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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Friedrich Schlegel.
von z. Minor. 2.

is Friedrich Schlegel seine griechische Literaturgeschichte heraus¬
gab, hatte er sich bereits als Rezensent und Kritiker auf dem
Gebiete der modernen deutscheu Literatur hervorgethan. In
Reichardts Journal "Deutschland" und dessen Fortsetzung "Lyceum
der schönen Künste" waren eine Reihe von Charakteristiken und
Kritiken erschienen, welche mit kecken und verwegenen Angriffen auf Schiller be¬
gannen und mit einer vollständigen Vernichtung der kritischen Autorität Lessings
endeten. Eine billige Kritik war von dem Manne nicht zu erwarten, den Goethe
später den setzenden und immer gehetzten, eine rechte Brennnessel genannt hat.

Im Sommer 1796 kam Friedrich nach Jena, wo sein Bru.der unter Schillers
Flügeln eben warm geworden war. Er hatte sich bereits von Dresden aus
dem Redakteur der Horen genähert und demselben eine weltgeschichtliche Ver-
gleichung, "Cäsar und Alexander"*) eingeschickt, in welcher er seinen Gedanken
einer antiken Naturbildung auch auf die Individuen übertrug und Cäsar als
das Bild der vollkommenen Übereinstimmung einer vollendeten imveratorischcn
Kraft und eines vollendeten imperatorischen Verstandes feiert. Aber schon
während er auf dem Wege nach Jena das Schicksal dieses Aufsatzes kaum er¬
warten konnte, hatte er sich durch eine Rezension des Schillerschen Musen¬
almanachs auf 1796 den Weg in die Hören erschwert. In dem auf Schillers
Horenredaktion immerfort nergelnden Journal "Deutschland" hatte Schlegel den
Unterschied der objektiven und interessanten Dichtung aus Goethe und Schiller
angewendet, und Schiller war dabei Goethe gegenüber natürlich um ebensoviel
zu kurz gekommen, als die romantische Dichtung in dem Aufsatze "Über das
Studium" gegenüber der antiken. Daß der Verfasser des Diotimci-Aufsatzes mit
Schillers "Würde der Frauen" wenig zufrieden sein konnte, versteht sich freilich
von selbst; keineswegs aber hätte er von dem boshaften Witz, den ihm sein
Bruder sonfflirte: daß man das Gedicht am besten mit vertauschten Rhythmen
und strophenweise rückwärts lesen sollte, Gebrauch machen sollen. Wenn er sich
aber nun gar Ausfälle gegen Schillers vernachlässigte Erziehung und die un-



") Friedrich Schlegel. 1794--1802. Seine prosaischen Jugendschriften, herausge¬
geben von I. Minor. Zweiter Band: Zur deutschen Literatur und Philosophie. Wien,
1832, Verlag von. Karl Konegen.
Grenzboten III. 1383. 38
Friedrich Schlegel.
von z. Minor. 2.

is Friedrich Schlegel seine griechische Literaturgeschichte heraus¬
gab, hatte er sich bereits als Rezensent und Kritiker auf dem
Gebiete der modernen deutscheu Literatur hervorgethan. In
Reichardts Journal „Deutschland" und dessen Fortsetzung „Lyceum
der schönen Künste" waren eine Reihe von Charakteristiken und
Kritiken erschienen, welche mit kecken und verwegenen Angriffen auf Schiller be¬
gannen und mit einer vollständigen Vernichtung der kritischen Autorität Lessings
endeten. Eine billige Kritik war von dem Manne nicht zu erwarten, den Goethe
später den setzenden und immer gehetzten, eine rechte Brennnessel genannt hat.

