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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Eindruck gearbeitet werden muß, der von solch entscheidenden Einfluß geworden
ist, daß selbst ein Manu wie Wagner die abenteuerlichsten Anstrengungen zu
mache" gezwungen war, um sich des günstigen Ausfalles derselben bei seine"
spätern Werke" zu versichern. Aber noch nicht genug! Um "ur ja "iemcmde"
durch allzu große Ansprüche an künstlerische Einsicht zu belästigen, ist schließlich
sogar die Musik als "selbständige Kunst" aus der Oper herausgewiesen worden,
und zwar von Wagner, der seiner Theorie zum Trotz den besten Teil seiner
Erfolge lediglich der Musik zu danken hat. Als wenn man nicht vielmehr die
Forderung so formuliren müßte, daß die Musik ihren Charakter als selbständige
Kunst mit den Forderungen des dramatischen Hergangs in Einklang zu setzen
habe, damit die kunstvolle Arbeit nicht als willkürliche Spielerei erscheine. Das
letztere ist das einzige, was vermieden werden muß. Kunstvolle Arbeit aber,
bis ins kleinste Detail vom Hauche wahrhafter Empfindung und individuellen
Lebens beseelt, ist das höchste Ideal, wonach der Künstler überhaupt strebe"
kann und streben soll. Zwar sind jn jene Ansichten über "Volkstümlichkeit"
sowohl wie über die Abschaffung der Musik als selbständige Kunst in der Oper
nichts weiter als "grane Theorien," aber die Beispiele, in denen sie sich nicht
bewährt haben, wenigstens nicht im Sinne ihrer Verfechter, sind doch so hünfig
und augenfällig, daß es an der Zeit ist, die Ansichten wieder mit den That¬
sache" i" Einklang zu bringen und einige Schlagwörter ansznrangiren, welche
nicht nur das Publikum präokknpiren, sondern auch Künstler irreleiten, indem
sie deren Aufmerksamkeit auf Dinge konzentriren, die nnr dann nützlich werdeu
können, wenn sie höchstens nebenbei mit in Erwägung gezogen werden.

Die von Weber angeschlage"e Ader hat sich übrigens sehr ergiebig erwiese",
den" die Volkssage ist bis auf unsre Tage das Hanptreservoir gebliebe", aus
welchem die Operustoffe geschöpft wurden.

Zur Vervollständigung des Überblickes über die Wandlungen der Opern-
dichtuug sei noch erwähnt, daß der Kreis der Ideen, welchen sie durchlaufen,
in der sogenannten historischen Oper, die hauptsächlich in der große" Oper in
Paris gepflegt wurde, eine abschließende Ergänzung erfahren hat, sodaß der¬
jenige, welcher abermals auf Entdeckung neuer Gebiete für Operustoffe ausgehen
wollte, in dieselbe Verlegenheit geraten würde wie derjenige, welcher heutzutage
noch einmal Amerika entdecken wollte. Was einmal entdeckt ist, braucht man
nicht zum zweitenmal zu entdecken, wenigstens nicht eher, als bis es eine Zeit
lang in Vergessenheit gewesen. Auch hat das Entdecken ne"er Kunstgebiete große
Ähnlichkeit mit dem Verlieben -- es läßt sich nicht nach einem vorgefaßten
Plane bewerkstelligen. Derjenige, der etwas gefunden hat, merkt es selber erst
nachher.

Dn ist den" "un guter Rat teuer. Die extremen Wagnervcrehrer behaupten
mehr oder weniger kühn, mit dem Allkunstwerk der Zukunft, welches mittlerweile
sich glücklich verwirklicht habe, sei die Kunst überhaupt auf ihrem höchste" Punkt


Eindruck gearbeitet werden muß, der von solch entscheidenden Einfluß geworden
ist, daß selbst ein Manu wie Wagner die abenteuerlichsten Anstrengungen zu
mache» gezwungen war, um sich des günstigen Ausfalles derselben bei seine»
spätern Werke» zu versichern. Aber noch nicht genug! Um »ur ja »iemcmde»
durch allzu große Ansprüche an künstlerische Einsicht zu belästigen, ist schließlich
sogar die Musik als „selbständige Kunst" aus der Oper herausgewiesen worden,
und zwar von Wagner, der seiner Theorie zum Trotz den besten Teil seiner
Erfolge lediglich der Musik zu danken hat. Als wenn man nicht vielmehr die
Forderung so formuliren müßte, daß die Musik ihren Charakter als selbständige
Kunst mit den Forderungen des dramatischen Hergangs in Einklang zu setzen
habe, damit die kunstvolle Arbeit nicht als willkürliche Spielerei erscheine. Das
letztere ist das einzige, was vermieden werden muß. Kunstvolle Arbeit aber,
bis ins kleinste Detail vom Hauche wahrhafter Empfindung und individuellen
Lebens beseelt, ist das höchste Ideal, wonach der Künstler überhaupt strebe»
kann und streben soll. Zwar sind jn jene Ansichten über „Volkstümlichkeit"
sowohl wie über die Abschaffung der Musik als selbständige Kunst in der Oper
nichts weiter als „grane Theorien," aber die Beispiele, in denen sie sich nicht
bewährt haben, wenigstens nicht im Sinne ihrer Verfechter, sind doch so hünfig
und augenfällig, daß es an der Zeit ist, die Ansichten wieder mit den That¬
sache» i» Einklang zu bringen und einige Schlagwörter ansznrangiren, welche
nicht nur das Publikum präokknpiren, sondern auch Künstler irreleiten, indem
sie deren Aufmerksamkeit auf Dinge konzentriren, die nnr dann nützlich werdeu
können, wenn sie höchstens nebenbei mit in Erwägung gezogen werden.

