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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung.

Dinge nach uns, d. i. unsern transcendentalen Fähigkeiten. Die Dinge haben Farbe,
weil wir die Fähigkeit der Farbenempfindung haben. Die Pauken und Trom¬
peten tönen, weil wir die Fähigkeit der Tonempfindung haben. Blumen duften
und Speisen schmecken süß, sauer, bitter oder salzig, weil wir diese Empfindungs-
fvrmen in uns haben. Ja die Dinge sind nur dadurch als hart oder weich,
rauh oder glatt zu erkennen, weil wir sie direkt oder indirekt tasten können.
Ihre Stelle im Raum ist nur deswegen für uus wahrnehmbar und bestimmbar,
weil wir in unsern Bewegungen Hilfsmittel für das Erkennen besitzen. Es ist
keine höhere Weisheit zu sagen, daß Wärme und Licht eigentlich ganz dasselbe
seien, weil beides Ätherschwingungen seien, die nur das eine mal schneller und
kürzer, das andre mal langsamer und länger sich vollzögen. Denn diese Schwin¬
gungen sind weder Licht noch Wärme, sondern die Sonne leuchtet und andre
Lichtquellen leuchten, weil wir von ihnen so affizirt werden, daß wir ihre Wirkung
Licht nennen, und das Feuer ist aus demselben Grunde heiß, weil wir es so
empfinden. Die Schwingungen, die unsre Nerven dabei erregen, sind weder
Licht noch Wärme, sondern nur die physikalische Ursache für unsre bald so, bald
so geartete Empfindung.

Jetzt sind wir auch frei von der thörichten Aufgabe, nach dem Sitz unsrer
Vorstellungen oder unsrer Seele im Gehirn zu suchen. Wir wissen genau, daß
alles Transeendentale, soweit es uns überhaupt erscheint, immer nur in der Zeit
verläuft und niemals im Raume anzutreffen ist. Wir können die Zeit allenfalls
messen, in der wir gedacht, beobachtet oder gefühlt habendes wäre sogar eine
lösbare Aufgabe, im Gehirn die Fasern und Zellen nachzuweisen, in welchen
jeder Gedanke, jedes Gefühl und jeder Willensakt erregt wird, aber es wird
immer ungereimt sein, einen Ort angeben zu wollen, wo diese Gedanken, Ge¬
fühle und Willensccktc sitzen. Giebt es doch kaum ein so unerfindliches Ding
als die punktförmige Seele, die Lotze erfunden hat, die immer von einer Nerven-
wnrzel zur andern im Gehirn hin und her springen muß, um alle Botschaften
von den Sinnesorganen prompt aufzunehmen und uach ihre" eignen Gesetzen
umzuwandeln. Als wenn ein sinnlich vorgestellter Punkt nicht auch ein Teil
des Raumes wäre! Die Seele ist nicht ein Raum, also kann sie auch kein
Punkt im Raume sein, selbst wenn man ihn so Kein wie ein Atom vorstellt!
Und alle Seelenthätigkeiten sind überhaupt uicht im Raume, also auch uicht
unter der Schädelkapsel in: Gehirn, sondern dort werden sie nur durch phy¬
sische Bewegungen, seien es chemische oder elektrische Veränderungen, erregt. Wir
beobachten sie nur nach ihrem Ablauf in der Zeit, und ihre Produkte sind das,
was wir vou der Welt wissen und erfahren können. Also die Dinge in der
Welt selbst sind unsre Vorstellungen -- das war das Resultat der "koperni-
kanischen Umkehr" des Standpunktes des Beobachters.

Auch jene kaum nachzudenkenden Schwierigkeiten, mit denen die Lotzesche
Seele zu kämpfen hat, um ausgedehnte Raumanschauungen zu gewinnen, fallen


Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung.

Dinge nach uns, d. i. unsern transcendentalen Fähigkeiten. Die Dinge haben Farbe,
weil wir die Fähigkeit der Farbenempfindung haben. Die Pauken und Trom¬
peten tönen, weil wir die Fähigkeit der Tonempfindung haben. Blumen duften
und Speisen schmecken süß, sauer, bitter oder salzig, weil wir diese Empfindungs-
fvrmen in uns haben. Ja die Dinge sind nur dadurch als hart oder weich,
rauh oder glatt zu erkennen, weil wir sie direkt oder indirekt tasten können.
Ihre Stelle im Raum ist nur deswegen für uus wahrnehmbar und bestimmbar,
weil wir in unsern Bewegungen Hilfsmittel für das Erkennen besitzen. Es ist
keine höhere Weisheit zu sagen, daß Wärme und Licht eigentlich ganz dasselbe
seien, weil beides Ätherschwingungen seien, die nur das eine mal schneller und
kürzer, das andre mal langsamer und länger sich vollzögen. Denn diese Schwin¬
gungen sind weder Licht noch Wärme, sondern die Sonne leuchtet und andre
Lichtquellen leuchten, weil wir von ihnen so affizirt werden, daß wir ihre Wirkung
Licht nennen, und das Feuer ist aus demselben Grunde heiß, weil wir es so
empfinden. Die Schwingungen, die unsre Nerven dabei erregen, sind weder
Licht noch Wärme, sondern nur die physikalische Ursache für unsre bald so, bald
so geartete Empfindung.

