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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

Als der cirglvse Mann sich entfernt hatte, blieb Dietrich, der zuletzt schon
sehr einsilbig geworden war, in stummer Verlegenheit sitzen. Die einfache Gast¬
lichkeit dieser beiden guten Leute, dieser treuen Geschwister, die für einander
lebten, legte sich ihm vorwurfsvoll aufs Herz, als er bedachte, daß er nur um
kurzer Stunden des Vergnügens willen, unmittelbar vor seiner Verlobung mit
einer andern, Annas Frieden aufs neue bedrohen wollte. Der Eindruck, den
sein früherer Lehrer in seiner Rechtschaffenheit und in seinem kindlichen Ver¬
trauen auf ihn gemacht hatte, war so groß, daß eine ernstere Stimmung über
ihn kam. Er wußte nicht, was er zu Anna sagen sollte, und es war ihm lieb,
daß sie sich, als hätte sie seine Gedanken erkannt, ans Klavier setzte und ein
altes einfaches Volkslied sang, welches er besonders liebte.

Thränen kamen ihm in die Augen. Es ward ihm, als sei er in seine
wahre Heimat zurückgekehrt und finde hier ein wahres, reines Glück, das er
draußen vergeblich gesucht habe. Schloß Eichhauseu erschien ihm wie ein Ge¬
spenst, kalt, düster und unheimlich. Welch ein Narr bin ich! sagte er sich.
Warum lasse ich mich zu Dingen zwingen, die mir widerwärtig sind? Wie
glücklich konnte ich sein, wenn ich ein simpler Privatmann wäre, an den die
Welt keine Anforderungen stellte!

Er malte sich aus, wie reizend es sein würde, wenn er ein stilles, kleines
Haus im Gebirge besäße, wo er mit Anna vereint nur seiner Liebe und der
Dichtkunst leben dürfte. Er sah sich im Geiste an einem Schreibtische nahe
einem blumenumrcmkten Fenster mit dem Blick auf blaue Berge, poetischem Sinnen
hingegeben und zugleich auf diese süße Stimme lauschend. Er seufzte tief, wenn
er bedachte, daß das nicht sein konnte.

Er erhob sich, als der letzte Ton des Liedes verklungen war, ging auf
Anna zu, kniete neben ihr nieder und bedeckte ihre Hände mit Thränen und
Küssen.

Sie begriff diesen Ausbruch schmerzlicher Weichheit nicht und sah voll Un¬
ruhe zu ihm nieder.

Ich bin es nicht wert, daß du mich liebst, du süßes Mädchen, dn sanftes
Geschöpf, sagte er. Ach, wenn du wüßtest, wie schlecht ich mich gegen dich be¬
nehme.

Nun, sagte sie erschrocken, was ist dir, Dietrich? Was willst du sagen?
Dn meiner unwert? Was willst du damit?

O, ich bitte dich, sei nicht gut und freundlich, stoße mich von dir, fluche
mir! Ich bin ein trostloses Opfer trauriger Verhältnisse, ich werde gezwungen,
mich zu vermählen. Man hat mir die Baronesse Dorothea von Sextus zur
Frau bestimmt.

Anna zog ihre Hände aus den seinigen zurück und sah ihn tief erbleichend
mit bedeutungsvollen Blicke an. O, wenn du wüßtest, sagte sie, wenn dn wüßtest,
was du thust!

Er erschrak über ihren Ausdruck und den Sinn, den die Sprache ihrer
Angen wie ihres Mundes seinem Herzen verkündete. Er erhob sich und durch¬
eilte händeringend das Zimmer, sich selbst in unzusammenhängender Worten
anklagend. (Fortsetzung folgt.)




Die Grafen von Altenschwerdt,

Als der cirglvse Mann sich entfernt hatte, blieb Dietrich, der zuletzt schon
sehr einsilbig geworden war, in stummer Verlegenheit sitzen. Die einfache Gast¬
lichkeit dieser beiden guten Leute, dieser treuen Geschwister, die für einander
lebten, legte sich ihm vorwurfsvoll aufs Herz, als er bedachte, daß er nur um
kurzer Stunden des Vergnügens willen, unmittelbar vor seiner Verlobung mit
einer andern, Annas Frieden aufs neue bedrohen wollte. Der Eindruck, den
sein früherer Lehrer in seiner Rechtschaffenheit und in seinem kindlichen Ver¬
trauen auf ihn gemacht hatte, war so groß, daß eine ernstere Stimmung über
ihn kam. Er wußte nicht, was er zu Anna sagen sollte, und es war ihm lieb,
daß sie sich, als hätte sie seine Gedanken erkannt, ans Klavier setzte und ein
altes einfaches Volkslied sang, welches er besonders liebte.

Thränen kamen ihm in die Augen. Es ward ihm, als sei er in seine
wahre Heimat zurückgekehrt und finde hier ein wahres, reines Glück, das er
draußen vergeblich gesucht habe. Schloß Eichhauseu erschien ihm wie ein Ge¬
spenst, kalt, düster und unheimlich. Welch ein Narr bin ich! sagte er sich.
Warum lasse ich mich zu Dingen zwingen, die mir widerwärtig sind? Wie
glücklich konnte ich sein, wenn ich ein simpler Privatmann wäre, an den die
Welt keine Anforderungen stellte!

