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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das Schwurgericht.

politischer Natur von seinem eignen Parteistandpunkte gänzlich zu, abstrahiren
und auch nicht aus übertriebener Gewissenhaftigkeit den entgegengesetzten im
Widerspruch mit dem Rechte vorwalten zu lassen. Aber wer wollte leugnen,
daß der in seiner Amtspflicht festgcwordene, dnrch die beständige Gewöhnung
in der Kunst des objektiven Anffassens geübte, durchschnittlich höher gebildete
Berufsrichter dieser Aufgabe weit besser gewachsen sei als die überwiegende Mehr-
zahl unser Geschwornen, denen alle diese Eigenschaften abgehen? Was von der
Rechtsprechung der Geschwornen in Fällen, wo politische Leidenschaften mit ins
Spiel kommen, unter Umständen zu erwarten ist, hat man an der Freisprechung
der Sassulitsch in Petersburg, an der von Mördern deutscher Soldaten in
Frankreich bald nach dem Kriege und ähnlichem erlebt. Es wäre eitel Phari-
säismus, zu behaupten, daß in Deutschland dergleichen unmöglich sei. Solche
Verhöhnungen der Gerechtigkeit durch Sprüche berufsmäßiger Richter haben die
Annalen der Justiz nicht aufzuweisen. Mau kaun sich des Verdachts nicht er¬
wehren, daß dem früher von liberaler Seite oft geäußerten Verlangen nach
einer, jetzt bekanntlich nicht bestehenden, ausschließlichen Zuständigkeit der Schwur¬
gerichte gerade für alle politischen Delikte, im Geheimen die derzeit vielleicht
zutreffende Voraussetzung zu Grunde lag, auf den Geschwornenbänken würde der
Liberalismus die Majorität haben. Man frage aber einmal einen richtigen
Fortschrittsmann aufs Gewissen, ob er, eines politischen Verbrechens unschuldig
angeklagt, eher von Berufsrichtcrn entgegengesetzter politischer Richtung, oder
von einer mit politischen Gegnern besetzten Geschwvrnenbank ein gerechtes Urteil
erhoffen würde. Er wird sich über die Antwort zu Gunsten der erster" nicht
lauge besinnen; "ut damit ist streng genommen über das ganze Institut der
Geschwornen der Stab gebrochen. Und nicht einmal auf dem Gebiete der all¬
täglichen Kriminalfälle kann man ihnen dieselbe Unparteilichkeit zutrauen wie
den Berufsrichtern; man thut es auch nicht, nicht einmal der Gesetzgeber selbst.
Welchen andern Sinn hätte denn das mit der richterlichen Würde der Ge¬
schwornen so seltsam kontmstirende freie Ablehnungsrecht auf feiten der Prozeß-
beteiligten als den des vom Gesetzgeber selbst ausgesprochenen Mißtrauens?
Und in eben diesem Sinne wird es von den Berechtigten unverhohlen gehandhabt.

Auf diesen Punkt soll weiter unten noch näher eingegangen werden. Soviel
ist schon jetzt klar: Mit der gerühmten besondern Unparteilichkeit der Schwur¬
gerichte oder auch uur dem allgemeinen Glauben an eine solche besondre Un¬
parteilichkeit ist es nichts.

Aber, wenn nicht ans feiten des gerechtern Wollens, so liegen die Vor¬
züge der Schwurgerichte, und die der Laiengerichtc überhaupt, vielleicht auf der
des bessern Könnens? Vielleicht sind die Geschwornen den Berufsrichtcrn an
Einsicht und Urteilsfähigkeit überlegen?

Wer häufig in Schwurgerichtssäle" verweilt hat, wird bei einer solche"
Frage ein Lächeln nicht unterdrücken können. Er wird sich des physiognomischen


Das Schwurgericht.