Im Sommer 1796 kam Friedrich nach Jena, wo sein Bru.der unter Schillers
Flügeln eben warm geworden war. Er hatte sich bereits von Dresden aus
dem Redakteur der Horen genähert und demselben eine weltgeschichtliche Ver-
gleichung, „Cäsar und Alexander"*) eingeschickt, in welcher er seinen Gedanken
einer antiken Naturbildung auch auf die Individuen übertrug und Cäsar als
das Bild der vollkommenen Übereinstimmung einer vollendeten imveratorischcn
Kraft und eines vollendeten imperatorischen Verstandes feiert. Aber schon
während er auf dem Wege nach Jena das Schicksal dieses Aufsatzes kaum er¬
warten konnte, hatte er sich durch eine Rezension des Schillerschen Musen¬
almanachs auf 1796 den Weg in die Hören erschwert. In dem auf Schillers
Horenredaktion immerfort nergelnden Journal „Deutschland" hatte Schlegel den
Unterschied der objektiven und interessanten Dichtung aus Goethe und Schiller
angewendet, und Schiller war dabei Goethe gegenüber natürlich um ebensoviel
zu kurz gekommen, als die romantische Dichtung in dem Aufsatze „Über das
Studium" gegenüber der antiken. Daß der Verfasser des Diotimci-Aufsatzes mit
Schillers „Würde der Frauen" wenig zufrieden sein konnte, versteht sich freilich
von selbst; keineswegs aber hätte er von dem boshaften Witz, den ihm sein
Bruder sonfflirte: daß man das Gedicht am besten mit vertauschten Rhythmen
und strophenweise rückwärts lesen sollte, Gebrauch machen sollen. Wenn er sich
aber nun gar Ausfälle gegen Schillers vernachlässigte Erziehung und die un-



») Friedrich Schlegel. 1794—1802. Seine prosaischen Jugendschriften, herausge¬
geben von I. Minor. Zweiter Band: Zur deutschen Literatur und Philosophie. Wien,
1832, Verlag von. Karl Konegen.
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[0305] Friedrich Schlegel. von z. Minor. 2. is Friedrich Schlegel seine griechische Literaturgeschichte heraus¬ gab, hatte er sich bereits als Rezensent und Kritiker auf dem Gebiete der modernen deutscheu Literatur hervorgethan. In Reichardts Journal „Deutschland" und dessen Fortsetzung „Lyceum der schönen Künste" waren eine Reihe von Charakteristiken und Kritiken erschienen, welche mit kecken und verwegenen Angriffen auf Schiller be¬ gannen und mit einer vollständigen Vernichtung der kritischen Autorität Lessings endeten. Eine billige Kritik war von dem Manne nicht zu erwarten, den Goethe später den setzenden und immer gehetzten, eine rechte Brennnessel genannt hat. Im Sommer 1796 kam Friedrich nach Jena, wo sein Bru.der unter Schillers Flügeln eben warm geworden war. Er hatte sich bereits von Dresden aus dem Redakteur der Horen genähert und demselben eine weltgeschichtliche Ver- gleichung, „Cäsar und Alexander"*) eingeschickt, in welcher er seinen Gedanken einer antiken Naturbildung auch auf die Individuen übertrug und Cäsar als das Bild der vollkommenen Übereinstimmung einer vollendeten imveratorischcn Kraft und eines vollendeten imperatorischen Verstandes feiert. Aber schon während er auf dem Wege nach Jena das Schicksal dieses Aufsatzes kaum er¬ warten konnte, hatte er sich durch eine Rezension des Schillerschen Musen¬ almanachs auf 1796 den Weg in die Hören erschwert. In dem auf Schillers Horenredaktion immerfort nergelnden Journal „Deutschland" hatte Schlegel den Unterschied der objektiven und interessanten Dichtung aus Goethe und Schiller angewendet, und Schiller war dabei Goethe gegenüber natürlich um ebensoviel zu kurz gekommen, als die romantische Dichtung in dem Aufsatze „Über das Studium" gegenüber der antiken. Daß der Verfasser des Diotimci-Aufsatzes mit Schillers „Würde der Frauen" wenig zufrieden sein konnte, versteht sich freilich von selbst; keineswegs aber hätte er von dem boshaften Witz, den ihm sein Bruder sonfflirte: daß man das Gedicht am besten mit vertauschten Rhythmen und strophenweise rückwärts lesen sollte, Gebrauch machen sollen. Wenn er sich aber nun gar Ausfälle gegen Schillers vernachlässigte Erziehung und die un- ») Friedrich Schlegel. 1794—1802. Seine prosaischen Jugendschriften, herausge¬ geben von I. Minor. Zweiter Band: Zur deutschen Literatur und Philosophie. Wien, 1832, Verlag von. Karl Konegen. Grenzboten III. 1383. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/305>, abgerufen am 08.09.2024.