Er malte sich aus, wie reizend es sein würde, wenn er ein stilles, kleines
Haus im Gebirge besäße, wo er mit Anna vereint nur seiner Liebe und der
Dichtkunst leben dürfte. Er sah sich im Geiste an einem Schreibtische nahe
einem blumenumrcmkten Fenster mit dem Blick auf blaue Berge, poetischem Sinnen
hingegeben und zugleich auf diese süße Stimme lauschend. Er seufzte tief, wenn
er bedachte, daß das nicht sein konnte.

Er erhob sich, als der letzte Ton des Liedes verklungen war, ging auf
Anna zu, kniete neben ihr nieder und bedeckte ihre Hände mit Thränen und
Küssen.

Sie begriff diesen Ausbruch schmerzlicher Weichheit nicht und sah voll Un¬
ruhe zu ihm nieder.

Ich bin es nicht wert, daß du mich liebst, du süßes Mädchen, dn sanftes
Geschöpf, sagte er. Ach, wenn du wüßtest, wie schlecht ich mich gegen dich be¬
nehme.

Nun, sagte sie erschrocken, was ist dir, Dietrich? Was willst du sagen?
Dn meiner unwert? Was willst du damit?

O, ich bitte dich, sei nicht gut und freundlich, stoße mich von dir, fluche
mir! Ich bin ein trostloses Opfer trauriger Verhältnisse, ich werde gezwungen,
mich zu vermählen. Man hat mir die Baronesse Dorothea von Sextus zur
Frau bestimmt.

Anna zog ihre Hände aus den seinigen zurück und sah ihn tief erbleichend
mit bedeutungsvollen Blicke an. O, wenn du wüßtest, sagte sie, wenn dn wüßtest,
was du thust!

Er erschrak über ihren Ausdruck und den Sinn, den die Sprache ihrer
Angen wie ihres Mundes seinem Herzen verkündete. Er erhob sich und durch¬
eilte händeringend das Zimmer, sich selbst in unzusammenhängender Worten
anklagend. (Fortsetzung folgt.)




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[0222] Die Grafen von Altenschwerdt, Als der cirglvse Mann sich entfernt hatte, blieb Dietrich, der zuletzt schon sehr einsilbig geworden war, in stummer Verlegenheit sitzen. Die einfache Gast¬ lichkeit dieser beiden guten Leute, dieser treuen Geschwister, die für einander lebten, legte sich ihm vorwurfsvoll aufs Herz, als er bedachte, daß er nur um kurzer Stunden des Vergnügens willen, unmittelbar vor seiner Verlobung mit einer andern, Annas Frieden aufs neue bedrohen wollte. Der Eindruck, den sein früherer Lehrer in seiner Rechtschaffenheit und in seinem kindlichen Ver¬ trauen auf ihn gemacht hatte, war so groß, daß eine ernstere Stimmung über ihn kam. Er wußte nicht, was er zu Anna sagen sollte, und es war ihm lieb, daß sie sich, als hätte sie seine Gedanken erkannt, ans Klavier setzte und ein altes einfaches Volkslied sang, welches er besonders liebte. Thränen kamen ihm in die Augen. Es ward ihm, als sei er in seine wahre Heimat zurückgekehrt und finde hier ein wahres, reines Glück, das er draußen vergeblich gesucht habe. Schloß Eichhauseu erschien ihm wie ein Ge¬ spenst, kalt, düster und unheimlich. Welch ein Narr bin ich! sagte er sich. Warum lasse ich mich zu Dingen zwingen, die mir widerwärtig sind? Wie glücklich konnte ich sein, wenn ich ein simpler Privatmann wäre, an den die Welt keine Anforderungen stellte! Er malte sich aus, wie reizend es sein würde, wenn er ein stilles, kleines Haus im Gebirge besäße, wo er mit Anna vereint nur seiner Liebe und der Dichtkunst leben dürfte. Er sah sich im Geiste an einem Schreibtische nahe einem blumenumrcmkten Fenster mit dem Blick auf blaue Berge, poetischem Sinnen hingegeben und zugleich auf diese süße Stimme lauschend. Er seufzte tief, wenn er bedachte, daß das nicht sein konnte. Er erhob sich, als der letzte Ton des Liedes verklungen war, ging auf Anna zu, kniete neben ihr nieder und bedeckte ihre Hände mit Thränen und Küssen. Sie begriff diesen Ausbruch schmerzlicher Weichheit nicht und sah voll Un¬ ruhe zu ihm nieder. Ich bin es nicht wert, daß du mich liebst, du süßes Mädchen, dn sanftes Geschöpf, sagte er. Ach, wenn du wüßtest, wie schlecht ich mich gegen dich be¬ nehme. Nun, sagte sie erschrocken, was ist dir, Dietrich? Was willst du sagen? Dn meiner unwert? Was willst du damit? O, ich bitte dich, sei nicht gut und freundlich, stoße mich von dir, fluche mir! Ich bin ein trostloses Opfer trauriger Verhältnisse, ich werde gezwungen, mich zu vermählen. Man hat mir die Baronesse Dorothea von Sextus zur Frau bestimmt. Anna zog ihre Hände aus den seinigen zurück und sah ihn tief erbleichend mit bedeutungsvollen Blicke an. O, wenn du wüßtest, sagte sie, wenn dn wüßtest, was du thust! Er erschrak über ihren Ausdruck und den Sinn, den die Sprache ihrer Angen wie ihres Mundes seinem Herzen verkündete. Er erhob sich und durch¬ eilte händeringend das Zimmer, sich selbst in unzusammenhängender Worten anklagend. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/222>, abgerufen am 08.09.2024.