Jetzt sind wir auch frei von der thörichten Aufgabe, nach dem Sitz unsrer
Vorstellungen oder unsrer Seele im Gehirn zu suchen. Wir wissen genau, daß
alles Transeendentale, soweit es uns überhaupt erscheint, immer nur in der Zeit
verläuft und niemals im Raume anzutreffen ist. Wir können die Zeit allenfalls
messen, in der wir gedacht, beobachtet oder gefühlt habendes wäre sogar eine
lösbare Aufgabe, im Gehirn die Fasern und Zellen nachzuweisen, in welchen
jeder Gedanke, jedes Gefühl und jeder Willensakt erregt wird, aber es wird
immer ungereimt sein, einen Ort angeben zu wollen, wo diese Gedanken, Ge¬
fühle und Willensccktc sitzen. Giebt es doch kaum ein so unerfindliches Ding
als die punktförmige Seele, die Lotze erfunden hat, die immer von einer Nerven-
wnrzel zur andern im Gehirn hin und her springen muß, um alle Botschaften
von den Sinnesorganen prompt aufzunehmen und uach ihre» eignen Gesetzen
umzuwandeln. Als wenn ein sinnlich vorgestellter Punkt nicht auch ein Teil
des Raumes wäre! Die Seele ist nicht ein Raum, also kann sie auch kein
Punkt im Raume sein, selbst wenn man ihn so Kein wie ein Atom vorstellt!
Und alle Seelenthätigkeiten sind überhaupt uicht im Raume, also auch uicht
unter der Schädelkapsel in: Gehirn, sondern dort werden sie nur durch phy¬
sische Bewegungen, seien es chemische oder elektrische Veränderungen, erregt. Wir
beobachten sie nur nach ihrem Ablauf in der Zeit, und ihre Produkte sind das,
was wir vou der Welt wissen und erfahren können. Also die Dinge in der
Welt selbst sind unsre Vorstellungen — das war das Resultat der „koperni-
kanischen Umkehr" des Standpunktes des Beobachters.

Auch jene kaum nachzudenkenden Schwierigkeiten, mit denen die Lotzesche
Seele zu kämpfen hat, um ausgedehnte Raumanschauungen zu gewinnen, fallen


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[0344] Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung. Dinge nach uns, d. i. unsern transcendentalen Fähigkeiten. Die Dinge haben Farbe, weil wir die Fähigkeit der Farbenempfindung haben. Die Pauken und Trom¬ peten tönen, weil wir die Fähigkeit der Tonempfindung haben. Blumen duften und Speisen schmecken süß, sauer, bitter oder salzig, weil wir diese Empfindungs- fvrmen in uns haben. Ja die Dinge sind nur dadurch als hart oder weich, rauh oder glatt zu erkennen, weil wir sie direkt oder indirekt tasten können. Ihre Stelle im Raum ist nur deswegen für uus wahrnehmbar und bestimmbar, weil wir in unsern Bewegungen Hilfsmittel für das Erkennen besitzen. Es ist keine höhere Weisheit zu sagen, daß Wärme und Licht eigentlich ganz dasselbe seien, weil beides Ätherschwingungen seien, die nur das eine mal schneller und kürzer, das andre mal langsamer und länger sich vollzögen. Denn diese Schwin¬ gungen sind weder Licht noch Wärme, sondern die Sonne leuchtet und andre Lichtquellen leuchten, weil wir von ihnen so affizirt werden, daß wir ihre Wirkung Licht nennen, und das Feuer ist aus demselben Grunde heiß, weil wir es so empfinden. Die Schwingungen, die unsre Nerven dabei erregen, sind weder Licht noch Wärme, sondern nur die physikalische Ursache für unsre bald so, bald so geartete Empfindung. Jetzt sind wir auch frei von der thörichten Aufgabe, nach dem Sitz unsrer Vorstellungen oder unsrer Seele im Gehirn zu suchen. Wir wissen genau, daß alles Transeendentale, soweit es uns überhaupt erscheint, immer nur in der Zeit verläuft und niemals im Raume anzutreffen ist. Wir können die Zeit allenfalls messen, in der wir gedacht, beobachtet oder gefühlt habendes wäre sogar eine lösbare Aufgabe, im Gehirn die Fasern und Zellen nachzuweisen, in welchen jeder Gedanke, jedes Gefühl und jeder Willensakt erregt wird, aber es wird immer ungereimt sein, einen Ort angeben zu wollen, wo diese Gedanken, Ge¬ fühle und Willensccktc sitzen. Giebt es doch kaum ein so unerfindliches Ding als die punktförmige Seele, die Lotze erfunden hat, die immer von einer Nerven- wnrzel zur andern im Gehirn hin und her springen muß, um alle Botschaften von den Sinnesorganen prompt aufzunehmen und uach ihre» eignen Gesetzen umzuwandeln. Als wenn ein sinnlich vorgestellter Punkt nicht auch ein Teil des Raumes wäre! Die Seele ist nicht ein Raum, also kann sie auch kein Punkt im Raume sein, selbst wenn man ihn so Kein wie ein Atom vorstellt! Und alle Seelenthätigkeiten sind überhaupt uicht im Raume, also auch uicht unter der Schädelkapsel in: Gehirn, sondern dort werden sie nur durch phy¬ sische Bewegungen, seien es chemische oder elektrische Veränderungen, erregt. Wir beobachten sie nur nach ihrem Ablauf in der Zeit, und ihre Produkte sind das, was wir vou der Welt wissen und erfahren können. Also die Dinge in der Welt selbst sind unsre Vorstellungen — das war das Resultat der „koperni- kanischen Umkehr" des Standpunktes des Beobachters. Auch jene kaum nachzudenkenden Schwierigkeiten, mit denen die Lotzesche Seele zu kämpfen hat, um ausgedehnte Raumanschauungen zu gewinnen, fallen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/344>, abgerufen am 08.09.2024.