Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Glossen zu den modernen Kreditbestrobungen.

halten und einigemal sehr entschieden durchgeführt worden, z. B. während der
Unruhen gegen die Juden zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts. Daß im
Jahre 1349 selbst dieser Standpunkt aufgegeben erscheint, liegt in den poli¬
tischen Verhältnissen des Allgenblicks, wo die politische Führung von oben ver¬
loren war.

Die politischen Zustände waren überhaupt sehr einflußreich auf die ver-
schiednen Stadien auch der Kreditfrage im Mittelalter. In England und Frank¬
reich, wo der zentralistische Zug überwog, wird dies auch für die Verhältnisse
der Juden höchst einflußreich. Die Entschließung der Zentralgewalt, des Königs,
war dort immer ausschlaggebend; einer Entscheidung von dieser Seite fehlte nie der
Nachdruck für das ganze Reich; es hat dies natürlich zur Voraussetzung, daß
auch Bewegungen aus dem Inneren heraus weit stärker auf die Zentralgewalt
zurückwirkten wie im heiligen römischen Reich deutscher Nation.

In England war das königliche Eigentum an den Juden seit Eduard
dem Bekenner staatsrechtlich feststehend, und Versuche der Juden, sich diesem
Eigentum zu entziehen, wurden von der Krone kurz und entschieden zurückge¬
wiesen. Auf Grund dieses Eigentums erhoben die Könige von den Juden
Abgaben, so oft es ihnen gefiel. Durch die öftere Wiederholung außerordent¬
licher Auflagen und durch die Höhe derselben wird die Steuerkraft des
königlichen Kreditinstituts festgestellt. Schon 1188 jedoch sah sich die Krone
genötigt, eine Anzahl Juden, die, auf ihren Reichtum pochend, den königlichen
Anordnungen Trotz boten, zu verjagen, und zwei Jahre später kam es trotzdem
in vielen englischen Städten zu einem Volksaufstand gegen die Juden, bei dein
Plünderung und Totschlag stattfand. Wenn gleichwohl die Könige ihr Kredit¬
institut aufrecht zu erhalten suchten, und wenn das Kreditinstitut selbst sichs
uicht wellig kosten ließ,*) trotz aller, selbst blutigen Angriffe seine Stellung
innerhalb offenbar feindlicher Verhältnisse zu behaupten, so konnte damit wohl
die endliche Katastrophe verschoben, nicht aber vermieden werden. Schon 1262
wurde der König um Vertreibung der Juden angegangen und er konnte gewalt¬
same Ausbrüche der verschuldeten Bevölkerung gegen sie nicht zurückhalte".
Obgleich das Kreditinstitut (das im Jahre 1234 auf Befehl Heinrichs III. in



Nach jüdischen Quellen verwandten die Juden, um einen neuen Freibrief für Eng¬
land zu erlangen, nur allein zur Bestechung der Räte des Königs Johann ohne Land
nicht weniger als 4000 Mark Silber. Die Kunst der "Betcilung" wurde also schon im
Jahre 1200 n. Chr. recht nett betrieben. Einträglich genug war freilich auch das Kredit¬
geschäft. Die jüdischen Quellen liefern dafür die merkwürdigsten Belege. Denn wenn sie
voll Abscheu erzählen, daß König Johann ohne Land bei einem Bristoler Juden eine Zwangs-
cmlcihe -- der König ließ dem letztern angeblich auf seine anfängliche Weigerung täglich
einen Zahn ausreißen, worauf nach der achten Operation das Geld kam -- von 10000 Mark
Silber machte, so wird dadurch doch zunächst die ungeheuerliche Anhäufung des Kapitals
in den Händen des Kredit-Instituts festgestellt.
Glossen zu den modernen Kreditbestrobungen.

halten und einigemal sehr entschieden durchgeführt worden, z. B. während der
Unruhen gegen die Juden zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts. Daß im
Jahre 1349 selbst dieser Standpunkt aufgegeben erscheint, liegt in den poli¬
tischen Verhältnissen des Allgenblicks, wo die politische Führung von oben ver¬
loren war.

Die politischen Zustände waren überhaupt sehr einflußreich auf die ver-
schiednen Stadien auch der Kreditfrage im Mittelalter. In England und Frank¬
reich, wo der zentralistische Zug überwog, wird dies auch für die Verhältnisse
der Juden höchst einflußreich. Die Entschließung der Zentralgewalt, des Königs,
war dort immer ausschlaggebend; einer Entscheidung von dieser Seite fehlte nie der
Nachdruck für das ganze Reich; es hat dies natürlich zur Voraussetzung, daß
auch Bewegungen aus dem Inneren heraus weit stärker auf die Zentralgewalt
zurückwirkten wie im heiligen römischen Reich deutscher Nation.

