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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Welt und der transcendentale Gegenstand in Kants Kritik der reinen Vernunft.

x nennt Kant auch transcendentalen Gegenstand (S. 98. 211. 288) oder tran¬
scendentales Objekt (S. 227. 303).*)

Kant giebt ihm aber, wo er sx xrotöWo von ihm handelt, noch einen
andern Sinn. Er kommt (S. 101) schließlich Darauf hinaus. daß "der reine
Begriff von diesem transcendentalen Gegenstande .... nichts andres betreffen
wird," als die zu einer Vergegenständlichn"") notwendige "Einheit des Mannich-
faltigen der Erkenntnis," also die Form der Vergegenständlichung überhaupt.
Die "Beziehung" des Mannichfaltigen auf einen Gegenstand "ist nichts andres,
als die notwendige Einheit des Bewußtseins, mithin auch der Synthesis des
Mannichfaltigen durch gemeinschaftliche j? Übersetzung von "synthetisch" D. V.j
Funktion des Gemüts, es in einer Vorstellung zu verbinden." (Vergl. auch
S. 98.) Auf diese Weise wird der "trauscendeutale Gegenstand" die begriff¬
liche Fassung einer Verstandesfunktion nach der Seite ihres Erfolges, wie sie
vorausgesetzt werden muß, wenn es zu einer Verarbeitung positiven Empfindungs-
materials zu empirischen Gegenständen kommen soll. Dieser transcendentale
Gegenstand verhält sich also zu deu empirischen Gegenständen gerade so, wie
z. B. der transcendentale Raum zu empirischen Räumen, und man ersieht hieraus
die volle Geschlossenheit des Kantischen Systems der theoretischen Vernunft.
Was Kant a" den oben zitirten Stellen als transcendentales Objekt (auch tran¬
scendentalen Gegenstand) einführt, entsteht demnach durch Anwendung jener
Funktion über das Gebiet der Erscheinungen hinaus und kann also keine Er¬
kenntnis geben.

Es ist zu bemerken, daß diese Definition mit der der Apperzeption (S. 99)
znsammenzufallen scheint, aber eben doch nur scheint. Wenn als transcendentale
Apperzeption (begriffliche Fixirung des bloßen Vermögens der Synthesis des
Mannichfaltigen zu einer Einheit durch unser Bewußtsein, S. 106 Anm. tran-
seendentales Bewußtsein genannt) das Subjekt aller Subjekte ("Ich") bezeichnet
wird, so ist der transcendentale Gegenstand als der Erfolg einer solchen Syn¬
thesis überhaupt zu charakterisiren. Sie siud verbunden durch die Funktion
selbst. In einem und demselben (empirischen) Vorgange gewinnen sie Leben
und Bethätigung: das Npperzipircn giebt mir sowohl mich als den Gegenstand
(empirisch genommen).

Wenn in der transcendentalen Ästhetik zur Unterscheidung der rezeptiven
Seite des Gemüts, der Sinnlichkeit (Kant bedient sich des Ausdrucks "Gemüt"
mit Vorliebe, wenn er den ganzen Komplex unsers Innenlebens bezeichnen will),
von der Spontaneität des Verstandes die erstere dahin chcirakterisirt wird, daß



Da es mit dem transcendentalen Subjekt sich genau so verhält, so kommt Kant zu
der Behauptung: der Dualismus existirt nur in der Erscheinung (S. 303, vergl. auch S. 238):
wenigstens wissen wir nichts davon, ob er sich in etwaigen "Dingen an sich" findet, da wir
von diesen überhaupt nichts wissen.
Die Welt und der transcendentale Gegenstand in Kants Kritik der reinen Vernunft.

x nennt Kant auch transcendentalen Gegenstand (S. 98. 211. 288) oder tran¬
scendentales Objekt (S. 227. 303).*)

Kant giebt ihm aber, wo er sx xrotöWo von ihm handelt, noch einen
andern Sinn. Er kommt (S. 101) schließlich Darauf hinaus. daß „der reine
Begriff von diesem transcendentalen Gegenstande .... nichts andres betreffen
wird," als die zu einer Vergegenständlichn»«) notwendige „Einheit des Mannich-
faltigen der Erkenntnis," also die Form der Vergegenständlichung überhaupt.
Die „Beziehung" des Mannichfaltigen auf einen Gegenstand „ist nichts andres,
als die notwendige Einheit des Bewußtseins, mithin auch der Synthesis des
Mannichfaltigen durch gemeinschaftliche j? Übersetzung von »synthetisch« D. V.j
Funktion des Gemüts, es in einer Vorstellung zu verbinden." (Vergl. auch
S. 98.) Auf diese Weise wird der „trauscendeutale Gegenstand" die begriff¬
liche Fassung einer Verstandesfunktion nach der Seite ihres Erfolges, wie sie
vorausgesetzt werden muß, wenn es zu einer Verarbeitung positiven Empfindungs-
materials zu empirischen Gegenständen kommen soll. Dieser transcendentale
Gegenstand verhält sich also zu deu empirischen Gegenständen gerade so, wie
z. B. der transcendentale Raum zu empirischen Räumen, und man ersieht hieraus
die volle Geschlossenheit des Kantischen Systems der theoretischen Vernunft.
Was Kant a» den oben zitirten Stellen als transcendentales Objekt (auch tran¬
scendentalen Gegenstand) einführt, entsteht demnach durch Anwendung jener
Funktion über das Gebiet der Erscheinungen hinaus und kann also keine Er¬
kenntnis geben.

