Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Münchner Lebruarunruhen des Jahres I^8H3.

1848 sehen, welches seltsamerweise das Schauspiel begonnen habe, statt es der her¬
kömmlichen Reihenfolge gemäß zu beschließen. Auch lassen wir es nicht gelten, wenn
man, wie es z. B. Heigel in seinem sonst so dankenswerten Buche über König
Ludwig I. thut,*) die Ereignisse jener Tage als durchaus verwerfliche Exzesse hin¬
stellt und in wegwerfenden Tone das Vorgehen der akademischen Jugend gegen die
Alemannen als "gewöhnliche ?ro pg-tria-Kämpfe" bezeichnet. Immer wird es rätsel¬
haft und unbegreiflich bleiben, daß el" so reicher Geist, wie der König Ludwigs
war, an dem Umgange mit einer Person Gefallen finden konnte, der nicht nur
jede feinere Verstandes- und Herzensbildung vollständig abging, sondern der auch
in Bezug auf ihre moralische Lebensführung mit Recht das Schlimmste nach¬
gesagt wurde. Daß die Zeitgenossen unter solchen Umständen an ein rein ideales,
gewissermaßen poetisches, nur dem Kultus der Schönheit gewidmetes Verhältnis
nicht glauben konnten, liegt auf der Hand. Schon die Begünstigung der Tän¬
zerin mußte ein Ärgernis abgeben, und als gar die Rücksicht auf ihre Launen
Einfluß auf die Regierungsentschlüsse des Monarchen erhielt, ward es geradezu
Pflicht, die Beseitigung des Ärgernisses mit aller Energie anzustreben. Daß
das Ministerium Abel, das wir in keiner Weise in Schutz zu nehmen gedenken,
an der Jndigenatsfmge scheiterte, daß tüchtige Universitätslehrer der Dame zum
Opfer fielen, daß vie akademische Jugend für ihre Nichtanerkennung der von
Lota protegirten Alemannenschaar mit der Schließung der Universität bestraft
werden sollte, das sind in unsern Augen Maßnahmen, welche nicht entschuldigt
werden können. Mögen daher auch immerhin ultramontane Einflüsse das Ver¬
halten der Münchner Bevölkerung bestimmt haben, mag immer das Witzwort
des Königs, daß seine Freundin, wenn sie "Loyola" statt "Lota" geheißen Hütte,
unangefochten geblieben wäre, Wahrheit enthalten, die Berechtigung, sich gegen
derartige Eingriffe einer Tänzerin in die Politik zur Wehr zu setze", wird nie¬
mand den Münchnern bestreiten können. In diesem Lichte erscheinen die Februar¬
tage in München als eine Art von Manifestation der Volksjustiz und erinnern
uns unwillkürlich an das in Baiern übliche Haberfeldtreiben. "Ein echt bai-
risches Haberfeldtreiben" nennt auch Diepenbrock gelegentlich**) jene Vertreibung
der Tänzerin, und weist mit diesem Worte zugleich auf das Berechtigte an der
Sache und auf die dabei zu Tage getretenen Ausschreitungen hin.

Den Eindruck des Haberfeldtreibeus gewinnen wir nun auch aus einem
Bericht über jene Februarunruhen des Jahres 1848, welcher im folgenden zum
Abdruck gelangt. Er rührt von einer durchaus nicht ultramontan gesinnten
Dame aus den besten Kreisen der Münchner Gesellschaft her, welche, in nächster
Nähe der Lota Moniez in der Barerstraße wohnend, Augenzeuge der meisten
Vorgänge war, die sich in jenen stürmischen Tagen in München abspielten. In




*) C. Th. Heigel, Ludwig I., König von Baiern. Leipzig, 1372. S. 273 -- 277.
**) Bei Reinkens, S. 362.
Die Münchner Lebruarunruhen des Jahres I^8H3.

