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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Münchner Februarunruhen des Jahres I.3H3.

unausbleibliche Ängstlichkeit und Befangenheit würde der Geschworne dem Berufs¬
richter gegenüber in Nachteil versetzt sein, wenn sonst von einer gleichen Tüchtig¬
keit beider geredet werden könnte.

Um nicht einseitig zu erscheinen, kann man allerdings zugeben, daß in der
Rechtspflege, wie in allen Berufen, die Routine für manche Charaktere die
Gefahr eines gewissen Leichtnehmens mit sich bringt. Es wäre aber handgreif¬
liche Sophisterei, daraus zu folgern, daß überall der Ungeübte dem Routinirten
vorzuziehen sei. Im praktischen Leben handelt kein Mensch darnach. Jedermann
geht davon aus, daß schon die in der Routine selbst liegenden sichern Vorteile
ihren möglichen Nachteil weitaus überwiege". Noch viel weniger kann dieser
in Betracht kommen, wo ihm, wie bei unsrer Frage, ein so unendliches Über¬
gewicht anderweiter Vorzüge auf feiten des Routimrteu gegenübersteht.

(Schluß folgt.)




Die Münchner Februarunruhen des Jahres ^8H8.
Nach einem zeitgenössischen Bericht.

en deutschen Revolutionen des Jahres 1848 ging in München
ein eigentümliches Vorspiel voraus. Jedermann weiß, wie un¬
heilvoll die unselige Neigung König Ludwigs I. zu der reizenden
Tänzerin Lota Montez für diesen trefflichen Monarchen geworden
^ ist, und welchen Einfluß das Schicksal jener Abenteurerin auf den
Gang der Dinge in Baiern gehabt hat. Das Urteil aber, welches über die
Februarunruhen jenes Jahres ausgesprochen wird, geteilt je nach dem politischen
Standpunkte, welchen die verschiedenen Beurteiler einnehmen, bedarf noch einer ent-
schiedenen Klärung. Zunächst dürfte die Meinung derjenigen, welche in der Vertrei¬
bung der Tänzerin einen Sieg der guten Sitte und der strengen Moral zu erkennen
glaubten und noch glauben, als eine falsche zurückzuweisen sein. Von einer Ver¬
letzung der Moral durch den König kann für Billigdenkende nach dessen unumwun¬
dener, auf Ehrenwort abgegebenen Erklärung an Diepenbrock nicht mehr die Rede
sein.*) Ebensowenig aber vermögen wir denjenigen beizustimmen, die in der "Ko¬
mödie Lota" nichts weiter als das Sathrspiel zu der großen Tragödie des Jahres



Vergl. I. H. Reinkens, Melchior voll Diepenbrock. Leipzig, 1881. S. 3S8.
Die Münchner Februarunruhen des Jahres I.3H3.

unausbleibliche Ängstlichkeit und Befangenheit würde der Geschworne dem Berufs¬
richter gegenüber in Nachteil versetzt sein, wenn sonst von einer gleichen Tüchtig¬
keit beider geredet werden könnte.

Um nicht einseitig zu erscheinen, kann man allerdings zugeben, daß in der
Rechtspflege, wie in allen Berufen, die Routine für manche Charaktere die
Gefahr eines gewissen Leichtnehmens mit sich bringt. Es wäre aber handgreif¬
liche Sophisterei, daraus zu folgern, daß überall der Ungeübte dem Routinirten
vorzuziehen sei. Im praktischen Leben handelt kein Mensch darnach. Jedermann
geht davon aus, daß schon die in der Routine selbst liegenden sichern Vorteile
ihren möglichen Nachteil weitaus überwiege». Noch viel weniger kann dieser
in Betracht kommen, wo ihm, wie bei unsrer Frage, ein so unendliches Über¬
gewicht anderweiter Vorzüge auf feiten des Routimrteu gegenübersteht.

(Schluß folgt.)




