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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte der Gegenreformation.

Richtung der Regierenden, die noch auf eine nationale Regelung des kirchlichen
Streites hoffte und deshalb Gewaltmaßregeln abhold war, so hatten es doch
die Evangelischen in den seltensten Füllen zu einer festen landeskirchlichen Or¬
ganisation gebracht und ermangelten nicht nur eines sichern Nechtsbodens, wie
alles neue, sondern auch fast jeder Unterstützung von seiten ihrer Glaubens¬
genossen in den weltlichen Territorien. Die Institute der alten Kirche aber,
vor allem die Domkapitel, waren aufrecht geblieben, und an sie schloß sich
eine mehr oder minder starke katholische Partei, und endlich eröffnete ihr jede
Neuwahl die Hoffnung. einen Mann ihrer Gesinnung auf den Bischofssitz zu
erheben. Dazu nun die strenge Einheit der römischen Kirche nach dem Triden-
tinum, die rücksichtslose, auch vor offnen Rechtsverletzungen nicht zurückschenende
Entschlossenheit der Kurie, die sich mit dem unzerstörbaren Bewußtsein des
bessern, weil höhern Rechts verband, die ebenso energische als klug berechnete
Thätigkeit des Jesuitenordens -- fürwahr, es ist kein Wunder, wenn der
Protestantismus in den reichsunmittelbaren geistlichen Gebieten, einige nord¬
deutsche ausgenommen, der Reaktion erlag. Denn die Überlegenheit an Zahl
konnte da nicht helfen, wo man es nicht auf offne Erhebung ankommen lassen
wollte, und das hat man nirgends gewollt.

Von den hierbei in Betracht kommenden Territorien haben die lebhaftesten
Anstrengungen von beiden Seiten jene erlebt, die für die großen Mächte der
Epoche, Spanien-Habsburg, Rom, Frankreich, die wichtigsten waren: die nieder¬
rheinisch-westfälischen. Denn da seit 1567 der welthistorische Konflikt sich um
die Niederlande bewegte, so war die Frage, welche Richtung in jenen herrschen
sollte, von entscheidender Bedeutung für beide. Daher stürzte schon Karl V.
un Bunde mit Rom den reformfreundlichen Kölner Erzbischof Hermann von
Wied (1546), daher wiederholte sich dasselbe unter einem der Nachfolger
desselben, Gebhard von Waldburg (1583), daher erregte der jülich-klevische
Erbfolgestreit halb Europa. Aber nicht weniger heftig, wenn auch mit andern
Mitteln, ist um Münster und Paderborn gefochten worden, nur daß die Phasen
dieses Kampfes bis jetzt fast ganz unbekannt waren. Erst Ludwig Keller
in Münster hat es neuerdings unternommen, auf Grund fast lediglich archiva-
lischen Materials Die Gegenreformation in Westfalen und am Nieder¬
rhein zunächst von 1565 bis 1585 zu schildern (Leipzig, S. Hirzel, 1831),
un Zusammenhange jener großangelegten "Publikationen aus den Königlich
Preußischen Staatsarchiven," deren Bedeutung mit jedem Bande steigt. Er
hat dabei Kleve-Mark-Ravensbcrg mit Münster und Paderborn zusammengestellt,
mit Recht, denn nicht nur stehen diese Gebiete untereinander im engsten Zusam¬
menhange, sondern die Entwicklung ihrer kirchlichen Verhältnisse zeigt einen
ganz ähnlichen Gang: es gelingt der protestantischen Partei in den Stifts¬
landen gar nicht, in den klevischen Territorien nur teilweise, der Regierungs¬
gewalt sich zu bemächtigen, und wo das nicht geschieht, da erliegt sie der Reaktion;


Zur Geschichte der Gegenreformation.

Richtung der Regierenden, die noch auf eine nationale Regelung des kirchlichen
Streites hoffte und deshalb Gewaltmaßregeln abhold war, so hatten es doch
die Evangelischen in den seltensten Füllen zu einer festen landeskirchlichen Or¬
ganisation gebracht und ermangelten nicht nur eines sichern Nechtsbodens, wie
alles neue, sondern auch fast jeder Unterstützung von seiten ihrer Glaubens¬
genossen in den weltlichen Territorien. Die Institute der alten Kirche aber,
vor allem die Domkapitel, waren aufrecht geblieben, und an sie schloß sich
eine mehr oder minder starke katholische Partei, und endlich eröffnete ihr jede
Neuwahl die Hoffnung. einen Mann ihrer Gesinnung auf den Bischofssitz zu
erheben. Dazu nun die strenge Einheit der römischen Kirche nach dem Triden-
tinum, die rücksichtslose, auch vor offnen Rechtsverletzungen nicht zurückschenende
Entschlossenheit der Kurie, die sich mit dem unzerstörbaren Bewußtsein des
bessern, weil höhern Rechts verband, die ebenso energische als klug berechnete
Thätigkeit des Jesuitenordens — fürwahr, es ist kein Wunder, wenn der
Protestantismus in den reichsunmittelbaren geistlichen Gebieten, einige nord¬
deutsche ausgenommen, der Reaktion erlag. Denn die Überlegenheit an Zahl
konnte da nicht helfen, wo man es nicht auf offne Erhebung ankommen lassen
wollte, und das hat man nirgends gewollt.

Von den hierbei in Betracht kommenden Territorien haben die lebhaftesten
Anstrengungen von beiden Seiten jene erlebt, die für die großen Mächte der
Epoche, Spanien-Habsburg, Rom, Frankreich, die wichtigsten waren: die nieder¬
rheinisch-westfälischen. Denn da seit 1567 der welthistorische Konflikt sich um
die Niederlande bewegte, so war die Frage, welche Richtung in jenen herrschen
sollte, von entscheidender Bedeutung für beide. Daher stürzte schon Karl V.
un Bunde mit Rom den reformfreundlichen Kölner Erzbischof Hermann von
Wied (1546), daher wiederholte sich dasselbe unter einem der Nachfolger
desselben, Gebhard von Waldburg (1583), daher erregte der jülich-klevische
Erbfolgestreit halb Europa. Aber nicht weniger heftig, wenn auch mit andern
Mitteln, ist um Münster und Paderborn gefochten worden, nur daß die Phasen
dieses Kampfes bis jetzt fast ganz unbekannt waren. Erst Ludwig Keller
in Münster hat es neuerdings unternommen, auf Grund fast lediglich archiva-
lischen Materials Die Gegenreformation in Westfalen und am Nieder¬
rhein zunächst von 1565 bis 1585 zu schildern (Leipzig, S. Hirzel, 1831),
un Zusammenhange jener großangelegten „Publikationen aus den Königlich
Preußischen Staatsarchiven," deren Bedeutung mit jedem Bande steigt. Er
hat dabei Kleve-Mark-Ravensbcrg mit Münster und Paderborn zusammengestellt,
mit Recht, denn nicht nur stehen diese Gebiete untereinander im engsten Zusam¬
menhange, sondern die Entwicklung ihrer kirchlichen Verhältnisse zeigt einen
ganz ähnlichen Gang: es gelingt der protestantischen Partei in den Stifts¬
landen gar nicht, in den klevischen Territorien nur teilweise, der Regierungs¬
gewalt sich zu bemächtigen, und wo das nicht geschieht, da erliegt sie der Reaktion;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/295>, abgerufen am 08.09.2024.