1848 sehen, welches seltsamerweise das Schauspiel begonnen habe, statt es der her¬
kömmlichen Reihenfolge gemäß zu beschließen. Auch lassen wir es nicht gelten, wenn
man, wie es z. B. Heigel in seinem sonst so dankenswerten Buche über König
Ludwig I. thut,*) die Ereignisse jener Tage als durchaus verwerfliche Exzesse hin¬
stellt und in wegwerfenden Tone das Vorgehen der akademischen Jugend gegen die
Alemannen als „gewöhnliche ?ro pg-tria-Kämpfe" bezeichnet. Immer wird es rätsel¬
haft und unbegreiflich bleiben, daß el» so reicher Geist, wie der König Ludwigs
war, an dem Umgange mit einer Person Gefallen finden konnte, der nicht nur
jede feinere Verstandes- und Herzensbildung vollständig abging, sondern der auch
in Bezug auf ihre moralische Lebensführung mit Recht das Schlimmste nach¬
gesagt wurde. Daß die Zeitgenossen unter solchen Umständen an ein rein ideales,
gewissermaßen poetisches, nur dem Kultus der Schönheit gewidmetes Verhältnis
nicht glauben konnten, liegt auf der Hand. Schon die Begünstigung der Tän¬
zerin mußte ein Ärgernis abgeben, und als gar die Rücksicht auf ihre Launen
Einfluß auf die Regierungsentschlüsse des Monarchen erhielt, ward es geradezu
Pflicht, die Beseitigung des Ärgernisses mit aller Energie anzustreben. Daß
das Ministerium Abel, das wir in keiner Weise in Schutz zu nehmen gedenken,
an der Jndigenatsfmge scheiterte, daß tüchtige Universitätslehrer der Dame zum
Opfer fielen, daß vie akademische Jugend für ihre Nichtanerkennung der von
Lota protegirten Alemannenschaar mit der Schließung der Universität bestraft
werden sollte, das sind in unsern Augen Maßnahmen, welche nicht entschuldigt
werden können. Mögen daher auch immerhin ultramontane Einflüsse das Ver¬
halten der Münchner Bevölkerung bestimmt haben, mag immer das Witzwort
des Königs, daß seine Freundin, wenn sie „Loyola" statt „Lota" geheißen Hütte,
unangefochten geblieben wäre, Wahrheit enthalten, die Berechtigung, sich gegen
derartige Eingriffe einer Tänzerin in die Politik zur Wehr zu setze», wird nie¬
mand den Münchnern bestreiten können. In diesem Lichte erscheinen die Februar¬
tage in München als eine Art von Manifestation der Volksjustiz und erinnern
uns unwillkürlich an das in Baiern übliche Haberfeldtreiben. „Ein echt bai-
risches Haberfeldtreiben" nennt auch Diepenbrock gelegentlich**) jene Vertreibung
der Tänzerin, und weist mit diesem Worte zugleich auf das Berechtigte an der
Sache und auf die dabei zu Tage getretenen Ausschreitungen hin.

Den Eindruck des Haberfeldtreibeus gewinnen wir nun auch aus einem
Bericht über jene Februarunruhen des Jahres 1848, welcher im folgenden zum
Abdruck gelangt. Er rührt von einer durchaus nicht ultramontan gesinnten
Dame aus den besten Kreisen der Münchner Gesellschaft her, welche, in nächster
Nähe der Lota Moniez in der Barerstraße wohnend, Augenzeuge der meisten
Vorgänge war, die sich in jenen stürmischen Tagen in München abspielten. In




*) C. Th. Heigel, Ludwig I., König von Baiern. Leipzig, 1372. S. 273 — 277.
