der neuen romantischen Ideen schimmern lind glänzen läßt. Getreu dem Gedanken von der im Kunstwerke, und also auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/351>, abgerufen am 08.09.2024.