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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Glossen zu den modernen Kreditbestrebnngon.

Zins- und Kapitalzahlung. Nur nebenbei bemerken wir, daß dies politisch
ungefähr der parlamentarischen Anleihebcwillignng unsrer Zeit entsprach, daß
es aber von weit tieferer Bedeutung in sozialer und wirtschaftlicher Beziehung
für die betreffenden Bürgerschaften war, welche ja auch ganz unmittelbar be¬
teiligt erscheinen. Übrigens sind diese Kreditverhältnisse von entscheidender Be¬
deutung für die politische Hebung des Zunftwesens gewesen; erst unter ihrem
Druck gewannen die Zuuftgenosscnschafteu ihre politische Stellung in den Ge>
meinwesen.

Mit der politischen Hebung der gedrückten niedern Bevölkerungsklassen
war aber der wirtschaftliche Druck noch nicht überwunden. Die Kreditfrage war
von befriedigender Lösung weiter entfernt als jemals. Auch das offene Land
seufzte unter derselben, da die Leistungen und Schädigungen desselben hinter
denen der Städte nicht zurückblieben. Wie die Angehörigen der Städte un¬
geheure Frohnarbeit hatten für Befestigung, Sicherung und Verteidigung ihrer
Orte, so hatte das Land nicht minder zu leisten für Vurgbau und Feldzüge,
bei denen es überdies allen möglichen Angriffen ausgesetzt war. Es fehlte also
nirgends an Grund, für das Kreditbedürfnis Befriedigung zu suchen.

Die Kirche begünstigte, wie erwähnt, die Juden; und zwar nicht nur durch
Befreiung vom kanonischen Zinsverbot, sondern auch durch Erteilung besondrer
ausschließlicher Privilegien für jene an den Plätzen, wo die Kirche mächtig
genug war zur erfolgreichen Ausbeutung ihres Zinsprivilegiums. Zwischen
den Bischöfen und den Städten, die sie unterworfen hatten oder die sie zu
unterwerfen strebten, z. B. dem Erzbischof und der Stadt Köln, schwebten Jahr¬
hunderte lang Streitigkeiten wegen der Juden. Anfänglich und solange die
alten Geschlechter die Herrschaft in den Städten festhielten, drehte sich der
Streit hauptsächlich um die Zinspflicht der Juden, die auf der einen Seite
der Bischof, auf der andern der Rat der Stadt für sich in Anspruch nahm.


Geldgeschäften der Klöster hervorgegangen. Kam es doch vor, das; sogar die Geistlichen
Handel trieben, und zwar nicht nur mit ihren eignen Produkten, sondern mit fremden
Waaren, was die Gewerbetreibenden ihrerseits nicht dulden wollten. Man suchte durch Auf¬
legen von Steuern auf solchen Handel diesem entgegenzuwirken; so in Speier, Lüttich, Köln.
In diesen drei Städten ereignete sich das für unsre Zeit unglaubliche, daß daraufhin
die Geistlichkeit -- sinke machte (in Speier 1281, in Lüttich 1233, in Köln sogar uoch 1369)
und die Stadt verließ, wodurch sie in der That die städtischen Behörden zum Nachgeben
zwang. Das; derartige Umstände mit dem steigenden Reichtum auf der einen Seite und
der zunehmenden Armut und Unselbständigkeit auf der andern Seite mehr zu-als abnahmen,
läßt sich denken. An vielen Orten hatten die Bettelmönche das Ansehen von Exekutoren,
und ihr Erscheinen war ein geradezu verhaßtes. Dies verhüllen freilich diejenigen, welche
mit Beflissenheit die Reformation als das mutwillige Werk eines einzigen Mannes darzu¬
stellen suchen, dabei aber so wenig historische Schulung verraten, daß sie nicht einmal zu
wissen Schemen, wie wohl ein Mann oder eine Gruppe von Männern eine große Bewegung
führen und leiten, nicht aber sie tragen kann.
Glossen zu den modernen Kreditbestrebnngon.

