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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Friedrich Schlegel.

heilbar zerrüttete Gesundheit seiner Einbildungskraft erlaubt, so tritt die Insolenz
des jungen Kritikers deutlich zu Tage. Wir begreifen, daß dieser uun mit
Zittern und Zagen nach Jena ging und seinen Bruder ein über das andre mal
auf dem Wege auffordert, ihn bei Schiller zu empfehlen oder im Notfalle zu
rehnbilitiren; wir begreifen auch, daß Friedrich, welcher damals ebeu an seinem
Buche "Die Griechen und Römer" druckte, sich in der Vorrede und am Schlüsse
desselben sehr anerkennend über Schiller ausließ, deu er in den frühern Teilen
ganz ignorirt hatte. Schiller, ohne sich diese Unbesonnenheiten weiter anfechten
zu lassen, nahm Schlegel freundlich auf, vergalt aber wenigstens gleiches mit
gleichem, indem er die "Griechheit" und "Grcikomanie" der beiden Brüder mit
einigen beißenden Genien bedachte. Diese konnte wieder Schlegel nicht hinunter¬
würgen, und nun verfolgte er, zwar anonym, aber durch seine Bosheiten jeder¬
mann kenntlich, Schillers Hören und Musenalmanach in der Reichardtschen
Zeitschrift mit dem giftigsten Spotte. Schiller brach daraufhin auch mit A. W.
Schlegel, der einen schönen Teil seines Einkommens den Zeitschriften verdankte,
welche sein Bruder verlästerte, und mit dieser Trennung der Gebrüder Schlegel
von Schiller war der erste Schritt zur Bildung einer romantischen Schule
gethan.

Der zweite Schritt war die Bekämpfung Kants, gegen den man Fichte
ebenso schroff wie Goethe gegen Schiller hinstellte. Schon in Dresden hatte
Friedrich Schlegel gegen Kants Schrift "Über den ewigen Frieden" seine"
"Versuch über den Begriff des Republikanismus" herausgegeben, worin der
despotischen Regierungsform gegenüber den alten Republiken dieselbe Stellung
zu Teil wird wie in dem Aufsatze "Über das Studium" der modernen Dich¬
tung gegenüber der antiken. Auch hier also hat das Moderne nur prosaischen
Wert und mittelst der politischen Insurrektion, für welche übereinstimmend mit
Schillers ästhetischen Briefen die herrschende Moralität als das erste Erfordernis
bezeichnet wird, soll ebenso die alte republikanische Regierungsform wiederher¬
gestellt werden, wie durch die ästhetische Revolution das Objektive in der Kunst.
Noch deutlicher aber und mit Schlegels ganzer Einseitigkeit spricht sich die
Opposition gegen Kant in einer Reihe fragmentarischer Aufzeichnungen aus,
welche erst nach Schlegels Tode aus Licht gezogen worden sind und mit welchen
sein neuerdings herausgegebener Briefwechsel mit Novalis aus dem Jahre 1796
zusammengehalten werden muß. Diese philosophischen Fragmente zeigen uns
Schlegel von dem Punkte, wo er sich als neugeborner Fichteaner in der ersten
Hitze gegen Kant kehrt, bis zu dem Punkte, wo er sich auch von Fichte zu
emanzipiren beginnt -- bei der unendlichen Progrcssivität seines Geistes natürlich
kein langer Weg. Bei Fichte fand er das feste geschlossene System, welches
seinem fragmentarischen Geiste imponirte und welches er bei Kant vermißte. So
wenig gerecht wird er dem Begründer der kritischen Philosophie, daß er die
Meinung ausspricht, dieselbe hätte auch ohne Kant aus dem Geiste des Zeit-


Friedrich Schlegel.

heilbar zerrüttete Gesundheit seiner Einbildungskraft erlaubt, so tritt die Insolenz
des jungen Kritikers deutlich zu Tage. Wir begreifen, daß dieser uun mit
Zittern und Zagen nach Jena ging und seinen Bruder ein über das andre mal
auf dem Wege auffordert, ihn bei Schiller zu empfehlen oder im Notfalle zu
rehnbilitiren; wir begreifen auch, daß Friedrich, welcher damals ebeu an seinem
Buche „Die Griechen und Römer" druckte, sich in der Vorrede und am Schlüsse
desselben sehr anerkennend über Schiller ausließ, deu er in den frühern Teilen
ganz ignorirt hatte. Schiller, ohne sich diese Unbesonnenheiten weiter anfechten
zu lassen, nahm Schlegel freundlich auf, vergalt aber wenigstens gleiches mit
gleichem, indem er die „Griechheit" und „Grcikomanie" der beiden Brüder mit
einigen beißenden Genien bedachte. Diese konnte wieder Schlegel nicht hinunter¬
würgen, und nun verfolgte er, zwar anonym, aber durch seine Bosheiten jeder¬
mann kenntlich, Schillers Hören und Musenalmanach in der Reichardtschen
Zeitschrift mit dem giftigsten Spotte. Schiller brach daraufhin auch mit A. W.
Schlegel, der einen schönen Teil seines Einkommens den Zeitschriften verdankte,
welche sein Bruder verlästerte, und mit dieser Trennung der Gebrüder Schlegel
von Schiller war der erste Schritt zur Bildung einer romantischen Schule
gethan.

Der zweite Schritt war die Bekämpfung Kants, gegen den man Fichte
ebenso schroff wie Goethe gegen Schiller hinstellte. Schon in Dresden hatte
Friedrich Schlegel gegen Kants Schrift „Über den ewigen Frieden" seine»
„Versuch über den Begriff des Republikanismus" herausgegeben, worin der
despotischen Regierungsform gegenüber den alten Republiken dieselbe Stellung
zu Teil wird wie in dem Aufsatze „Über das Studium" der modernen Dich¬
tung gegenüber der antiken. Auch hier also hat das Moderne nur prosaischen
Wert und mittelst der politischen Insurrektion, für welche übereinstimmend mit
Schillers ästhetischen Briefen die herrschende Moralität als das erste Erfordernis
bezeichnet wird, soll ebenso die alte republikanische Regierungsform wiederher¬
gestellt werden, wie durch die ästhetische Revolution das Objektive in der Kunst.
Noch deutlicher aber und mit Schlegels ganzer Einseitigkeit spricht sich die
Opposition gegen Kant in einer Reihe fragmentarischer Aufzeichnungen aus,
welche erst nach Schlegels Tode aus Licht gezogen worden sind und mit welchen
sein neuerdings herausgegebener Briefwechsel mit Novalis aus dem Jahre 1796
zusammengehalten werden muß. Diese philosophischen Fragmente zeigen uns
Schlegel von dem Punkte, wo er sich als neugeborner Fichteaner in der ersten
Hitze gegen Kant kehrt, bis zu dem Punkte, wo er sich auch von Fichte zu
emanzipiren beginnt — bei der unendlichen Progrcssivität seines Geistes natürlich
kein langer Weg. Bei Fichte fand er das feste geschlossene System, welches
seinem fragmentarischen Geiste imponirte und welches er bei Kant vermißte. So
wenig gerecht wird er dem Begründer der kritischen Philosophie, daß er die
Meinung ausspricht, dieselbe hätte auch ohne Kant aus dem Geiste des Zeit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/306>, abgerufen am 08.09.2024.