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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Münchner Februarunruhen des Jahres ^3H3.

einem an eine nahestehende Freundin gerichteten Briefe schildert sie unumwunden,
was sie erlebt und gehört, ohne dabei an die Möglichkeit einer spätern Ver¬
öffentlichung zu denken. Gewährt schon diese Thatsache die Präsumption der
wenigstens angestrebten Wahrheit, so ergiebt auch der Vergleich mit andern
gleichzeitigen Berichten im großen und ganzen die Richtigkeit des Erzählten.
Nur da ist dies nicht der Fall, wo die Briefschreibcrin nicht aus eigner An¬
schauung, sondern nach Hörensagen ihre Mitteilungen gestaltet. Überall laufen
nach solchen tumultuarischen Szenen übertriebene Gerüchte umher, deren Verkehrt¬
heit erst allmählich zu Tage tritt. So enthält auch der hier folgende Brief mehr¬
fach falsche Angaben, wie sie damals in München von Mund zu Munde gingen.
Es wird nötig sein, an den betreffenden Stellen den Leser auf dieselben auf¬
merksam zu machen und soweit als möglich den wirklichen Sachverhalt dar¬
zulegen.

Das Mehr oder Minder der geschichtlichen Einzelheiten, welche sich als
neu aus dem Briefe ergeben, ist aber garnicht der einzige Grund, welcher die
Veröffentlichung desselben rechtfertigt. Sein Wert liegt vor allem in dem poli¬
tischen Standpunkte und der sozialen Stellung, welche die Schreiberin einnahm.
Es tritt uns hier ein Urteil entgegen, das für das gebildete Bürgertum,
welches die großen Verdienste des Königs um Baiern und in erster Linie um
München wohl zu schätzen wußte, aber von der Begünstigung der Tänzerin
aufs peinlichste berührt war, als das allgemein giltige angesehen werden darf.
So erhalten wir hier eine neue Quelle nicht nur zur Bestätigung bereits be¬
kannter Thatsachen, sondern vor allem über die in jenen Tagen in München
herrschende Stimmung. Bekanntlich hat Ludwig Thiersch, in jenem Jahre Rektor
der Universität München, in der Augsburger Allgemeinen Zeitung einen von
gegnerischer Seite vielfach angefochtenen Bericht über die Februarunruhen vom
Standpunkte der Universität veröffentlicht.*) Von gleicher Wichtigkeit erscheint
die Darstellung der Bewegung in der durchaus ultramontanen Augsburger
Postzeitung, welche wohl die genauesten und eingehendsten Mitteilungen machte
und ihre Auffassung ziemlich frei zum Ausdruck brachte**); irren wir nicht,
so liegen in Bezug auf die Thatsachen, nicht auf die Beurteilung derselben
gerade die betreffenden Nummern dieser Zeitung dem Werke von Wilhelm
Zimmermann über die deutsche Revolution (Karlsruhe, 1848) als erste
Quelle zu Grunde. Zu diesen beiden wichtigsten Quellen tritt nun ergänzend
unser Brief hinzu, indem er, wie gesagt, den Standpunkt des gebildeten Bürger¬
tums zum Ausdruck bringt. Aus ihm ergiebt sich die bemerkenswerte That¬
sache, daß auch auf dieser Seite der Haß gegen Lota Mvntcz mächtig rege war und
die gegen sie unternommene Bewegung der Hauptsache nach die vollste, unum-




") Allgemeine Zeitung, 1848, Ur. 45, 46, 43, 14.-17. Februar.
**) Augsburger Postzeitung, 1348, Ur. 42--44, 11.--13. Februar.
Die Münchner Februarunruhen des Jahres ^3H3.

einem an eine nahestehende Freundin gerichteten Briefe schildert sie unumwunden,
was sie erlebt und gehört, ohne dabei an die Möglichkeit einer spätern Ver¬
öffentlichung zu denken. Gewährt schon diese Thatsache die Präsumption der
wenigstens angestrebten Wahrheit, so ergiebt auch der Vergleich mit andern
gleichzeitigen Berichten im großen und ganzen die Richtigkeit des Erzählten.
Nur da ist dies nicht der Fall, wo die Briefschreibcrin nicht aus eigner An¬
schauung, sondern nach Hörensagen ihre Mitteilungen gestaltet. Überall laufen
nach solchen tumultuarischen Szenen übertriebene Gerüchte umher, deren Verkehrt¬
heit erst allmählich zu Tage tritt. So enthält auch der hier folgende Brief mehr¬
fach falsche Angaben, wie sie damals in München von Mund zu Munde gingen.
Es wird nötig sein, an den betreffenden Stellen den Leser auf dieselben auf¬
merksam zu machen und soweit als möglich den wirklichen Sachverhalt dar¬
zulegen.