Die von Weber angeschlage»e Ader hat sich übrigens sehr ergiebig erwiese»,
den» die Volkssage ist bis auf unsre Tage das Hanptreservoir gebliebe», aus
welchem die Operustoffe geschöpft wurden.

Zur Vervollständigung des Überblickes über die Wandlungen der Opern-
dichtuug sei noch erwähnt, daß der Kreis der Ideen, welchen sie durchlaufen,
in der sogenannten historischen Oper, die hauptsächlich in der große» Oper in
Paris gepflegt wurde, eine abschließende Ergänzung erfahren hat, sodaß der¬
jenige, welcher abermals auf Entdeckung neuer Gebiete für Operustoffe ausgehen
wollte, in dieselbe Verlegenheit geraten würde wie derjenige, welcher heutzutage
noch einmal Amerika entdecken wollte. Was einmal entdeckt ist, braucht man
nicht zum zweitenmal zu entdecken, wenigstens nicht eher, als bis es eine Zeit
lang in Vergessenheit gewesen. Auch hat das Entdecken ne»er Kunstgebiete große
Ähnlichkeit mit dem Verlieben — es läßt sich nicht nach einem vorgefaßten
Plane bewerkstelligen. Derjenige, der etwas gefunden hat, merkt es selber erst
nachher.

Dn ist den» »un guter Rat teuer. Die extremen Wagnervcrehrer behaupten
mehr oder weniger kühn, mit dem Allkunstwerk der Zukunft, welches mittlerweile
sich glücklich verwirklicht habe, sei die Kunst überhaupt auf ihrem höchste» Punkt


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[0239] Eindruck gearbeitet werden muß, der von solch entscheidenden Einfluß geworden ist, daß selbst ein Manu wie Wagner die abenteuerlichsten Anstrengungen zu mache» gezwungen war, um sich des günstigen Ausfalles derselben bei seine» spätern Werke» zu versichern. Aber noch nicht genug! Um »ur ja »iemcmde» durch allzu große Ansprüche an künstlerische Einsicht zu belästigen, ist schließlich sogar die Musik als „selbständige Kunst" aus der Oper herausgewiesen worden, und zwar von Wagner, der seiner Theorie zum Trotz den besten Teil seiner Erfolge lediglich der Musik zu danken hat. Als wenn man nicht vielmehr die Forderung so formuliren müßte, daß die Musik ihren Charakter als selbständige Kunst mit den Forderungen des dramatischen Hergangs in Einklang zu setzen habe, damit die kunstvolle Arbeit nicht als willkürliche Spielerei erscheine. Das letztere ist das einzige, was vermieden werden muß. Kunstvolle Arbeit aber, bis ins kleinste Detail vom Hauche wahrhafter Empfindung und individuellen Lebens beseelt, ist das höchste Ideal, wonach der Künstler überhaupt strebe» kann und streben soll. Zwar sind jn jene Ansichten über „Volkstümlichkeit" sowohl wie über die Abschaffung der Musik als selbständige Kunst in der Oper nichts weiter als „grane Theorien," aber die Beispiele, in denen sie sich nicht bewährt haben, wenigstens nicht im Sinne ihrer Verfechter, sind doch so hünfig und augenfällig, daß es an der Zeit ist, die Ansichten wieder mit den That¬ sache» i» Einklang zu bringen und einige Schlagwörter ansznrangiren, welche nicht nur das Publikum präokknpiren, sondern auch Künstler irreleiten, indem sie deren Aufmerksamkeit auf Dinge konzentriren, die nnr dann nützlich werdeu können, wenn sie höchstens nebenbei mit in Erwägung gezogen werden. Die von Weber angeschlage»e Ader hat sich übrigens sehr ergiebig erwiese», den» die Volkssage ist bis auf unsre Tage das Hanptreservoir gebliebe», aus welchem die Operustoffe geschöpft wurden. Zur Vervollständigung des Überblickes über die Wandlungen der Opern- dichtuug sei noch erwähnt, daß der Kreis der Ideen, welchen sie durchlaufen, in der sogenannten historischen Oper, die hauptsächlich in der große» Oper in Paris gepflegt wurde, eine abschließende Ergänzung erfahren hat, sodaß der¬ jenige, welcher abermals auf Entdeckung neuer Gebiete für Operustoffe ausgehen wollte, in dieselbe Verlegenheit geraten würde wie derjenige, welcher heutzutage noch einmal Amerika entdecken wollte. Was einmal entdeckt ist, braucht man nicht zum zweitenmal zu entdecken, wenigstens nicht eher, als bis es eine Zeit lang in Vergessenheit gewesen. Auch hat das Entdecken ne»er Kunstgebiete große Ähnlichkeit mit dem Verlieben — es läßt sich nicht nach einem vorgefaßten Plane bewerkstelligen. Derjenige, der etwas gefunden hat, merkt es selber erst nachher. Dn ist den» »un guter Rat teuer. Die extremen Wagnervcrehrer behaupten mehr oder weniger kühn, mit dem Allkunstwerk der Zukunft, welches mittlerweile sich glücklich verwirklicht habe, sei die Kunst überhaupt auf ihrem höchste» Punkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/239>, abgerufen am 08.09.2024.