Die Münchner Februarunruhen des Jahres ^8H8.
Nach einem zeitgenössischen Bericht.

en deutschen Revolutionen des Jahres 1848 ging in München
ein eigentümliches Vorspiel voraus. Jedermann weiß, wie un¬
heilvoll die unselige Neigung König Ludwigs I. zu der reizenden
Tänzerin Lota Montez für diesen trefflichen Monarchen geworden
^ ist, und welchen Einfluß das Schicksal jener Abenteurerin auf den
Gang der Dinge in Baiern gehabt hat. Das Urteil aber, welches über die
Februarunruhen jenes Jahres ausgesprochen wird, geteilt je nach dem politischen
Standpunkte, welchen die verschiedenen Beurteiler einnehmen, bedarf noch einer ent-
schiedenen Klärung. Zunächst dürfte die Meinung derjenigen, welche in der Vertrei¬
bung der Tänzerin einen Sieg der guten Sitte und der strengen Moral zu erkennen
glaubten und noch glauben, als eine falsche zurückzuweisen sein. Von einer Ver¬
letzung der Moral durch den König kann für Billigdenkende nach dessen unumwun¬
dener, auf Ehrenwort abgegebenen Erklärung an Diepenbrock nicht mehr die Rede
sein.*) Ebensowenig aber vermögen wir denjenigen beizustimmen, die in der „Ko¬
mödie Lota" nichts weiter als das Sathrspiel zu der großen Tragödie des Jahres



Vergl. I. H. Reinkens, Melchior voll Diepenbrock. Leipzig, 1881. S. 3S8.
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[0028] Die Münchner Februarunruhen des Jahres I.3H3. unausbleibliche Ängstlichkeit und Befangenheit würde der Geschworne dem Berufs¬ richter gegenüber in Nachteil versetzt sein, wenn sonst von einer gleichen Tüchtig¬ keit beider geredet werden könnte. Um nicht einseitig zu erscheinen, kann man allerdings zugeben, daß in der Rechtspflege, wie in allen Berufen, die Routine für manche Charaktere die Gefahr eines gewissen Leichtnehmens mit sich bringt. Es wäre aber handgreif¬ liche Sophisterei, daraus zu folgern, daß überall der Ungeübte dem Routinirten vorzuziehen sei. Im praktischen Leben handelt kein Mensch darnach. Jedermann geht davon aus, daß schon die in der Routine selbst liegenden sichern Vorteile ihren möglichen Nachteil weitaus überwiege». Noch viel weniger kann dieser in Betracht kommen, wo ihm, wie bei unsrer Frage, ein so unendliches Über¬ gewicht anderweiter Vorzüge auf feiten des Routimrteu gegenübersteht. (Schluß folgt.) Die Münchner Februarunruhen des Jahres ^8H8. Nach einem zeitgenössischen Bericht. en deutschen Revolutionen des Jahres 1848 ging in München ein eigentümliches Vorspiel voraus. Jedermann weiß, wie un¬ heilvoll die unselige Neigung König Ludwigs I. zu der reizenden Tänzerin Lota Montez für diesen trefflichen Monarchen geworden ^ ist, und welchen Einfluß das Schicksal jener Abenteurerin auf den Gang der Dinge in Baiern gehabt hat. Das Urteil aber, welches über die Februarunruhen jenes Jahres ausgesprochen wird, geteilt je nach dem politischen Standpunkte, welchen die verschiedenen Beurteiler einnehmen, bedarf noch einer ent- schiedenen Klärung. Zunächst dürfte die Meinung derjenigen, welche in der Vertrei¬ bung der Tänzerin einen Sieg der guten Sitte und der strengen Moral zu erkennen glaubten und noch glauben, als eine falsche zurückzuweisen sein. Von einer Ver¬ letzung der Moral durch den König kann für Billigdenkende nach dessen unumwun¬ dener, auf Ehrenwort abgegebenen Erklärung an Diepenbrock nicht mehr die Rede sein.*) Ebensowenig aber vermögen wir denjenigen beizustimmen, die in der „Ko¬ mödie Lota" nichts weiter als das Sathrspiel zu der großen Tragödie des Jahres Vergl. I. H. Reinkens, Melchior voll Diepenbrock. Leipzig, 1881. S. 3S8.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/28>, abgerufen am 08.09.2024.