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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das Schwurgericht.

Eindrucks so mancher Geschwornenbank erinnern, und wie so oft rabulistische
Verteidiger den Geschwornen thatsächliche und rechtliche Deduktionen zu bieten
wagen, und zwar, was das Schlimmste ist, mit Erfolg, welche dem Richtcr-
kollegium der Strafkammer überhaupt vorzutragen sie sich wohl hüten würden.
Es versteht sich ja von selbst, daß manchmal auch höchst einsichtsvolle Männer,
bisweilen geistige Kapazitäten ersten Ranges, und auch solche, die an juristischer
Urteilsfähigkeit es mit jedem der etwa mitwirkenden Richter aufnehmen, unter
den Geschwornen sich befinden; aber es handelt sich hier um die Beschaffenheit
der großen Mehrzahl. Und auch der Einwand ist zurückzuweisen, daß die
Menge der Unfähigen den Fähigen zu folgen pflege. Einmal ist das ganz
und gar nicht deutsche Art, am wenigsten die des deutschen Bauern, der ein
starkes Kontingent der Geschwornen stellt; und soweit es geschieht, entspricht es
gewiß nicht dem Willen des Gesetzes, welches zwölf Männer, und nicht einen
oder zwei, zu Urteilcru berufen hat.

Indessen es wird von machen Leuten allen Ernstes dem Urteile des Laien
in Kriminalsachen schlechthin der Vorzug vor dem des berufsmäßigen Richters
gegeben, und die Frage bedarf daher der sachlichen Prüfung.

Das einzige, was für eine solche Ansicht mit einem Schein von Grund
geltend gemacht werden kann, ist folgendes. Der richterliche Beamte, so sagt
man, steht dem praktischen Leben fern, kennt es nur vom grünen Tische her,
aus seinen Akten, behandelt deshalb alles nach seiner abstrakten Schablone, ohne
genügende Rücksicht ans das in Wirklichkeit Zweckmäßige, Billige, menschlich Na¬
türliche; der Geschworne dagegen steht mitten im Leben, kennt dessen Verhält¬
nisse von Grund aus und beurteilt sie nach natürlicher Billigkeit. Kein Vor¬
wurf kann im allgemeinen unserm Richterstande gegenüber unbegründeter sein
als der vorstehend erhobene. Ganz abgesehen von seinem Privatleben, welches
ihn mit Personen der verschiedensten Berufsstände in Verkehr zu bringen Pflegt,
ist der Richter durch sein Amt geradezu genötigt, sich eine genaue, und zwar
nicht aus Büchern, sondern anschaulich gewonnene Kenntnis der verschiedensten
Lebensverhältnisse zu verschaffen. Wir judiziren nicht mehr nach den Akten,
sondern nach mündlicher Verhandlung mit den Parteien, Zeugen und Sachver¬
ständigen, und wo örtliche Verhältnisse in Frage kommen, nach deren Besich¬
tigung. Und an all den mannichfachen Erscheinungen des öffentlichen und pri¬
vaten Lebens, die so aufs deutlichste dem Richter vorgeführt werden, darf er
nicht gedankenlos vorübergehen, wie die Mehrzahl der "mitten im Leben
stehenden" es bekanntermaßen thut; er muß sie genau und besonders in ihrer
rechtlichen Bedeutung zu verstehen suchen, wenn anders er seines Amtes ge¬
wissenhaft walten will. Man darf deshalb kühnlich behaupten, daß, abgesehen
von Verwaltnngsbecnnten und Rechtsanwälten, in keinem Stande eine so viel¬
seitige und zuverlässige Kenntnis der realen Verhältnisse des menschlichen Lebens
vertreten sei wie in dem berufsmäßigen Richter. Was will dem gegenüber das


Das Schwurgericht.

Eindrucks so mancher Geschwornenbank erinnern, und wie so oft rabulistische
Verteidiger den Geschwornen thatsächliche und rechtliche Deduktionen zu bieten
wagen, und zwar, was das Schlimmste ist, mit Erfolg, welche dem Richtcr-
kollegium der Strafkammer überhaupt vorzutragen sie sich wohl hüten würden.
Es versteht sich ja von selbst, daß manchmal auch höchst einsichtsvolle Männer,
bisweilen geistige Kapazitäten ersten Ranges, und auch solche, die an juristischer
Urteilsfähigkeit es mit jedem der etwa mitwirkenden Richter aufnehmen, unter
den Geschwornen sich befinden; aber es handelt sich hier um die Beschaffenheit
der großen Mehrzahl. Und auch der Einwand ist zurückzuweisen, daß die
Menge der Unfähigen den Fähigen zu folgen pflege. Einmal ist das ganz
und gar nicht deutsche Art, am wenigsten die des deutschen Bauern, der ein
starkes Kontingent der Geschwornen stellt; und soweit es geschieht, entspricht es
gewiß nicht dem Willen des Gesetzes, welches zwölf Männer, und nicht einen
oder zwei, zu Urteilcru berufen hat.

Indessen es wird von machen Leuten allen Ernstes dem Urteile des Laien
in Kriminalsachen schlechthin der Vorzug vor dem des berufsmäßigen Richters
gegeben, und die Frage bedarf daher der sachlichen Prüfung.

