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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Friedrich Schlegel.

alters heraus geboren werden müssen. Er sieht in Kants Philosophie, welcher
er bei jeder Gelegenheit Halbheit zum Vorwürfe macht, nur eine Vermittlung
mit der verhaßten Aufklärung, nur eine Versöhnung der Philosophie mit dem
gesunden Menschenverstande, um welchen sich dieselbe nach Schlegels Meinung
garnicht zu kümmern braucht. Die philosophische Deduktion hat nach ihm gar
leine Rücksicht auf das Resultat zu nehmen und die Paradoxie hält er bei jedem
Philosophen für ein Zeichen der günstigsten Vorbedeutung: "je kräftiger, je ein¬
seitiger, je philosophischer, je paradoxer." So ist ihm auch Fichte bald uicht
wehr genug Kritiker und Universalist, und deshalb auch nicht mehr genug ab¬
soluter Idealist: "Ich und Hardenberg sind doch mehr!" Schon damals glaubte
er bei einem eignen System angelangt zu sein, dessen oberstes Kriterium
"Polemische Totalität" werden sollte. Die Gedanken, welche Friedrich Schlegel
in diesen Fragmenten in der Form von Schlagworten, Blitzen, Paradoxen auf¬
gezeichnet hat, liegen seiner Rezension des Niethcunmerschen Journals zu Grunde,
Welche Novalis ausgezeichnet mit den Worten charakterisirt: "Deine Rezension
von Niethammers Journal hat den gewöhnlichen Fehler deiner Schriften: sie
reizt ohne zu befriedigen -- sie bricht da ab, wo wir nun gerade auf das beste
gefaßt sind -- Andeutungen, Versprechungen ohne Zahl --, kurz, man kehrt
von der Lesung zurück, wie vom Anhören einer schönen Musik, die viel in uns
erregt zu haben scheint und am Ende, ohne etwas Bleibendes zu hinterlassen,
verschwindet. Augen haben deine Schriften genug -- helle, seelenvolle, keimende
Stellen --, aber gieb uns endlich, wenn du anders nicht ganz Künstler werden
willst -- wo nicht etwas Brauchbares, doch etwas Ganzes, wo man auch kein
Glied mehr suppliren muß."

Am Schlüsse dieser Rezension hatte sich Friedrich Schlegel über die Art,
wie man philosophische Bücher beurteilen solle, überhaupt ausgelassen. Er verweist
auf die Griechen, welche die Philosophie als Kunst betrieben hätten und thut damit
den ersten Schritt zur Verwirrung der Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft: auf
die kunstmäßige Ausbildung des philosophischen Geistes und Sinnes will er aber nun
weiterauch ein philosophisches Kunsturteil gründen, welches den philosophischen
Geist und die logische Kunst vorzüglicher philosophischer Meisterwerke genau zu cha-
rakterisiren und streng zu würdigen suche. Es ist kein Zweifel, daß er sich selbst
dieses Gebiet vorbehalten wollte. Für das Niethammersche Journal waren ja
auch die Charakteristiken der sogenannten eleganten Philosophen bestimmt d. h, der¬
jenigen Philosophen, welche zugleich auch auf Philologie oder Poesie Anspruch
machen. In den Charakteristiken Schlossers, Jakobis, Forsters, Lessings, welche
Schlegel für die Reichardtschen Zeitschriften lieferte und denen sich auch ein Garvc
anreihen sollte, hat er Kunstwerke der charakterisirenden Kritik geschaffen. Es
sind rechte Maulwnrfsarbeiten: er nimmt die ganze Masse der von einem jeden
dieser schreibseligcn Autoren verfaßten Schriften zusammen und wühlt sich durch
sie hindurch. Aus ihrer Gesamtheit holt er sich die Physiognomie des Schriftstellers,


Friedrich Schlegel.

alters heraus geboren werden müssen. Er sieht in Kants Philosophie, welcher
er bei jeder Gelegenheit Halbheit zum Vorwürfe macht, nur eine Vermittlung
mit der verhaßten Aufklärung, nur eine Versöhnung der Philosophie mit dem
gesunden Menschenverstande, um welchen sich dieselbe nach Schlegels Meinung
garnicht zu kümmern braucht. Die philosophische Deduktion hat nach ihm gar
leine Rücksicht auf das Resultat zu nehmen und die Paradoxie hält er bei jedem
Philosophen für ein Zeichen der günstigsten Vorbedeutung: „je kräftiger, je ein¬
seitiger, je philosophischer, je paradoxer." So ist ihm auch Fichte bald uicht
wehr genug Kritiker und Universalist, und deshalb auch nicht mehr genug ab¬
soluter Idealist: „Ich und Hardenberg sind doch mehr!" Schon damals glaubte
er bei einem eignen System angelangt zu sein, dessen oberstes Kriterium
«Polemische Totalität" werden sollte. Die Gedanken, welche Friedrich Schlegel
in diesen Fragmenten in der Form von Schlagworten, Blitzen, Paradoxen auf¬
gezeichnet hat, liegen seiner Rezension des Niethcunmerschen Journals zu Grunde,
Welche Novalis ausgezeichnet mit den Worten charakterisirt: „Deine Rezension
von Niethammers Journal hat den gewöhnlichen Fehler deiner Schriften: sie
reizt ohne zu befriedigen — sie bricht da ab, wo wir nun gerade auf das beste
gefaßt sind — Andeutungen, Versprechungen ohne Zahl —, kurz, man kehrt
von der Lesung zurück, wie vom Anhören einer schönen Musik, die viel in uns
erregt zu haben scheint und am Ende, ohne etwas Bleibendes zu hinterlassen,
verschwindet. Augen haben deine Schriften genug — helle, seelenvolle, keimende
Stellen —, aber gieb uns endlich, wenn du anders nicht ganz Künstler werden
willst — wo nicht etwas Brauchbares, doch etwas Ganzes, wo man auch kein
Glied mehr suppliren muß."

Am Schlüsse dieser Rezension hatte sich Friedrich Schlegel über die Art,
wie man philosophische Bücher beurteilen solle, überhaupt ausgelassen. Er verweist
auf die Griechen, welche die Philosophie als Kunst betrieben hätten und thut damit
den ersten Schritt zur Verwirrung der Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft: auf
die kunstmäßige Ausbildung des philosophischen Geistes und Sinnes will er aber nun
weiterauch ein philosophisches Kunsturteil gründen, welches den philosophischen
Geist und die logische Kunst vorzüglicher philosophischer Meisterwerke genau zu cha-
rakterisiren und streng zu würdigen suche. Es ist kein Zweifel, daß er sich selbst
dieses Gebiet vorbehalten wollte. Für das Niethammersche Journal waren ja
auch die Charakteristiken der sogenannten eleganten Philosophen bestimmt d. h, der¬
jenigen Philosophen, welche zugleich auch auf Philologie oder Poesie Anspruch
machen. In den Charakteristiken Schlossers, Jakobis, Forsters, Lessings, welche
Schlegel für die Reichardtschen Zeitschriften lieferte und denen sich auch ein Garvc
anreihen sollte, hat er Kunstwerke der charakterisirenden Kritik geschaffen. Es
sind rechte Maulwnrfsarbeiten: er nimmt die ganze Masse der von einem jeden
dieser schreibseligcn Autoren verfaßten Schriften zusammen und wühlt sich durch
sie hindurch. Aus ihrer Gesamtheit holt er sich die Physiognomie des Schriftstellers,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/307>, abgerufen am 08.09.2024.