In England war das königliche Eigentum an den Juden seit Eduard
dem Bekenner staatsrechtlich feststehend, und Versuche der Juden, sich diesem
Eigentum zu entziehen, wurden von der Krone kurz und entschieden zurückge¬
wiesen. Auf Grund dieses Eigentums erhoben die Könige von den Juden
Abgaben, so oft es ihnen gefiel. Durch die öftere Wiederholung außerordent¬
licher Auflagen und durch die Höhe derselben wird die Steuerkraft des
königlichen Kreditinstituts festgestellt. Schon 1188 jedoch sah sich die Krone
genötigt, eine Anzahl Juden, die, auf ihren Reichtum pochend, den königlichen
Anordnungen Trotz boten, zu verjagen, und zwei Jahre später kam es trotzdem
in vielen englischen Städten zu einem Volksaufstand gegen die Juden, bei dein
Plünderung und Totschlag stattfand. Wenn gleichwohl die Könige ihr Kredit¬
institut aufrecht zu erhalten suchten, und wenn das Kreditinstitut selbst sichs
uicht wellig kosten ließ,*) trotz aller, selbst blutigen Angriffe seine Stellung
innerhalb offenbar feindlicher Verhältnisse zu behaupten, so konnte damit wohl
die endliche Katastrophe verschoben, nicht aber vermieden werden. Schon 1262
wurde der König um Vertreibung der Juden angegangen und er konnte gewalt¬
same Ausbrüche der verschuldeten Bevölkerung gegen sie nicht zurückhalte».
Obgleich das Kreditinstitut (das im Jahre 1234 auf Befehl Heinrichs III. in



