Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gngeres und weiteres.

deutschen Reich die so schnell geweckte Eifersucht der Stämme durch weise Scho¬
nung der Bundesgenossen allmählich zurückzudrängen; die es auch versteht, den
preußischen Partikularismus mit deutschem Geiste zu tränken und nicht da durch
Hochmut zu verletzen, wo durch verständige Zurückhaltung die Herzen gewonnen
werden können. Noch bedürfen wir des scharfen Blickes, der jedes Wölkchen
am politischem Himmel Europas zu beobachten versteht und sich von der Wetter-
konstellntion nicht überraschen läßt. Jedoch dem Kühnen hilft das Glück, und
so mögen auch diejenigen Staatsmänner denken, welche das politische Erbe des
Kanzlers antreten wollen, zumal sie sich ja mit der Hoffnung schmeicheln, im
Parlament eine willigere Gefolgschaft zu finden, als sie gegenwärtig zur Ver¬
fügung der Regierung steht, vorausgesetzt, daß sie imstande sein werden, alle
die ehrgeizigen Wünsche ihrer Freunde zu befriedigen.

Fragen wir, worin die Opposition die diplomatischen Schlappen, die der
Kanzler erlitten haben soll, erblickt, so brauchen wir nur irgend ein fortschritt¬
liches oder sezessionistisches Blatt vorzunehmen, um sofort die beiden schwarzen
Punkte zu erkennen. Es sind: der Kampf mit Rom und die Handelsverträge.
Der "Vatikan" und der Noiütcmr av Roms können sich bessere Bundesgenossen
garnicht wünschen als unsre Oppvsitionsblätter, wenn es gilt, die Regierung des
Reichs zu verkleinern und herabzusetzen.

Es kann min ganz außer Acht bleiben, welche besondern Vorteile die liberalen
Parteien aus dem Kulturkampf gezogen haben. Von Luthers Zeiten her fühlt
sich jedes Protestantische Gemüt hoch erregt, gegen Rom und das Papsttum zu
kämpfe", und so hoch ist die Kampfesfreude und die Lust, daß über dem per¬
sönlichen Mut oft die Feldherrnkunst vergessen und übersehen wird, wie mächtig
und befestigt die Position des Feindes ist. Wir sind der Meinung, daß die
Mittel, mit welchen der Kulturkampf in Preußen geführt worden ist, nicht ge¬
eignet waren, für immer die Beseitigung des römischen Einflusses in Deutsch¬
land zu bewirken, daß es verkehrt war, zu hoffen, es werde das katholische Volk
auf die Seite der Regierung treten, wenn man es durch Versagung der reli¬
giösen Spenden zwingen würde, daß es thöricht war, zu glauben, es werde der
Vatikan bemüht sein, die geistliche Not seiner Glaubensbrüder zu lindern. Mit
solchen kleinen Mitteln rechnet man in Rom nicht. Die katholische Kirche hat
im Mittelalter Jahrzehnte lang das Interdikt über ganze Städte und Länder
verhängt, bloß um einzelne widerspenstige Fürsten zu zwingen; die Gewissensnot
der Völker hat dabei nie eine Rolle gespielt. Diese Politik herrscht auch heute
noch in der leoninischen Stadt. Nicht die Kirche, sondern der Staat mußte sich
zuletzt der religiösen Bedrängnisse seiner Angehörigen erbarmen, und deshalb war
es nicht richtig, daß man dnrch die Verbote des Messelesens und Sakramcnte-
spendens solche Bedrängnisse möglich machte. Aber nichtsdestoweniger würde
der Kampf gegen die Kurie keine Unterbrechung erlitten haben und die Aus-
einandersetzung des protestantischen Kaisertums mit Rom eine endgiltige geworden


Gngeres und weiteres.

deutschen Reich die so schnell geweckte Eifersucht der Stämme durch weise Scho¬
nung der Bundesgenossen allmählich zurückzudrängen; die es auch versteht, den
preußischen Partikularismus mit deutschem Geiste zu tränken und nicht da durch
Hochmut zu verletzen, wo durch verständige Zurückhaltung die Herzen gewonnen
werden können. Noch bedürfen wir des scharfen Blickes, der jedes Wölkchen
am politischem Himmel Europas zu beobachten versteht und sich von der Wetter-
konstellntion nicht überraschen läßt. Jedoch dem Kühnen hilft das Glück, und
so mögen auch diejenigen Staatsmänner denken, welche das politische Erbe des
Kanzlers antreten wollen, zumal sie sich ja mit der Hoffnung schmeicheln, im
Parlament eine willigere Gefolgschaft zu finden, als sie gegenwärtig zur Ver¬
fügung der Regierung steht, vorausgesetzt, daß sie imstande sein werden, alle
die ehrgeizigen Wünsche ihrer Freunde zu befriedigen.

Fragen wir, worin die Opposition die diplomatischen Schlappen, die der
Kanzler erlitten haben soll, erblickt, so brauchen wir nur irgend ein fortschritt¬
liches oder sezessionistisches Blatt vorzunehmen, um sofort die beiden schwarzen
Punkte zu erkennen. Es sind: der Kampf mit Rom und die Handelsverträge.
Der „Vatikan" und der Noiütcmr av Roms können sich bessere Bundesgenossen
garnicht wünschen als unsre Oppvsitionsblätter, wenn es gilt, die Regierung des
Reichs zu verkleinern und herabzusetzen.