**) Bei Reinkens, S. 362.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153476"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Münchner Lebruarunruhen des Jahres I^8H3.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_63" prev="#ID_62"> 1848 sehen, welches seltsamerweise das Schauspiel begonnen habe, statt es der her¬<lb/>
kömmlichen Reihenfolge gemäß zu beschließen. Auch lassen wir es nicht gelten, wenn<lb/>
man, wie es z. B. Heigel in seinem sonst so dankenswerten Buche über König<lb/>
Ludwig I. thut,*) die Ereignisse jener Tage als durchaus verwerfliche Exzesse hin¬<lb/>
stellt und in wegwerfenden Tone das Vorgehen der akademischen Jugend gegen die<lb/>
Alemannen als &#x201E;gewöhnliche ?ro pg-tria-Kämpfe" bezeichnet. Immer wird es rätsel¬<lb/>
haft und unbegreiflich bleiben, daß el» so reicher Geist, wie der König Ludwigs<lb/>
war, an dem Umgange mit einer Person Gefallen finden konnte, der nicht nur<lb/>
jede feinere Verstandes- und Herzensbildung vollständig abging, sondern der auch<lb/>
in Bezug auf ihre moralische Lebensführung mit Recht das Schlimmste nach¬<lb/>
gesagt wurde. Daß die Zeitgenossen unter solchen Umständen an ein rein ideales,<lb/>
gewissermaßen poetisches, nur dem Kultus der Schönheit gewidmetes Verhältnis<lb/>
nicht glauben konnten, liegt auf der Hand. Schon die Begünstigung der Tän¬<lb/>
zerin mußte ein Ärgernis abgeben, und als gar die Rücksicht auf ihre Launen<lb/>
Einfluß auf die Regierungsentschlüsse des Monarchen erhielt, ward es geradezu<lb/>
Pflicht, die Beseitigung des Ärgernisses mit aller Energie anzustreben. Daß<lb/>
das Ministerium Abel, das wir in keiner Weise in Schutz zu nehmen gedenken,<lb/>
an der Jndigenatsfmge scheiterte, daß tüchtige Universitätslehrer der Dame zum<lb/>
Opfer fielen, daß vie akademische Jugend für ihre Nichtanerkennung der von<lb/>
Lota protegirten Alemannenschaar mit der Schließung der Universität bestraft<lb/>
werden sollte, das sind in unsern Augen Maßnahmen, welche nicht entschuldigt<lb/>
werden können. Mögen daher auch immerhin ultramontane Einflüsse das Ver¬<lb/>
halten der Münchner Bevölkerung bestimmt haben, mag immer das Witzwort<lb/>
des Königs, daß seine Freundin, wenn sie &#x201E;Loyola" statt &#x201E;Lota" geheißen Hütte,<lb/>
unangefochten geblieben wäre, Wahrheit enthalten, die Berechtigung, sich gegen<lb/>
derartige Eingriffe einer Tänzerin in die Politik zur Wehr zu setze», wird nie¬<lb/>
mand den Münchnern bestreiten können. In diesem Lichte erscheinen die Februar¬<lb/>
tage in München als eine Art von Manifestation der Volksjustiz und erinnern<lb/>
uns unwillkürlich an das in Baiern übliche Haberfeldtreiben. &#x201E;Ein echt bai-<lb/>
risches Haberfeldtreiben" nennt auch Diepenbrock gelegentlich**) jene Vertreibung<lb/>
der Tänzerin, und weist mit diesem Worte zugleich auf das Berechtigte an der<lb/>
Sache und auf die dabei zu Tage getretenen Ausschreitungen hin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_64" next="#ID_65"> Den Eindruck des Haberfeldtreibeus gewinnen wir nun auch aus einem<lb/>
Bericht über jene Februarunruhen des Jahres 1848, welcher im folgenden zum<lb/>
Abdruck gelangt. Er rührt von einer durchaus nicht ultramontan gesinnten<lb/>
Dame aus den besten Kreisen der Münchner Gesellschaft her, welche, in nächster<lb/>
Nähe der Lota Moniez in der Barerstraße wohnend, Augenzeuge der meisten<lb/>
Vorgänge war, die sich in jenen stürmischen Tagen in München abspielten. In</p><lb/>
