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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Bäuerliche'Zustände in Deutschland.

des Kleingrundbesitzes und ist an Gediegenheit der Studien und Reichhaltigkeit
des Materials gleich ausgezeichnet; der größte Teil der übrigen Berichte ist
oft nur die Hälfte oder ein Viertel des Gerlandschen. Überall werden ein¬
gehend die Kultur-, Erb- und Steuerverhältnisse behandelt. Fast allgemein ist
die .Klage über die Steuerhöhe. In Westfalen z. B. werden, wenn die Klassen-
oder Einkommensteuer als Prinzipalstaatssteuer angesehen wird, --3000 Prozent
derselben an Gesamtsteuer entrichtet, und davon kommt weit über die Hälfte
ans die Kommuualsteuer. Unwillkürlich denkt man bei diesen Zahlen an jene
Verse des Freidank:


die Dürsten twingent mit gewillt,
oeil, steine, wazzer unde walt,
darzuv wilt unde zam:
sie taetcn lüfte gerne alsam:
der muoz uns noch gemeine sin.
möhtens uns den sunnen schilt
verbieten, wird unde regen;
man zuliefen zins mit golde wegen. (76, S--12.)

Aber an Stelle der Fürsten des Mittelalters sind die Kommunen der Neuzeit
getreten. Geklagt wird vielfach über die Güterschlächterei, über die Vermittler,
welche den Bauern zum Kreditnehmen verleiten, über die allgemeine Wechscl-
fcihigkeit und den Wucher. Lichtpunkte sind eigentlich nur da vorhanden, wo
der Boden ein ganz vorzüglicher ist und wo neben der eigentlichen Landwirt¬
schaft noch ein besonders gewinnbringender Zweig derselben wie Zucker- oder
Tabakknltur getrieben wird. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, daß
die hier beschriebenen Gegenden in ihrer Mehrzahl auf alter, deutscher Zivili¬
sation beruhen, und man kann den Abstand leicht erkennen, wenn man die
Berichte von Halberstadt, Braunschweig, Oldenburg, Schleswig-Holstein mit den
über die preußischen Bezirke vergleicht; da finden wir schon Verschuldungen,
die bis zu ^ des Werth gehen.

Leider verbietet der hier zugemessene Raum näher die einzelnen Berichte
zu beleuchten; sie sind noch nicht zu Ende, ein dritter Band steht noch aus.
Jedenfalls haben wir in ihnen einen höchst beachtenswerten Anfang zu be¬
grüßen, den Verhältnissen des Kleingrundbesitzes näher zu treten. Allein eine
feste Grundlage kann nur bei genauer Aufnahme der Verschuldung gewonnen
werden; erst dann wird man übersehen können, wie die Subhastationen, die
allgemeine Wechselfühigkeit, die Parzelliruugsfrciheit wirken, und dann wird man
bei der Notwendigkeit der Reform auch dieser selbst sich nicht verschließen. Dem
preußischen Königtum ist es gelungen, den Bauern von der Herrschaft des Feuda¬
lismus zu befreien; das deutsche Kaisertum hat mit der preußischen Erbschaft
eine herrliche Aufgabe übernommen, den Kleingrundbesitz auch von dem Joch
der übermächtigen Kapitalwirtschaft zu erlösen.




Bäuerliche'Zustände in Deutschland.

des Kleingrundbesitzes und ist an Gediegenheit der Studien und Reichhaltigkeit
des Materials gleich ausgezeichnet; der größte Teil der übrigen Berichte ist
oft nur die Hälfte oder ein Viertel des Gerlandschen. Überall werden ein¬
gehend die Kultur-, Erb- und Steuerverhältnisse behandelt. Fast allgemein ist
die .Klage über die Steuerhöhe. In Westfalen z. B. werden, wenn die Klassen-
oder Einkommensteuer als Prinzipalstaatssteuer angesehen wird, —3000 Prozent
derselben an Gesamtsteuer entrichtet, und davon kommt weit über die Hälfte
ans die Kommuualsteuer. Unwillkürlich denkt man bei diesen Zahlen an jene
Verse des Freidank:


die Dürsten twingent mit gewillt,
oeil, steine, wazzer unde walt,
darzuv wilt unde zam:
sie taetcn lüfte gerne alsam:
der muoz uns noch gemeine sin.
möhtens uns den sunnen schilt
verbieten, wird unde regen;
man zuliefen zins mit golde wegen. (76, S—12.)

Aber an Stelle der Fürsten des Mittelalters sind die Kommunen der Neuzeit
getreten. Geklagt wird vielfach über die Güterschlächterei, über die Vermittler,
welche den Bauern zum Kreditnehmen verleiten, über die allgemeine Wechscl-
fcihigkeit und den Wucher. Lichtpunkte sind eigentlich nur da vorhanden, wo
der Boden ein ganz vorzüglicher ist und wo neben der eigentlichen Landwirt¬
schaft noch ein besonders gewinnbringender Zweig derselben wie Zucker- oder
Tabakknltur getrieben wird. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, daß
die hier beschriebenen Gegenden in ihrer Mehrzahl auf alter, deutscher Zivili¬
sation beruhen, und man kann den Abstand leicht erkennen, wenn man die
Berichte von Halberstadt, Braunschweig, Oldenburg, Schleswig-Holstein mit den
über die preußischen Bezirke vergleicht; da finden wir schon Verschuldungen,
die bis zu ^ des Werth gehen.

Leider verbietet der hier zugemessene Raum näher die einzelnen Berichte
zu beleuchten; sie sind noch nicht zu Ende, ein dritter Band steht noch aus.
Jedenfalls haben wir in ihnen einen höchst beachtenswerten Anfang zu be¬
grüßen, den Verhältnissen des Kleingrundbesitzes näher zu treten. Allein eine
feste Grundlage kann nur bei genauer Aufnahme der Verschuldung gewonnen
werden; erst dann wird man übersehen können, wie die Subhastationen, die
allgemeine Wechselfühigkeit, die Parzelliruugsfrciheit wirken, und dann wird man
bei der Notwendigkeit der Reform auch dieser selbst sich nicht verschließen. Dem
preußischen Königtum ist es gelungen, den Bauern von der Herrschaft des Feuda¬
lismus zu befreien; das deutsche Kaisertum hat mit der preußischen Erbschaft
eine herrliche Aufgabe übernommen, den Kleingrundbesitz auch von dem Joch
der übermächtigen Kapitalwirtschaft zu erlösen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/231>, abgerufen am 08.09.2024.