Nach jüdischen Quellen verwandten die Juden, um einen neuen Freibrief für Eng¬
land zu erlangen, nur allein zur Bestechung der Räte des Königs Johann ohne Land
nicht weniger als 4000 Mark Silber. Die Kunst der „Betcilung" wurde also schon im
Jahre 1200 n. Chr. recht nett betrieben. Einträglich genug war freilich auch das Kredit¬
geschäft. Die jüdischen Quellen liefern dafür die merkwürdigsten Belege. Denn wenn sie
voll Abscheu erzählen, daß König Johann ohne Land bei einem Bristoler Juden eine Zwangs-
cmlcihe — der König ließ dem letztern angeblich auf seine anfängliche Weigerung täglich
einen Zahn ausreißen, worauf nach der achten Operation das Geld kam — von 10000 Mark
Silber machte, so wird dadurch doch zunächst die ungeheuerliche Anhäufung des Kapitals
in den Händen des Kredit-Instituts festgestellt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153737"/>
          <fw type="header" place="top"> Glossen zu den modernen Kreditbestrobungen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1237" prev="#ID_1236"> halten und einigemal sehr entschieden durchgeführt worden, z. B. während der<lb/>
Unruhen gegen die Juden zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts. Daß im<lb/>
Jahre 1349 selbst dieser Standpunkt aufgegeben erscheint, liegt in den poli¬<lb/>
tischen Verhältnissen des Allgenblicks, wo die politische Führung von oben ver¬<lb/>
loren war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1238"> Die politischen Zustände waren überhaupt sehr einflußreich auf die ver-<lb/>
schiednen Stadien auch der Kreditfrage im Mittelalter. In England und Frank¬<lb/>
reich, wo der zentralistische Zug überwog, wird dies auch für die Verhältnisse<lb/>
der Juden höchst einflußreich. Die Entschließung der Zentralgewalt, des Königs,<lb/>
war dort immer ausschlaggebend; einer Entscheidung von dieser Seite fehlte nie der<lb/>
Nachdruck für das ganze Reich; es hat dies natürlich zur Voraussetzung, daß<lb/>
auch Bewegungen aus dem Inneren heraus weit stärker auf die Zentralgewalt<lb/>
zurückwirkten wie im heiligen römischen Reich deutscher Nation.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1239" next="#ID_1240"> In England war das königliche Eigentum an den Juden seit Eduard<lb/>
dem Bekenner staatsrechtlich feststehend, und Versuche der Juden, sich diesem<lb/>
Eigentum zu entziehen, wurden von der Krone kurz und entschieden zurückge¬<lb/>
wiesen. Auf Grund dieses Eigentums erhoben die Könige von den Juden<lb/>
Abgaben, so oft es ihnen gefiel. Durch die öftere Wiederholung außerordent¬<lb/>
licher Auflagen und durch die Höhe derselben wird die Steuerkraft des<lb/>
königlichen Kreditinstituts festgestellt. Schon 1188 jedoch sah sich die Krone<lb/>
genötigt, eine Anzahl Juden, die, auf ihren Reichtum pochend, den königlichen<lb/>
Anordnungen Trotz boten, zu verjagen, und zwei Jahre später kam es trotzdem<lb/>
in vielen englischen Städten zu einem Volksaufstand gegen die Juden, bei dein<lb/>
Plünderung und Totschlag stattfand. Wenn gleichwohl die Könige ihr Kredit¬<lb/>
institut aufrecht zu erhalten suchten, und wenn das Kreditinstitut selbst sichs<lb/>
uicht wellig kosten ließ,*) trotz aller, selbst blutigen Angriffe seine Stellung<lb/>
innerhalb offenbar feindlicher Verhältnisse zu behaupten, so konnte damit wohl<lb/>
die endliche Katastrophe verschoben, nicht aber vermieden werden. Schon 1262<lb/>
wurde der König um Vertreibung der Juden angegangen und er konnte gewalt¬<lb/>
same Ausbrüche der verschuldeten Bevölkerung gegen sie nicht zurückhalte».<lb/>
Obgleich das Kreditinstitut (das im Jahre 1234 auf Befehl Heinrichs III. in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_48" place="foot"> Nach jüdischen Quellen verwandten die Juden, um einen neuen Freibrief für Eng¬<lb/>
land zu erlangen, nur allein zur Bestechung der Räte des Königs Johann ohne Land<lb/>
nicht weniger als 4000 Mark Silber. Die Kunst der &#x201E;Betcilung" wurde also schon im<lb/>
Jahre 1200 n. Chr. recht nett betrieben. Einträglich genug war freilich auch das Kredit¬<lb/>
geschäft. Die jüdischen Quellen liefern dafür die merkwürdigsten Belege. Denn wenn sie<lb/>
voll Abscheu erzählen, daß König Johann ohne Land bei einem Bristoler Juden eine Zwangs-<lb/>
cmlcihe &#x2014; der König ließ dem letztern angeblich auf seine anfängliche Weigerung täglich<lb/>
einen Zahn ausreißen, worauf nach der achten Operation das Geld kam &#x2014; von 10000 Mark<lb/>
Silber machte, so wird dadurch doch zunächst die ungeheuerliche Anhäufung des Kapitals<lb/>
in den Händen des Kredit-Instituts festgestellt.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] Glossen zu den modernen Kreditbestrobungen. halten und einigemal sehr entschieden durchgeführt worden, z. B. während der Unruhen gegen die Juden zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts. Daß im Jahre 1349 selbst dieser Standpunkt aufgegeben erscheint, liegt in den poli¬ tischen Verhältnissen des Allgenblicks, wo die politische Führung von oben ver¬ loren war. Die politischen Zustände waren überhaupt sehr einflußreich auf die ver- schiednen Stadien auch der Kreditfrage im Mittelalter. In England und Frank¬ reich, wo der zentralistische Zug überwog, wird dies auch für die Verhältnisse der Juden höchst einflußreich. Die Entschließung der Zentralgewalt, des Königs, war dort immer ausschlaggebend; einer Entscheidung von dieser Seite fehlte nie der Nachdruck für das ganze Reich; es hat dies natürlich zur Voraussetzung, daß auch Bewegungen aus dem Inneren heraus weit stärker auf die Zentralgewalt zurückwirkten wie im heiligen römischen Reich deutscher Nation. In England war das königliche Eigentum an den Juden seit Eduard dem Bekenner staatsrechtlich feststehend, und Versuche der Juden, sich diesem Eigentum zu entziehen, wurden von der Krone kurz und entschieden zurückge¬ wiesen. Auf Grund dieses Eigentums erhoben die Könige von den Juden Abgaben, so oft es ihnen gefiel. Durch die öftere Wiederholung außerordent¬ licher Auflagen und durch die Höhe derselben wird die Steuerkraft des königlichen Kreditinstituts festgestellt. Schon 1188 jedoch sah sich die Krone genötigt, eine Anzahl Juden, die, auf ihren Reichtum pochend, den königlichen Anordnungen Trotz boten, zu verjagen, und zwei Jahre später kam es trotzdem in vielen englischen Städten zu einem Volksaufstand gegen die Juden, bei dein Plünderung und Totschlag stattfand. Wenn gleichwohl die Könige ihr Kredit¬ institut aufrecht zu erhalten suchten, und wenn das Kreditinstitut selbst sichs uicht wellig kosten ließ,*) trotz aller, selbst blutigen Angriffe seine Stellung innerhalb offenbar feindlicher Verhältnisse zu behaupten, so konnte damit wohl die endliche Katastrophe verschoben, nicht aber vermieden werden. Schon 1262 wurde der König um Vertreibung der Juden angegangen und er konnte gewalt¬ same Ausbrüche der verschuldeten Bevölkerung gegen sie nicht zurückhalte». Obgleich das Kreditinstitut (das im Jahre 1234 auf Befehl Heinrichs III. in Nach jüdischen Quellen verwandten die Juden, um einen neuen Freibrief für Eng¬ land zu erlangen, nur allein zur Bestechung der Räte des Königs Johann ohne Land nicht weniger als 4000 Mark Silber. Die Kunst der „Betcilung" wurde also schon im Jahre 1200 n. Chr. recht nett betrieben. Einträglich genug war freilich auch das Kredit¬ geschäft. Die jüdischen Quellen liefern dafür die merkwürdigsten Belege. Denn wenn sie voll Abscheu erzählen, daß König Johann ohne Land bei einem Bristoler Juden eine Zwangs- cmlcihe — der König ließ dem letztern angeblich auf seine anfängliche Weigerung täglich einen Zahn ausreißen, worauf nach der achten Operation das Geld kam — von 10000 Mark Silber machte, so wird dadurch doch zunächst die ungeheuerliche Anhäufung des Kapitals in den Händen des Kredit-Instituts festgestellt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/290>, abgerufen am 08.09.2024.