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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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auf neue Ziele findet, sobald nur der eigne Schaffensdrang von der rechten
Art ist.

Es gab eine Zeit, da fragte man bei einer Oper nicht viel darnach, ob
die Handlung interessant sei. Man war zufrieden, wenn sie den Sängern für
ihre Leistungen eine passende Unterlage gewährte. Dann kam Gluck, und be¬
kämpfte diese Halbheit in Wort und That, indem er für den Text eine größere
Bedeutung verlangte und die Forderung aufstellte, daß die Musik sich eng an
die Worte anschließen und unnötiges Beiwerk vermeiden sollte. Mozart wiederum
-- in Bezug auf Charakteristik der Personen neu und schöpferisch -- nahm es
mit jenen Gluckschen Anforderungen nicht fehr genau, obschon er darin recht
gut Bescheid wußte. Zwischen Szenen von unübertrefflicher dramatischer Wahrheit
schrieb er gelegentlich aus purer Nachgiebigkeit zu Gunsten einzelner Gesangs¬
virtuosen Arien in seine Opern hinein, die jede poetische Stimmung geradezu
vernichten. Der musikalische Erfolg seiner Opern war aber so groß, daß man
sich wieder der Ansicht zuneigte, der Text und die von Gluck so hochgestellte
Harmonie zwischen Wort und Musik in der Oper sei Nebensache, wenn nur die
Musik schön sei. Man hat dies gerade bei den Mozartschen Opern mit einer
solchen Geflissentlichkeit immer betont, daß dadurch die Texte zu diesen Opern
in einen viel schlimmern Ruf gekommen sind, als sie verdienen.

Wir können also bereits die dritte Variation der allgemeinen Ansicht über
die Bedeutung des Textes in der Oper verzeichnen. Ein Beweis für die Herr¬
schaft der durch Mozarts Opern hervorgerufenen Meinung ist nach meinem
Dafürhalten anch das Schicksal, welches Beethovens Fideliv erfahren mußte.
Fidelio verlangt entschieden Interesse für die der Handlung zu Grunde liegende
Idee, und erst von dieser ans gewinnt man auch die richtige Fühlung mit der
Schönheit der Musik. Für den Inhalt des Textes war man aber uicht gewöhnt
sich zu interessiren, und an rein musikalischen Genüssen bietet Fidelio entschieden
weniger als eine Mozartsche Oper -- kein Wunder, daß das Publikum anfangs
von Fidelio enttäuscht war. Als man später herausgefunden hatte, wie man
diese Oper auffassen müsse, sand man sie freilich nicht mehr langweilig, auch
den Text nicht; was aber das Ganze interessant machte, war etwas neues,
ein bis dahin in dieser Stärke noch nicht aufgetretenes Moment, nämlich die
subjektive Begeisterung und Wärme, mit der Beethoven diese Oper gleichsam wie
ein persönliches Bekenntnis seines mnersien Seelenlebens geschrieben hatte.
Mozart hat das in der Zauberflöte zwar auch gethan, allein die verklärte
allgemeine Menschenliebe des Sarastro ragt erhaben und hoch empor über den
Kampf menschlicher Leidenschaften, den meisten überhaupt mir ein leerer Schall
und dem wahren Wesen nach unverständlich, während das von Beethoven im
Fideliv behandelte Thema mitten im Strome mensclüicheu Lebens steht, und
einem weit zahlreichern Publikum verständlich und als ein Ideal des Kompo-
nisten erkennbar ist. Hätte Beethoven noch mehr Opern komponirt, so wäre


auf neue Ziele findet, sobald nur der eigne Schaffensdrang von der rechten
Art ist.

Es gab eine Zeit, da fragte man bei einer Oper nicht viel darnach, ob
die Handlung interessant sei. Man war zufrieden, wenn sie den Sängern für
ihre Leistungen eine passende Unterlage gewährte. Dann kam Gluck, und be¬
kämpfte diese Halbheit in Wort und That, indem er für den Text eine größere
Bedeutung verlangte und die Forderung aufstellte, daß die Musik sich eng an
die Worte anschließen und unnötiges Beiwerk vermeiden sollte. Mozart wiederum
— in Bezug auf Charakteristik der Personen neu und schöpferisch — nahm es
mit jenen Gluckschen Anforderungen nicht fehr genau, obschon er darin recht
gut Bescheid wußte. Zwischen Szenen von unübertrefflicher dramatischer Wahrheit
schrieb er gelegentlich aus purer Nachgiebigkeit zu Gunsten einzelner Gesangs¬
virtuosen Arien in seine Opern hinein, die jede poetische Stimmung geradezu
vernichten. Der musikalische Erfolg seiner Opern war aber so groß, daß man
sich wieder der Ansicht zuneigte, der Text und die von Gluck so hochgestellte
Harmonie zwischen Wort und Musik in der Oper sei Nebensache, wenn nur die
Musik schön sei. Man hat dies gerade bei den Mozartschen Opern mit einer
solchen Geflissentlichkeit immer betont, daß dadurch die Texte zu diesen Opern
in einen viel schlimmern Ruf gekommen sind, als sie verdienen.