Zins- und Kapitalzahlung. Nur nebenbei bemerken wir, daß dies politisch
ungefähr der parlamentarischen Anleihebcwillignng unsrer Zeit entsprach, daß
es aber von weit tieferer Bedeutung in sozialer und wirtschaftlicher Beziehung
für die betreffenden Bürgerschaften war, welche ja auch ganz unmittelbar be¬
teiligt erscheinen. Übrigens sind diese Kreditverhältnisse von entscheidender Be¬
deutung für die politische Hebung des Zunftwesens gewesen; erst unter ihrem
Druck gewannen die Zuuftgenosscnschafteu ihre politische Stellung in den Ge>
meinwesen.

Mit der politischen Hebung der gedrückten niedern Bevölkerungsklassen
war aber der wirtschaftliche Druck noch nicht überwunden. Die Kreditfrage war
von befriedigender Lösung weiter entfernt als jemals. Auch das offene Land
seufzte unter derselben, da die Leistungen und Schädigungen desselben hinter
denen der Städte nicht zurückblieben. Wie die Angehörigen der Städte un¬
geheure Frohnarbeit hatten für Befestigung, Sicherung und Verteidigung ihrer
Orte, so hatte das Land nicht minder zu leisten für Vurgbau und Feldzüge,
bei denen es überdies allen möglichen Angriffen ausgesetzt war. Es fehlte also
nirgends an Grund, für das Kreditbedürfnis Befriedigung zu suchen.

Die Kirche begünstigte, wie erwähnt, die Juden; und zwar nicht nur durch
Befreiung vom kanonischen Zinsverbot, sondern auch durch Erteilung besondrer
ausschließlicher Privilegien für jene an den Plätzen, wo die Kirche mächtig
genug war zur erfolgreichen Ausbeutung ihres Zinsprivilegiums. Zwischen
den Bischöfen und den Städten, die sie unterworfen hatten oder die sie zu
unterwerfen strebten, z. B. dem Erzbischof und der Stadt Köln, schwebten Jahr¬
hunderte lang Streitigkeiten wegen der Juden. Anfänglich und solange die
alten Geschlechter die Herrschaft in den Städten festhielten, drehte sich der
Streit hauptsächlich um die Zinspflicht der Juden, die auf der einen Seite
der Bischof, auf der andern der Rat der Stadt für sich in Anspruch nahm.


Geldgeschäften der Klöster hervorgegangen. Kam es doch vor, das; sogar die Geistlichen
Handel trieben, und zwar nicht nur mit ihren eignen Produkten, sondern mit fremden
Waaren, was die Gewerbetreibenden ihrerseits nicht dulden wollten. Man suchte durch Auf¬
legen von Steuern auf solchen Handel diesem entgegenzuwirken; so in Speier, Lüttich, Köln.
In diesen drei Städten ereignete sich das für unsre Zeit unglaubliche, daß daraufhin
die Geistlichkeit — sinke machte (in Speier 1281, in Lüttich 1233, in Köln sogar uoch 1369)
und die Stadt verließ, wodurch sie in der That die städtischen Behörden zum Nachgeben
zwang. Das; derartige Umstände mit dem steigenden Reichtum auf der einen Seite und
der zunehmenden Armut und Unselbständigkeit auf der andern Seite mehr zu-als abnahmen,
läßt sich denken. An vielen Orten hatten die Bettelmönche das Ansehen von Exekutoren,
und ihr Erscheinen war ein geradezu verhaßtes. Dies verhüllen freilich diejenigen, welche
mit Beflissenheit die Reformation als das mutwillige Werk eines einzigen Mannes darzu¬
stellen suchen, dabei aber so wenig historische Schulung verraten, daß sie nicht einmal zu
wissen Schemen, wie wohl ein Mann oder eine Gruppe von Männern eine große Bewegung
führen und leiten, nicht aber sie tragen kann.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/286>, abgerufen am 08.09.2024.