Das einzige, was für eine solche Ansicht mit einem Schein von Grund
geltend gemacht werden kann, ist folgendes. Der richterliche Beamte, so sagt
man, steht dem praktischen Leben fern, kennt es nur vom grünen Tische her,
aus seinen Akten, behandelt deshalb alles nach seiner abstrakten Schablone, ohne
genügende Rücksicht ans das in Wirklichkeit Zweckmäßige, Billige, menschlich Na¬
türliche; der Geschworne dagegen steht mitten im Leben, kennt dessen Verhält¬
nisse von Grund aus und beurteilt sie nach natürlicher Billigkeit. Kein Vor¬
wurf kann im allgemeinen unserm Richterstande gegenüber unbegründeter sein
als der vorstehend erhobene. Ganz abgesehen von seinem Privatleben, welches
ihn mit Personen der verschiedensten Berufsstände in Verkehr zu bringen Pflegt,
ist der Richter durch sein Amt geradezu genötigt, sich eine genaue, und zwar
nicht aus Büchern, sondern anschaulich gewonnene Kenntnis der verschiedensten
Lebensverhältnisse zu verschaffen. Wir judiziren nicht mehr nach den Akten,
sondern nach mündlicher Verhandlung mit den Parteien, Zeugen und Sachver¬
ständigen, und wo örtliche Verhältnisse in Frage kommen, nach deren Besich¬
tigung. Und an all den mannichfachen Erscheinungen des öffentlichen und pri¬
vaten Lebens, die so aufs deutlichste dem Richter vorgeführt werden, darf er
nicht gedankenlos vorübergehen, wie die Mehrzahl der „mitten im Leben
stehenden" es bekanntermaßen thut; er muß sie genau und besonders in ihrer
rechtlichen Bedeutung zu verstehen suchen, wenn anders er seines Amtes ge¬
wissenhaft walten will. Man darf deshalb kühnlich behaupten, daß, abgesehen
von Verwaltnngsbecnnten und Rechtsanwälten, in keinem Stande eine so viel¬
seitige und zuverlässige Kenntnis der realen Verhältnisse des menschlichen Lebens
vertreten sei wie in dem berufsmäßigen Richter. Was will dem gegenüber das


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[0022] Das Schwurgericht. Eindrucks so mancher Geschwornenbank erinnern, und wie so oft rabulistische Verteidiger den Geschwornen thatsächliche und rechtliche Deduktionen zu bieten wagen, und zwar, was das Schlimmste ist, mit Erfolg, welche dem Richtcr- kollegium der Strafkammer überhaupt vorzutragen sie sich wohl hüten würden. Es versteht sich ja von selbst, daß manchmal auch höchst einsichtsvolle Männer, bisweilen geistige Kapazitäten ersten Ranges, und auch solche, die an juristischer Urteilsfähigkeit es mit jedem der etwa mitwirkenden Richter aufnehmen, unter den Geschwornen sich befinden; aber es handelt sich hier um die Beschaffenheit der großen Mehrzahl. Und auch der Einwand ist zurückzuweisen, daß die Menge der Unfähigen den Fähigen zu folgen pflege. Einmal ist das ganz und gar nicht deutsche Art, am wenigsten die des deutschen Bauern, der ein starkes Kontingent der Geschwornen stellt; und soweit es geschieht, entspricht es gewiß nicht dem Willen des Gesetzes, welches zwölf Männer, und nicht einen oder zwei, zu Urteilcru berufen hat. Indessen es wird von machen Leuten allen Ernstes dem Urteile des Laien in Kriminalsachen schlechthin der Vorzug vor dem des berufsmäßigen Richters gegeben, und die Frage bedarf daher der sachlichen Prüfung. Das einzige, was für eine solche Ansicht mit einem Schein von Grund geltend gemacht werden kann, ist folgendes. Der richterliche Beamte, so sagt man, steht dem praktischen Leben fern, kennt es nur vom grünen Tische her, aus seinen Akten, behandelt deshalb alles nach seiner abstrakten Schablone, ohne genügende Rücksicht ans das in Wirklichkeit Zweckmäßige, Billige, menschlich Na¬ türliche; der Geschworne dagegen steht mitten im Leben, kennt dessen Verhält¬ nisse von Grund aus und beurteilt sie nach natürlicher Billigkeit. Kein Vor¬ wurf kann im allgemeinen unserm Richterstande gegenüber unbegründeter sein als der vorstehend erhobene. Ganz abgesehen von seinem Privatleben, welches ihn mit Personen der verschiedensten Berufsstände in Verkehr zu bringen Pflegt, ist der Richter durch sein Amt geradezu genötigt, sich eine genaue, und zwar nicht aus Büchern, sondern anschaulich gewonnene Kenntnis der verschiedensten Lebensverhältnisse zu verschaffen. Wir judiziren nicht mehr nach den Akten, sondern nach mündlicher Verhandlung mit den Parteien, Zeugen und Sachver¬ ständigen, und wo örtliche Verhältnisse in Frage kommen, nach deren Besich¬ tigung. Und an all den mannichfachen Erscheinungen des öffentlichen und pri¬ vaten Lebens, die so aufs deutlichste dem Richter vorgeführt werden, darf er nicht gedankenlos vorübergehen, wie die Mehrzahl der „mitten im Leben stehenden" es bekanntermaßen thut; er muß sie genau und besonders in ihrer rechtlichen Bedeutung zu verstehen suchen, wenn anders er seines Amtes ge¬ wissenhaft walten will. Man darf deshalb kühnlich behaupten, daß, abgesehen von Verwaltnngsbecnnten und Rechtsanwälten, in keinem Stande eine so viel¬ seitige und zuverlässige Kenntnis der realen Verhältnisse des menschlichen Lebens vertreten sei wie in dem berufsmäßigen Richter. Was will dem gegenüber das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/22>, abgerufen am 08.09.2024.