Wir können also bereits die dritte Variation der allgemeinen Ansicht über
die Bedeutung des Textes in der Oper verzeichnen. Ein Beweis für die Herr¬
schaft der durch Mozarts Opern hervorgerufenen Meinung ist nach meinem
Dafürhalten anch das Schicksal, welches Beethovens Fideliv erfahren mußte.
Fidelio verlangt entschieden Interesse für die der Handlung zu Grunde liegende
Idee, und erst von dieser ans gewinnt man auch die richtige Fühlung mit der
Schönheit der Musik. Für den Inhalt des Textes war man aber uicht gewöhnt
sich zu interessiren, und an rein musikalischen Genüssen bietet Fidelio entschieden
weniger als eine Mozartsche Oper — kein Wunder, daß das Publikum anfangs
von Fidelio enttäuscht war. Als man später herausgefunden hatte, wie man
diese Oper auffassen müsse, sand man sie freilich nicht mehr langweilig, auch
den Text nicht; was aber das Ganze interessant machte, war etwas neues,
ein bis dahin in dieser Stärke noch nicht aufgetretenes Moment, nämlich die
subjektive Begeisterung und Wärme, mit der Beethoven diese Oper gleichsam wie
ein persönliches Bekenntnis seines mnersien Seelenlebens geschrieben hatte.
Mozart hat das in der Zauberflöte zwar auch gethan, allein die verklärte
allgemeine Menschenliebe des Sarastro ragt erhaben und hoch empor über den
Kampf menschlicher Leidenschaften, den meisten überhaupt mir ein leerer Schall
und dem wahren Wesen nach unverständlich, während das von Beethoven im
Fideliv behandelte Thema mitten im Strome mensclüicheu Lebens steht, und
einem weit zahlreichern Publikum verständlich und als ein Ideal des Kompo-
nisten erkennbar ist. Hätte Beethoven noch mehr Opern komponirt, so wäre


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[0237] auf neue Ziele findet, sobald nur der eigne Schaffensdrang von der rechten Art ist. Es gab eine Zeit, da fragte man bei einer Oper nicht viel darnach, ob die Handlung interessant sei. Man war zufrieden, wenn sie den Sängern für ihre Leistungen eine passende Unterlage gewährte. Dann kam Gluck, und be¬ kämpfte diese Halbheit in Wort und That, indem er für den Text eine größere Bedeutung verlangte und die Forderung aufstellte, daß die Musik sich eng an die Worte anschließen und unnötiges Beiwerk vermeiden sollte. Mozart wiederum — in Bezug auf Charakteristik der Personen neu und schöpferisch — nahm es mit jenen Gluckschen Anforderungen nicht fehr genau, obschon er darin recht gut Bescheid wußte. Zwischen Szenen von unübertrefflicher dramatischer Wahrheit schrieb er gelegentlich aus purer Nachgiebigkeit zu Gunsten einzelner Gesangs¬ virtuosen Arien in seine Opern hinein, die jede poetische Stimmung geradezu vernichten. Der musikalische Erfolg seiner Opern war aber so groß, daß man sich wieder der Ansicht zuneigte, der Text und die von Gluck so hochgestellte Harmonie zwischen Wort und Musik in der Oper sei Nebensache, wenn nur die Musik schön sei. Man hat dies gerade bei den Mozartschen Opern mit einer solchen Geflissentlichkeit immer betont, daß dadurch die Texte zu diesen Opern in einen viel schlimmern Ruf gekommen sind, als sie verdienen. Wir können also bereits die dritte Variation der allgemeinen Ansicht über die Bedeutung des Textes in der Oper verzeichnen. Ein Beweis für die Herr¬ schaft der durch Mozarts Opern hervorgerufenen Meinung ist nach meinem Dafürhalten anch das Schicksal, welches Beethovens Fideliv erfahren mußte. Fidelio verlangt entschieden Interesse für die der Handlung zu Grunde liegende Idee, und erst von dieser ans gewinnt man auch die richtige Fühlung mit der Schönheit der Musik. Für den Inhalt des Textes war man aber uicht gewöhnt sich zu interessiren, und an rein musikalischen Genüssen bietet Fidelio entschieden weniger als eine Mozartsche Oper — kein Wunder, daß das Publikum anfangs von Fidelio enttäuscht war. Als man später herausgefunden hatte, wie man diese Oper auffassen müsse, sand man sie freilich nicht mehr langweilig, auch den Text nicht; was aber das Ganze interessant machte, war etwas neues, ein bis dahin in dieser Stärke noch nicht aufgetretenes Moment, nämlich die subjektive Begeisterung und Wärme, mit der Beethoven diese Oper gleichsam wie ein persönliches Bekenntnis seines mnersien Seelenlebens geschrieben hatte. Mozart hat das in der Zauberflöte zwar auch gethan, allein die verklärte allgemeine Menschenliebe des Sarastro ragt erhaben und hoch empor über den Kampf menschlicher Leidenschaften, den meisten überhaupt mir ein leerer Schall und dem wahren Wesen nach unverständlich, während das von Beethoven im Fideliv behandelte Thema mitten im Strome mensclüicheu Lebens steht, und einem weit zahlreichern Publikum verständlich und als ein Ideal des Kompo- nisten erkennbar ist. Hätte Beethoven noch mehr Opern komponirt, so wäre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/237>, abgerufen am 08.09.2024.