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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Gesprächen und Friedrich selber in seinem Gespräch über die Poesie die Vorteile
dieser Form zu eigen gemacht.

Aus persönlichen Verhältnissen heraus ist auch Schlegels Aufsatz über
Lessing geschrieben. Er weilte damals bereits in Berlin, im Zentrum der Auf¬
klärung, unter den geschwornen Feinden der kritischen Philosophie. Lessing
denen zu entreißen, welche ihn zum Ideal der goldnen Mittelmäßigkeit, zum
Helden der seichten Aufklärung ohne Licht und Kraft machen wollten, war der
ausgesprochene Hauptzweck dieser Kundgebung. Alles das, worin man Lessing
als groß gefeiert hatte, erscheint als seine Schwäche und Schattenseite: aus der
Dichtung und Kritik wird er mit einigen geschickten Kunstgriffen hinanseskamotirt.
Groß ist er aber in allem dem, womit er Friedrich Schlegel zum Schutzhort
dienen kann: in dem freien Stil seines Lebens, der ihn jede Brotwissenschaft
und jedes bürgerliche Amt verschmähen läßt; in dein revolutionären und pole¬
mischen Geist, den er besonders im Amel-Goetze beweist; als Fragmentist, der
es wie Friedrich Schlegel nur zu abgebrochenen Kundgebungen gebracht hat.
Er will nicht Lessings Schriften, sondern den Geist in seinen Schriften suchen:
Lessiiig selbst ist uns mehr wert als seine Schriften. Er will ihn in seiner
historischen Entwicklung, nicht nach den herkömmlichen Rubriken begreifen lernen.
Nur den ersten Teil seiner Abhandlung, welcher den Nachweis zu führen sucht, daß
Lessings bekanntes Selbstnrteil über seine dichterische Begabung auf Wahrheit be¬
ruhe, hat Schlegel ausgeführt. Er charakterisirt zu diesem Zwecke die beiden dichte¬
rischen Hauptwerke Lessings: die Emilia Galotti und den Nathan Die Emilia
ist in Rücksicht auf künstlerischen Fleiß und Feile sein erstes Werk; aber was
ist sie? Ein gutes Rechenexempel der dramatischen Algebra, mit viel prosaischen
Verstand, aber mit wenig poetischem. Nathan ist sein klassisches Hauptwerk,
weil es seine Individualität am vollständigsten wiedergiebt. Aber als was
gilt dieses "Werk schlechthin unter seinen Werken," dieser "Lessing Lessings" in
Friedrich Schlegels Augen? Weder als Dichtung noch als philosophisches Werk
hat es hier Bestand: er preist es von Seite der Polemik gegen alle illiberale
Theologie als einen "Amel-Goetze Ur. 12" und von Seite seiner Begeisterung für
die sittliche Kraft und Einfalt der biedern Natur als ein "dramatistrtes Elementar¬
buch des höhern Cynismus." Mit diesem letztern Schlagworte sind wir in
die Athenäumsfragmente mitten hinein versetzt und bei der faktischen Gründung
einer romantischen Schule angelangt.*)





*) In dem ersten Artikel über Friedrich Schlegel sind einige sinnentstellende Druckfehler
stehen geblieben, die wir zu berichtigen bitten. S. I8S Z. 6 ist zu lesen wühlte (statt
neueste); ebda. Z. 7 v, n. Tuqeudenthusiasmus (statt JugeudenthusiaSmus); S. 187 letzte
Z"in dorischen (statt deutschen); S. 189 Z. 24 einer griechischen (statt rein griechischer);
S. 190 Z. 4 bewährt (statt berührte).

Gesprächen und Friedrich selber in seinem Gespräch über die Poesie die Vorteile
dieser Form zu eigen gemacht.

Aus persönlichen Verhältnissen heraus ist auch Schlegels Aufsatz über
Lessing geschrieben. Er weilte damals bereits in Berlin, im Zentrum der Auf¬
klärung, unter den geschwornen Feinden der kritischen Philosophie. Lessing
denen zu entreißen, welche ihn zum Ideal der goldnen Mittelmäßigkeit, zum
Helden der seichten Aufklärung ohne Licht und Kraft machen wollten, war der
ausgesprochene Hauptzweck dieser Kundgebung. Alles das, worin man Lessing
als groß gefeiert hatte, erscheint als seine Schwäche und Schattenseite: aus der
Dichtung und Kritik wird er mit einigen geschickten Kunstgriffen hinanseskamotirt.
Groß ist er aber in allem dem, womit er Friedrich Schlegel zum Schutzhort
dienen kann: in dem freien Stil seines Lebens, der ihn jede Brotwissenschaft
und jedes bürgerliche Amt verschmähen läßt; in dein revolutionären und pole¬
mischen Geist, den er besonders im Amel-Goetze beweist; als Fragmentist, der
es wie Friedrich Schlegel nur zu abgebrochenen Kundgebungen gebracht hat.
Er will nicht Lessings Schriften, sondern den Geist in seinen Schriften suchen:
Lessiiig selbst ist uns mehr wert als seine Schriften. Er will ihn in seiner
historischen Entwicklung, nicht nach den herkömmlichen Rubriken begreifen lernen.
Nur den ersten Teil seiner Abhandlung, welcher den Nachweis zu führen sucht, daß
Lessings bekanntes Selbstnrteil über seine dichterische Begabung auf Wahrheit be¬
ruhe, hat Schlegel ausgeführt. Er charakterisirt zu diesem Zwecke die beiden dichte¬
rischen Hauptwerke Lessings: die Emilia Galotti und den Nathan Die Emilia
ist in Rücksicht auf künstlerischen Fleiß und Feile sein erstes Werk; aber was
ist sie? Ein gutes Rechenexempel der dramatischen Algebra, mit viel prosaischen
Verstand, aber mit wenig poetischem. Nathan ist sein klassisches Hauptwerk,
weil es seine Individualität am vollständigsten wiedergiebt. Aber als was
gilt dieses „Werk schlechthin unter seinen Werken," dieser „Lessing Lessings" in
Friedrich Schlegels Augen? Weder als Dichtung noch als philosophisches Werk
hat es hier Bestand: er preist es von Seite der Polemik gegen alle illiberale
Theologie als einen „Amel-Goetze Ur. 12" und von Seite seiner Begeisterung für
die sittliche Kraft und Einfalt der biedern Natur als ein „dramatistrtes Elementar¬
buch des höhern Cynismus." Mit diesem letztern Schlagworte sind wir in
die Athenäumsfragmente mitten hinein versetzt und bei der faktischen Gründung
einer romantischen Schule angelangt.*)