Es kann min ganz außer Acht bleiben, welche besondern Vorteile die liberalen
Parteien aus dem Kulturkampf gezogen haben. Von Luthers Zeiten her fühlt
sich jedes Protestantische Gemüt hoch erregt, gegen Rom und das Papsttum zu
kämpfe», und so hoch ist die Kampfesfreude und die Lust, daß über dem per¬
sönlichen Mut oft die Feldherrnkunst vergessen und übersehen wird, wie mächtig
und befestigt die Position des Feindes ist. Wir sind der Meinung, daß die
Mittel, mit welchen der Kulturkampf in Preußen geführt worden ist, nicht ge¬
eignet waren, für immer die Beseitigung des römischen Einflusses in Deutsch¬
land zu bewirken, daß es verkehrt war, zu hoffen, es werde das katholische Volk
auf die Seite der Regierung treten, wenn man es durch Versagung der reli¬
giösen Spenden zwingen würde, daß es thöricht war, zu glauben, es werde der
Vatikan bemüht sein, die geistliche Not seiner Glaubensbrüder zu lindern. Mit
solchen kleinen Mitteln rechnet man in Rom nicht. Die katholische Kirche hat
im Mittelalter Jahrzehnte lang das Interdikt über ganze Städte und Länder
verhängt, bloß um einzelne widerspenstige Fürsten zu zwingen; die Gewissensnot
der Völker hat dabei nie eine Rolle gespielt. Diese Politik herrscht auch heute
noch in der leoninischen Stadt. Nicht die Kirche, sondern der Staat mußte sich
zuletzt der religiösen Bedrängnisse seiner Angehörigen erbarmen, und deshalb war
es nicht richtig, daß man dnrch die Verbote des Messelesens und Sakramcnte-
spendens solche Bedrängnisse möglich machte. Aber nichtsdestoweniger würde
der Kampf gegen die Kurie keine Unterbrechung erlitten haben und die Aus-
einandersetzung des protestantischen Kaisertums mit Rom eine endgiltige geworden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153721"/>
          <fw type="header" place="top"> Gngeres und weiteres.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1194" prev="#ID_1193"> deutschen Reich die so schnell geweckte Eifersucht der Stämme durch weise Scho¬<lb/>
nung der Bundesgenossen allmählich zurückzudrängen; die es auch versteht, den<lb/>
preußischen Partikularismus mit deutschem Geiste zu tränken und nicht da durch<lb/>
Hochmut zu verletzen, wo durch verständige Zurückhaltung die Herzen gewonnen<lb/>
werden können. Noch bedürfen wir des scharfen Blickes, der jedes Wölkchen<lb/>
am politischem Himmel Europas zu beobachten versteht und sich von der Wetter-<lb/>
konstellntion nicht überraschen läßt. Jedoch dem Kühnen hilft das Glück, und<lb/>
so mögen auch diejenigen Staatsmänner denken, welche das politische Erbe des<lb/>
Kanzlers antreten wollen, zumal sie sich ja mit der Hoffnung schmeicheln, im<lb/>
Parlament eine willigere Gefolgschaft zu finden, als sie gegenwärtig zur Ver¬<lb/>
fügung der Regierung steht, vorausgesetzt, daß sie imstande sein werden, alle<lb/>
die ehrgeizigen Wünsche ihrer Freunde zu befriedigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1195"> Fragen wir, worin die Opposition die diplomatischen Schlappen, die der<lb/>
Kanzler erlitten haben soll, erblickt, so brauchen wir nur irgend ein fortschritt¬<lb/>
liches oder sezessionistisches Blatt vorzunehmen, um sofort die beiden schwarzen<lb/>
Punkte zu erkennen. Es sind: der Kampf mit Rom und die Handelsverträge.<lb/>
Der &#x201E;Vatikan" und der Noiütcmr av Roms können sich bessere Bundesgenossen<lb/>
garnicht wünschen als unsre Oppvsitionsblätter, wenn es gilt, die Regierung des<lb/>
Reichs zu verkleinern und herabzusetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1196" next="#ID_1197"> Es kann min ganz außer Acht bleiben, welche besondern Vorteile die liberalen<lb/>
Parteien aus dem Kulturkampf gezogen haben. Von Luthers Zeiten her fühlt<lb/>
sich jedes Protestantische Gemüt hoch erregt, gegen Rom und das Papsttum zu<lb/>
kämpfe», und so hoch ist die Kampfesfreude und die Lust, daß über dem per¬<lb/>
sönlichen Mut oft die Feldherrnkunst vergessen und übersehen wird, wie mächtig<lb/>
und befestigt die Position des Feindes ist. Wir sind der Meinung, daß die<lb/>
Mittel, mit welchen der Kulturkampf in Preußen geführt worden ist, nicht ge¬<lb/>
eignet waren, für immer die Beseitigung des römischen Einflusses in Deutsch¬<lb/>
land zu bewirken, daß es verkehrt war, zu hoffen, es werde das katholische Volk<lb/>