          <note xml:id="FID_4" place="foot"> *) C. Th. Heigel, Ludwig I., König von Baiern. Leipzig, 1372. S. 273 &#x2014; 277.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_5" place="foot"> **) Bei Reinkens,  S. 362.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] Die Münchner Lebruarunruhen des Jahres I^8H3. 1848 sehen, welches seltsamerweise das Schauspiel begonnen habe, statt es der her¬ kömmlichen Reihenfolge gemäß zu beschließen. Auch lassen wir es nicht gelten, wenn man, wie es z. B. Heigel in seinem sonst so dankenswerten Buche über König Ludwig I. thut,*) die Ereignisse jener Tage als durchaus verwerfliche Exzesse hin¬ stellt und in wegwerfenden Tone das Vorgehen der akademischen Jugend gegen die Alemannen als „gewöhnliche ?ro pg-tria-Kämpfe" bezeichnet. Immer wird es rätsel¬ haft und unbegreiflich bleiben, daß el» so reicher Geist, wie der König Ludwigs war, an dem Umgange mit einer Person Gefallen finden konnte, der nicht nur jede feinere Verstandes- und Herzensbildung vollständig abging, sondern der auch in Bezug auf ihre moralische Lebensführung mit Recht das Schlimmste nach¬ gesagt wurde. Daß die Zeitgenossen unter solchen Umständen an ein rein ideales, gewissermaßen poetisches, nur dem Kultus der Schönheit gewidmetes Verhältnis nicht glauben konnten, liegt auf der Hand. Schon die Begünstigung der Tän¬ zerin mußte ein Ärgernis abgeben, und als gar die Rücksicht auf ihre Launen Einfluß auf die Regierungsentschlüsse des Monarchen erhielt, ward es geradezu Pflicht, die Beseitigung des Ärgernisses mit aller Energie anzustreben. Daß das Ministerium Abel, das wir in keiner Weise in Schutz zu nehmen gedenken, an der Jndigenatsfmge scheiterte, daß tüchtige Universitätslehrer der Dame zum Opfer fielen, daß vie akademische Jugend für ihre Nichtanerkennung der von Lota protegirten Alemannenschaar mit der Schließung der Universität bestraft werden sollte, das sind in unsern Augen Maßnahmen, welche nicht entschuldigt werden können. Mögen daher auch immerhin ultramontane Einflüsse das Ver¬ halten der Münchner Bevölkerung bestimmt haben, mag immer das Witzwort des Königs, daß seine Freundin, wenn sie „Loyola" statt „Lota" geheißen Hütte, unangefochten geblieben wäre, Wahrheit enthalten, die Berechtigung, sich gegen derartige Eingriffe einer Tänzerin in die Politik zur Wehr zu setze», wird nie¬ mand den Münchnern bestreiten können. In diesem Lichte erscheinen die Februar¬ tage in München als eine Art von Manifestation der Volksjustiz und erinnern uns unwillkürlich an das in Baiern übliche Haberfeldtreiben. „Ein echt bai- risches Haberfeldtreiben" nennt auch Diepenbrock gelegentlich**) jene Vertreibung der Tänzerin, und weist mit diesem Worte zugleich auf das Berechtigte an der Sache und auf die dabei zu Tage getretenen Ausschreitungen hin. Den Eindruck des Haberfeldtreibeus gewinnen wir nun auch aus einem Bericht über jene Februarunruhen des Jahres 1848, welcher im folgenden zum Abdruck gelangt. Er rührt von einer durchaus nicht ultramontan gesinnten Dame aus den besten Kreisen der Münchner Gesellschaft her, welche, in nächster Nähe der Lota Moniez in der Barerstraße wohnend, Augenzeuge der meisten Vorgänge war, die sich in jenen stürmischen Tagen in München abspielten. In *) C. Th. Heigel, Ludwig I., König von Baiern. Leipzig, 1372. S. 273 — 277. **) Bei Reinkens, S. 362.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/29>, abgerufen am 08.09.2024.