Es ist zu bemerken, daß diese Definition mit der der Apperzeption (S. 99)
znsammenzufallen scheint, aber eben doch nur scheint. Wenn als transcendentale
Apperzeption (begriffliche Fixirung des bloßen Vermögens der Synthesis des
Mannichfaltigen zu einer Einheit durch unser Bewußtsein, S. 106 Anm. tran-
seendentales Bewußtsein genannt) das Subjekt aller Subjekte („Ich") bezeichnet
wird, so ist der transcendentale Gegenstand als der Erfolg einer solchen Syn¬
thesis überhaupt zu charakterisiren. Sie siud verbunden durch die Funktion
selbst. In einem und demselben (empirischen) Vorgange gewinnen sie Leben
und Bethätigung: das Npperzipircn giebt mir sowohl mich als den Gegenstand
(empirisch genommen).

Wenn in der transcendentalen Ästhetik zur Unterscheidung der rezeptiven
Seite des Gemüts, der Sinnlichkeit (Kant bedient sich des Ausdrucks „Gemüt"
mit Vorliebe, wenn er den ganzen Komplex unsers Innenlebens bezeichnen will),
von der Spontaneität des Verstandes die erstere dahin chcirakterisirt wird, daß



Da es mit dem transcendentalen Subjekt sich genau so verhält, so kommt Kant zu
der Behauptung: der Dualismus existirt nur in der Erscheinung (S. 303, vergl. auch S. 238):
wenigstens wissen wir nichts davon, ob er sich in etwaigen „Dingen an sich" findet, da wir
von diesen überhaupt nichts wissen.
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[0235] Die Welt und der transcendentale Gegenstand in Kants Kritik der reinen Vernunft. x nennt Kant auch transcendentalen Gegenstand (S. 98. 211. 288) oder tran¬ scendentales Objekt (S. 227. 303).*) Kant giebt ihm aber, wo er sx xrotöWo von ihm handelt, noch einen andern Sinn. Er kommt (S. 101) schließlich Darauf hinaus. daß „der reine Begriff von diesem transcendentalen Gegenstande .... nichts andres betreffen wird," als die zu einer Vergegenständlichn»«) notwendige „Einheit des Mannich- faltigen der Erkenntnis," also die Form der Vergegenständlichung überhaupt. Die „Beziehung" des Mannichfaltigen auf einen Gegenstand „ist nichts andres, als die notwendige Einheit des Bewußtseins, mithin auch der Synthesis des Mannichfaltigen durch gemeinschaftliche j? Übersetzung von »synthetisch« D. V.j Funktion des Gemüts, es in einer Vorstellung zu verbinden." (Vergl. auch S. 98.) Auf diese Weise wird der „trauscendeutale Gegenstand" die begriff¬ liche Fassung einer Verstandesfunktion nach der Seite ihres Erfolges, wie sie vorausgesetzt werden muß, wenn es zu einer Verarbeitung positiven Empfindungs- materials zu empirischen Gegenständen kommen soll. Dieser transcendentale Gegenstand verhält sich also zu deu empirischen Gegenständen gerade so, wie z. B. der transcendentale Raum zu empirischen Räumen, und man ersieht hieraus die volle Geschlossenheit des Kantischen Systems der theoretischen Vernunft. Was Kant a» den oben zitirten Stellen als transcendentales Objekt (auch tran¬ scendentalen Gegenstand) einführt, entsteht demnach durch Anwendung jener Funktion über das Gebiet der Erscheinungen hinaus und kann also keine Er¬ kenntnis geben. Es ist zu bemerken, daß diese Definition mit der der Apperzeption (S. 99) znsammenzufallen scheint, aber eben doch nur scheint. Wenn als transcendentale Apperzeption (begriffliche Fixirung des bloßen Vermögens der Synthesis des Mannichfaltigen zu einer Einheit durch unser Bewußtsein, S. 106 Anm. tran- seendentales Bewußtsein genannt) das Subjekt aller Subjekte („Ich") bezeichnet wird, so ist der transcendentale Gegenstand als der Erfolg einer solchen Syn¬ thesis überhaupt zu charakterisiren. Sie siud verbunden durch die Funktion selbst. In einem und demselben (empirischen) Vorgange gewinnen sie Leben und Bethätigung: das Npperzipircn giebt mir sowohl mich als den Gegenstand (empirisch genommen). Wenn in der transcendentalen Ästhetik zur Unterscheidung der rezeptiven Seite des Gemüts, der Sinnlichkeit (Kant bedient sich des Ausdrucks „Gemüt" mit Vorliebe, wenn er den ganzen Komplex unsers Innenlebens bezeichnen will), von der Spontaneität des Verstandes die erstere dahin chcirakterisirt wird, daß Da es mit dem transcendentalen Subjekt sich genau so verhält, so kommt Kant zu der Behauptung: der Dualismus existirt nur in der Erscheinung (S. 303, vergl. auch S. 238): wenigstens wissen wir nichts davon, ob er sich in etwaigen „Dingen an sich" findet, da wir von diesen überhaupt nichts wissen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/235>, abgerufen am 08.09.2024.