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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Glossen zu den modernen Kreditbestrebungen.

mehr als 10 Prozent Zins zu verlangen; die Christen erwähnt er in seiner
Verordnung nicht, da er nichts gegen das kanonische Recht thun wollte. Das
kanonische Zinsverbot wurde freilich zuletzt von gar niemand mehr beachtet und
im Jahre 1425 durch Papst Martin förmlich aufgehoben.

Bevor man indeß zu dieser letzter" Maßnahme gelangte -- einer Ma߬
nahme, die ohne Zweifel für die praktische Bedeutung des kanonischen Rechts
und für den kirchlichen Einfluß auf bürgerliche Verhältnisse von verhängnis¬
vollen Einfluß gewesen ist --, hatte die mittelalterliche "Kreditfrage" noch eine
ganze Reihe von Stufen auf- und absteigender Richtung zu überschreiten. Die
Aufhebung des kanonischen Zinsverbots, das ja, wie wir gesehen haben, schon
eine Menge von Ausnahmen zuließ, dürfte ungefähr dieselbe Bedeutung haben
wie in unsern Tagen die Herstellung der Bank- und Handelsfreiheit. Auch die
Motive, welche zu jener Aufhebung führten, weisen große Ähnlichkeit mit den
modernen Motiven zur Einführung der Handels- und Baufreiheit auf. Natürlich
war es aber in erster Linie die unter der Wirksamkeit der Ausnahmen vom
Zinsverbot selbst zu allmählichem Einfluß gelangte Geldmacht, die beim päpst¬
lichen Stuhl die volle Freiheit für ihre Beweglichkeit durchsetzte.

Denn so gewaltig, so beispiellos, wie es scheint, auch die Geldmacht im
modernen Leben auftritt, sie hat doch in allen ihren Erscheinungsweisen ihren
genauen Vorschein auch im Mittelalter, was die Beherrschung der leitenden
Faktoren des öffentlichen Lebens, den Einfluß auf die öffentliche Gesinnung und
selbstverständlich was den Gang der wirtschaftlichen Angelegenheiten betrifft.
Übrigens ähnelt auch das Wachstum der "Geldherren" des Mittelalters dem
der modernen ungemein. Wir wissen ja, daß die großen modernen Reichtümer
ihre Wurzel hauptsächlich im Münzwesen, in der Verschlechterung und Ver¬
fälschung der Münzen hatten; das Zinswucherwesen schloß sich daran erst an.
Die Geschichte des Münzwesens im Mittelalter ist aber eigentlich nur eine Ge¬
schichte der Münzverschlechterung und Münzverwirrung. So wuchsen denn auch
die mittelalterlichen Geldherren aus dem Münzwesen, aus den Münzgilden, den
sogenannten "Münzhausgenossenschaften," heraus. In den meisten größern
Städten war nämlich das Münzrecht ursprünglich an die Goldschmiede in Erb¬
pacht gegeben. Diese Verpachtung gab hier zunächst den Anlaß zur Bildung
von Genossenschaften, ebenso zum Zweck des gemeinsamen vorteilhafterer Metall-
eiukaufes als zur Wahrung sonstiger Interessen. Diese Genossenschaften, die
zum Teil anfänglich unter einem Hofbeamten standen und dem fürstlichen Hof¬
gesinde zugezählt wurden, gelangten dann mit Zunahme ihrer Wohlhabenheit
ebenso wie andre Hörige oder Ministerialgenossenschaften immer mehr zur Selb¬
ständigkeit, und von der alten Abhängigkeit blieb uur noch, daß sie durch ihren
Münzmeister das Münzrecht zu Lehen nahmen; die Genossen selbst nannten sich
dann vielfach Münzjuuker. Da die Lehen sehr bald in den Genossenschafts-
familicn blieben, wie deun in manchen Orten diese Genossenschaften früh zu


Glossen zu den modernen Kreditbestrebungen.

mehr als 10 Prozent Zins zu verlangen; die Christen erwähnt er in seiner
Verordnung nicht, da er nichts gegen das kanonische Recht thun wollte. Das
kanonische Zinsverbot wurde freilich zuletzt von gar niemand mehr beachtet und
im Jahre 1425 durch Papst Martin förmlich aufgehoben.

Bevor man indeß zu dieser letzter« Maßnahme gelangte — einer Ma߬
nahme, die ohne Zweifel für die praktische Bedeutung des kanonischen Rechts
und für den kirchlichen Einfluß auf bürgerliche Verhältnisse von verhängnis¬
vollen Einfluß gewesen ist —, hatte die mittelalterliche „Kreditfrage" noch eine
ganze Reihe von Stufen auf- und absteigender Richtung zu überschreiten. Die
Aufhebung des kanonischen Zinsverbots, das ja, wie wir gesehen haben, schon
eine Menge von Ausnahmen zuließ, dürfte ungefähr dieselbe Bedeutung haben
wie in unsern Tagen die Herstellung der Bank- und Handelsfreiheit. Auch die
Motive, welche zu jener Aufhebung führten, weisen große Ähnlichkeit mit den
modernen Motiven zur Einführung der Handels- und Baufreiheit auf. Natürlich
war es aber in erster Linie die unter der Wirksamkeit der Ausnahmen vom
Zinsverbot selbst zu allmählichem Einfluß gelangte Geldmacht, die beim päpst¬
lichen Stuhl die volle Freiheit für ihre Beweglichkeit durchsetzte.

Denn so gewaltig, so beispiellos, wie es scheint, auch die Geldmacht im
modernen Leben auftritt, sie hat doch in allen ihren Erscheinungsweisen ihren
genauen Vorschein auch im Mittelalter, was die Beherrschung der leitenden
Faktoren des öffentlichen Lebens, den Einfluß auf die öffentliche Gesinnung und
selbstverständlich was den Gang der wirtschaftlichen Angelegenheiten betrifft.
Übrigens ähnelt auch das Wachstum der „Geldherren" des Mittelalters dem
der modernen ungemein. Wir wissen ja, daß die großen modernen Reichtümer
ihre Wurzel hauptsächlich im Münzwesen, in der Verschlechterung und Ver¬
fälschung der Münzen hatten; das Zinswucherwesen schloß sich daran erst an.
Die Geschichte des Münzwesens im Mittelalter ist aber eigentlich nur eine Ge¬
schichte der Münzverschlechterung und Münzverwirrung. So wuchsen denn auch
die mittelalterlichen Geldherren aus dem Münzwesen, aus den Münzgilden, den
sogenannten „Münzhausgenossenschaften," heraus. In den meisten größern
Städten war nämlich das Münzrecht ursprünglich an die Goldschmiede in Erb¬
pacht gegeben. Diese Verpachtung gab hier zunächst den Anlaß zur Bildung
von Genossenschaften, ebenso zum Zweck des gemeinsamen vorteilhafterer Metall-
eiukaufes als zur Wahrung sonstiger Interessen. Diese Genossenschaften, die
zum Teil anfänglich unter einem Hofbeamten standen und dem fürstlichen Hof¬
gesinde zugezählt wurden, gelangten dann mit Zunahme ihrer Wohlhabenheit
ebenso wie andre Hörige oder Ministerialgenossenschaften immer mehr zur Selb¬
ständigkeit, und von der alten Abhängigkeit blieb uur noch, daß sie durch ihren
Münzmeister das Münzrecht zu Lehen nahmen; die Genossen selbst nannten sich
dann vielfach Münzjuuker. Da die Lehen sehr bald in den Genossenschafts-
familicn blieben, wie deun in manchen Orten diese Genossenschaften früh zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/282>, abgerufen am 08.09.2024.