*) In dem ersten Artikel über Friedrich Schlegel sind einige sinnentstellende Druckfehler
stehen geblieben, die wir zu berichtigen bitten. S. I8S Z. 6 ist zu lesen wühlte (statt
neueste); ebda. Z. 7 v, n. Tuqeudenthusiasmus (statt JugeudenthusiaSmus); S. 187 letzte
Z«in dorischen (statt deutschen); S. 189 Z. 24 einer griechischen (statt rein griechischer);
S. 190 Z. 4 bewährt (statt berührte).
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[0309] Gesprächen und Friedrich selber in seinem Gespräch über die Poesie die Vorteile dieser Form zu eigen gemacht. Aus persönlichen Verhältnissen heraus ist auch Schlegels Aufsatz über Lessing geschrieben. Er weilte damals bereits in Berlin, im Zentrum der Auf¬ klärung, unter den geschwornen Feinden der kritischen Philosophie. Lessing denen zu entreißen, welche ihn zum Ideal der goldnen Mittelmäßigkeit, zum Helden der seichten Aufklärung ohne Licht und Kraft machen wollten, war der ausgesprochene Hauptzweck dieser Kundgebung. Alles das, worin man Lessing als groß gefeiert hatte, erscheint als seine Schwäche und Schattenseite: aus der Dichtung und Kritik wird er mit einigen geschickten Kunstgriffen hinanseskamotirt. Groß ist er aber in allem dem, womit er Friedrich Schlegel zum Schutzhort dienen kann: in dem freien Stil seines Lebens, der ihn jede Brotwissenschaft und jedes bürgerliche Amt verschmähen läßt; in dein revolutionären und pole¬ mischen Geist, den er besonders im Amel-Goetze beweist; als Fragmentist, der es wie Friedrich Schlegel nur zu abgebrochenen Kundgebungen gebracht hat. Er will nicht Lessings Schriften, sondern den Geist in seinen Schriften suchen: Lessiiig selbst ist uns mehr wert als seine Schriften. Er will ihn in seiner historischen Entwicklung, nicht nach den herkömmlichen Rubriken begreifen lernen. Nur den ersten Teil seiner Abhandlung, welcher den Nachweis zu führen sucht, daß Lessings bekanntes Selbstnrteil über seine dichterische Begabung auf Wahrheit be¬ ruhe, hat Schlegel ausgeführt. Er charakterisirt zu diesem Zwecke die beiden dichte¬ rischen Hauptwerke Lessings: die Emilia Galotti und den Nathan Die Emilia ist in Rücksicht auf künstlerischen Fleiß und Feile sein erstes Werk; aber was ist sie? Ein gutes Rechenexempel der dramatischen Algebra, mit viel prosaischen Verstand, aber mit wenig poetischem. Nathan ist sein klassisches Hauptwerk, weil es seine Individualität am vollständigsten wiedergiebt. Aber als was gilt dieses „Werk schlechthin unter seinen Werken," dieser „Lessing Lessings" in Friedrich Schlegels Augen? Weder als Dichtung noch als philosophisches Werk hat es hier Bestand: er preist es von Seite der Polemik gegen alle illiberale Theologie als einen „Amel-Goetze Ur. 12" und von Seite seiner Begeisterung für die sittliche Kraft und Einfalt der biedern Natur als ein „dramatistrtes Elementar¬ buch des höhern Cynismus." Mit diesem letztern Schlagworte sind wir in die Athenäumsfragmente mitten hinein versetzt und bei der faktischen Gründung einer romantischen Schule angelangt.*) *) In dem ersten Artikel über Friedrich Schlegel sind einige sinnentstellende Druckfehler stehen geblieben, die wir zu berichtigen bitten. S. I8S Z. 6 ist zu lesen wühlte (statt neueste); ebda. Z. 7 v, n. Tuqeudenthusiasmus (statt JugeudenthusiaSmus); S. 187 letzte Z«in dorischen (statt deutschen); S. 189 Z. 24 einer griechischen (statt rein griechischer); S. 190 Z. 4 bewährt (statt berührte).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/309>, abgerufen am 08.09.2024.