auf die Seite der Regierung treten, wenn man es durch Versagung der reli¬<lb/>
giösen Spenden zwingen würde, daß es thöricht war, zu glauben, es werde der<lb/>
Vatikan bemüht sein, die geistliche Not seiner Glaubensbrüder zu lindern. Mit<lb/>
solchen kleinen Mitteln rechnet man in Rom nicht. Die katholische Kirche hat<lb/>
im Mittelalter Jahrzehnte lang das Interdikt über ganze Städte und Länder<lb/>
verhängt, bloß um einzelne widerspenstige Fürsten zu zwingen; die Gewissensnot<lb/>
der Völker hat dabei nie eine Rolle gespielt. Diese Politik herrscht auch heute<lb/>
noch in der leoninischen Stadt. Nicht die Kirche, sondern der Staat mußte sich<lb/>
zuletzt der religiösen Bedrängnisse seiner Angehörigen erbarmen, und deshalb war<lb/>
es nicht richtig, daß man dnrch die Verbote des Messelesens und Sakramcnte-<lb/>
spendens solche Bedrängnisse möglich machte. Aber nichtsdestoweniger würde<lb/>
der Kampf gegen die Kurie keine Unterbrechung erlitten haben und die Aus-<lb/>
einandersetzung des protestantischen Kaisertums mit Rom eine endgiltige geworden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] Gngeres und weiteres. deutschen Reich die so schnell geweckte Eifersucht der Stämme durch weise Scho¬ nung der Bundesgenossen allmählich zurückzudrängen; die es auch versteht, den preußischen Partikularismus mit deutschem Geiste zu tränken und nicht da durch Hochmut zu verletzen, wo durch verständige Zurückhaltung die Herzen gewonnen werden können. Noch bedürfen wir des scharfen Blickes, der jedes Wölkchen am politischem Himmel Europas zu beobachten versteht und sich von der Wetter- konstellntion nicht überraschen läßt. Jedoch dem Kühnen hilft das Glück, und so mögen auch diejenigen Staatsmänner denken, welche das politische Erbe des Kanzlers antreten wollen, zumal sie sich ja mit der Hoffnung schmeicheln, im Parlament eine willigere Gefolgschaft zu finden, als sie gegenwärtig zur Ver¬ fügung der Regierung steht, vorausgesetzt, daß sie imstande sein werden, alle die ehrgeizigen Wünsche ihrer Freunde zu befriedigen. Fragen wir, worin die Opposition die diplomatischen Schlappen, die der Kanzler erlitten haben soll, erblickt, so brauchen wir nur irgend ein fortschritt¬ liches oder sezessionistisches Blatt vorzunehmen, um sofort die beiden schwarzen Punkte zu erkennen. Es sind: der Kampf mit Rom und die Handelsverträge. Der „Vatikan" und der Noiütcmr av Roms können sich bessere Bundesgenossen garnicht wünschen als unsre Oppvsitionsblätter, wenn es gilt, die Regierung des Reichs zu verkleinern und herabzusetzen. Es kann min ganz außer Acht bleiben, welche besondern Vorteile die liberalen Parteien aus dem Kulturkampf gezogen haben. Von Luthers Zeiten her fühlt sich jedes Protestantische Gemüt hoch erregt, gegen Rom und das Papsttum zu kämpfe», und so hoch ist die Kampfesfreude und die Lust, daß über dem per¬ sönlichen Mut oft die Feldherrnkunst vergessen und übersehen wird, wie mächtig und befestigt die Position des Feindes ist. Wir sind der Meinung, daß die Mittel, mit welchen der Kulturkampf in Preußen geführt worden ist, nicht ge¬ eignet waren, für immer die Beseitigung des römischen Einflusses in Deutsch¬ land zu bewirken, daß es verkehrt war, zu hoffen, es werde das katholische Volk auf die Seite der Regierung treten, wenn man es durch Versagung der reli¬ giösen Spenden zwingen würde, daß es thöricht war, zu glauben, es werde der Vatikan bemüht sein, die geistliche Not seiner Glaubensbrüder zu lindern. Mit solchen kleinen Mitteln rechnet man in Rom nicht. Die katholische Kirche hat im Mittelalter Jahrzehnte lang das Interdikt über ganze Städte und Länder verhängt, bloß um einzelne widerspenstige Fürsten zu zwingen; die Gewissensnot der Völker hat dabei nie eine Rolle gespielt. Diese Politik herrscht auch heute noch in der leoninischen Stadt. Nicht die Kirche, sondern der Staat mußte sich zuletzt der religiösen Bedrängnisse seiner Angehörigen erbarmen, und deshalb war es nicht richtig, daß man dnrch die Verbote des Messelesens und Sakramcnte- spendens solche Bedrängnisse möglich machte. Aber nichtsdestoweniger würde der Kampf gegen die Kurie keine Unterbrechung erlitten haben und die Aus- einandersetzung des protestantischen Kaisertums mit Rom eine endgiltige geworden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/274>, abgerufen am 08.09.2024.