Das Mehr oder Minder der geschichtlichen Einzelheiten, welche sich als
neu aus dem Briefe ergeben, ist aber garnicht der einzige Grund, welcher die
Veröffentlichung desselben rechtfertigt. Sein Wert liegt vor allem in dem poli¬
tischen Standpunkte und der sozialen Stellung, welche die Schreiberin einnahm.
Es tritt uns hier ein Urteil entgegen, das für das gebildete Bürgertum,
welches die großen Verdienste des Königs um Baiern und in erster Linie um
München wohl zu schätzen wußte, aber von der Begünstigung der Tänzerin
aufs peinlichste berührt war, als das allgemein giltige angesehen werden darf.
So erhalten wir hier eine neue Quelle nicht nur zur Bestätigung bereits be¬
kannter Thatsachen, sondern vor allem über die in jenen Tagen in München
herrschende Stimmung. Bekanntlich hat Ludwig Thiersch, in jenem Jahre Rektor
der Universität München, in der Augsburger Allgemeinen Zeitung einen von
gegnerischer Seite vielfach angefochtenen Bericht über die Februarunruhen vom
Standpunkte der Universität veröffentlicht.*) Von gleicher Wichtigkeit erscheint
die Darstellung der Bewegung in der durchaus ultramontanen Augsburger
Postzeitung, welche wohl die genauesten und eingehendsten Mitteilungen machte
und ihre Auffassung ziemlich frei zum Ausdruck brachte**); irren wir nicht,
so liegen in Bezug auf die Thatsachen, nicht auf die Beurteilung derselben
gerade die betreffenden Nummern dieser Zeitung dem Werke von Wilhelm
Zimmermann über die deutsche Revolution (Karlsruhe, 1848) als erste
Quelle zu Grunde. Zu diesen beiden wichtigsten Quellen tritt nun ergänzend
unser Brief hinzu, indem er, wie gesagt, den Standpunkt des gebildeten Bürger¬
tums zum Ausdruck bringt. Aus ihm ergiebt sich die bemerkenswerte That¬
sache, daß auch auf dieser Seite der Haß gegen Lota Mvntcz mächtig rege war und
die gegen sie unternommene Bewegung der Hauptsache nach die vollste, unum-




») Allgemeine Zeitung, 1848, Ur. 45, 46, 43, 14.-17. Februar.
**) Augsburger Postzeitung, 1348, Ur. 42—44, 11.—13. Februar.
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[0030] Die Münchner Februarunruhen des Jahres ^3H3. einem an eine nahestehende Freundin gerichteten Briefe schildert sie unumwunden, was sie erlebt und gehört, ohne dabei an die Möglichkeit einer spätern Ver¬ öffentlichung zu denken. Gewährt schon diese Thatsache die Präsumption der wenigstens angestrebten Wahrheit, so ergiebt auch der Vergleich mit andern gleichzeitigen Berichten im großen und ganzen die Richtigkeit des Erzählten. Nur da ist dies nicht der Fall, wo die Briefschreibcrin nicht aus eigner An¬ schauung, sondern nach Hörensagen ihre Mitteilungen gestaltet. Überall laufen nach solchen tumultuarischen Szenen übertriebene Gerüchte umher, deren Verkehrt¬ heit erst allmählich zu Tage tritt. So enthält auch der hier folgende Brief mehr¬ fach falsche Angaben, wie sie damals in München von Mund zu Munde gingen. Es wird nötig sein, an den betreffenden Stellen den Leser auf dieselben auf¬ merksam zu machen und soweit als möglich den wirklichen Sachverhalt dar¬ zulegen. Das Mehr oder Minder der geschichtlichen Einzelheiten, welche sich als neu aus dem Briefe ergeben, ist aber garnicht der einzige Grund, welcher die Veröffentlichung desselben rechtfertigt. Sein Wert liegt vor allem in dem poli¬ tischen Standpunkte und der sozialen Stellung, welche die Schreiberin einnahm. Es tritt uns hier ein Urteil entgegen, das für das gebildete Bürgertum, welches die großen Verdienste des Königs um Baiern und in erster Linie um München wohl zu schätzen wußte, aber von der Begünstigung der Tänzerin aufs peinlichste berührt war, als das allgemein giltige angesehen werden darf. So erhalten wir hier eine neue Quelle nicht nur zur Bestätigung bereits be¬ kannter Thatsachen, sondern vor allem über die in jenen Tagen in München herrschende Stimmung. Bekanntlich hat Ludwig Thiersch, in jenem Jahre Rektor der Universität München, in der Augsburger Allgemeinen Zeitung einen von gegnerischer Seite vielfach angefochtenen Bericht über die Februarunruhen vom Standpunkte der Universität veröffentlicht.*) Von gleicher Wichtigkeit erscheint die Darstellung der Bewegung in der durchaus ultramontanen Augsburger Postzeitung, welche wohl die genauesten und eingehendsten Mitteilungen machte und ihre Auffassung ziemlich frei zum Ausdruck brachte**); irren wir nicht, so liegen in Bezug auf die Thatsachen, nicht auf die Beurteilung derselben gerade die betreffenden Nummern dieser Zeitung dem Werke von Wilhelm Zimmermann über die deutsche Revolution (Karlsruhe, 1848) als erste Quelle zu Grunde. Zu diesen beiden wichtigsten Quellen tritt nun ergänzend unser Brief hinzu, indem er, wie gesagt, den Standpunkt des gebildeten Bürger¬ tums zum Ausdruck bringt. Aus ihm ergiebt sich die bemerkenswerte That¬ sache, daß auch auf dieser Seite der Haß gegen Lota Mvntcz mächtig rege war und die gegen sie unternommene Bewegung der Hauptsache nach die vollste, unum- ») Allgemeine Zeitung, 1848, Ur. 45, 46, 43, 14.-17. Februar. **) Augsburger Postzeitung, 1348, Ur. 42—44, 11.—13. Februar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/30>, abgerufen am 08.09.2024.