politischer Natur von seinem eignen Parteistandpunkte gänzlich zu, abstrahiren
und auch nicht aus übertriebener Gewissenhaftigkeit den entgegengesetzten im
Widerspruch mit dem Rechte vorwalten zu lassen. Aber wer wollte leugnen,
daß der in seiner Amtspflicht festgcwordene, dnrch die beständige Gewöhnung
in der Kunst des objektiven Anffassens geübte, durchschnittlich höher gebildete
Berufsrichter dieser Aufgabe weit besser gewachsen sei als die überwiegende Mehr-
zahl unser Geschwornen, denen alle diese Eigenschaften abgehen? Was von der
Rechtsprechung der Geschwornen in Fällen, wo politische Leidenschaften mit ins
Spiel kommen, unter Umständen zu erwarten ist, hat man an der Freisprechung
der Sassulitsch in Petersburg, an der von Mördern deutscher Soldaten in
Frankreich bald nach dem Kriege und ähnlichem erlebt. Es wäre eitel Phari-
säismus, zu behaupten, daß in Deutschland dergleichen unmöglich sei. Solche
Verhöhnungen der Gerechtigkeit durch Sprüche berufsmäßiger Richter haben die
Annalen der Justiz nicht aufzuweisen. Mau kaun sich des Verdachts nicht er¬
wehren, daß dem früher von liberaler Seite oft geäußerten Verlangen nach
einer, jetzt bekanntlich nicht bestehenden, ausschließlichen Zuständigkeit der Schwur¬
gerichte gerade für alle politischen Delikte, im Geheimen die derzeit vielleicht
zutreffende Voraussetzung zu Grunde lag, auf den Geschwornenbänken würde der
Liberalismus die Majorität haben. Man frage aber einmal einen richtigen
Fortschrittsmann aufs Gewissen, ob er, eines politischen Verbrechens unschuldig
angeklagt, eher von Berufsrichtcrn entgegengesetzter politischer Richtung, oder
von einer mit politischen Gegnern besetzten Geschwvrnenbank ein gerechtes Urteil
erhoffen würde. Er wird sich über die Antwort zu Gunsten der erster» nicht
lauge besinnen; »ut damit ist streng genommen über das ganze Institut der
Geschwornen der Stab gebrochen. Und nicht einmal auf dem Gebiete der all¬
täglichen Kriminalfälle kann man ihnen dieselbe Unparteilichkeit zutrauen wie
den Berufsrichtern; man thut es auch nicht, nicht einmal der Gesetzgeber selbst.
Welchen andern Sinn hätte denn das mit der richterlichen Würde der Ge¬
schwornen so seltsam kontmstirende freie Ablehnungsrecht auf feiten der Prozeß-
beteiligten als den des vom Gesetzgeber selbst ausgesprochenen Mißtrauens?
Und in eben diesem Sinne wird es von den Berechtigten unverhohlen gehandhabt.

Auf diesen Punkt soll weiter unten noch näher eingegangen werden. Soviel
ist schon jetzt klar: Mit der gerühmten besondern Unparteilichkeit der Schwur¬
gerichte oder auch uur dem allgemeinen Glauben an eine solche besondre Un¬
parteilichkeit ist es nichts.

Aber, wenn nicht ans feiten des gerechtern Wollens, so liegen die Vor¬
züge der Schwurgerichte, und die der Laiengerichtc überhaupt, vielleicht auf der
des bessern Könnens? Vielleicht sind die Geschwornen den Berufsrichtcrn an
Einsicht und Urteilsfähigkeit überlegen?

Wer häufig in Schwurgerichtssäle» verweilt hat, wird bei einer solche»
Frage ein Lächeln nicht unterdrücken können. Er wird sich des physiognomischen


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[0021] Das Schwurgericht. politischer Natur von seinem eignen Parteistandpunkte gänzlich zu, abstrahiren und auch nicht aus übertriebener Gewissenhaftigkeit den entgegengesetzten im Widerspruch mit dem Rechte vorwalten zu lassen. Aber wer wollte leugnen, daß der in seiner Amtspflicht festgcwordene, dnrch die beständige Gewöhnung in der Kunst des objektiven Anffassens geübte, durchschnittlich höher gebildete Berufsrichter dieser Aufgabe weit besser gewachsen sei als die überwiegende Mehr- zahl unser Geschwornen, denen alle diese Eigenschaften abgehen? Was von der Rechtsprechung der Geschwornen in Fällen, wo politische Leidenschaften mit ins Spiel kommen, unter Umständen zu erwarten ist, hat man an der Freisprechung der Sassulitsch in Petersburg, an der von Mördern deutscher Soldaten in Frankreich bald nach dem Kriege und ähnlichem erlebt. Es wäre eitel Phari- säismus, zu behaupten, daß in Deutschland dergleichen unmöglich sei. Solche Verhöhnungen der Gerechtigkeit durch Sprüche berufsmäßiger Richter haben die Annalen der Justiz nicht aufzuweisen. Mau kaun sich des Verdachts nicht er¬ wehren, daß dem früher von liberaler Seite oft geäußerten Verlangen nach einer, jetzt bekanntlich nicht bestehenden, ausschließlichen Zuständigkeit der Schwur¬ gerichte gerade für alle politischen Delikte, im Geheimen die derzeit vielleicht zutreffende Voraussetzung zu Grunde lag, auf den Geschwornenbänken würde der Liberalismus die Majorität haben. Man frage aber einmal einen richtigen Fortschrittsmann aufs Gewissen, ob er, eines politischen Verbrechens unschuldig angeklagt, eher von Berufsrichtcrn entgegengesetzter politischer Richtung, oder von einer mit politischen Gegnern besetzten Geschwvrnenbank ein gerechtes Urteil erhoffen würde. Er wird sich über die Antwort zu Gunsten der erster» nicht lauge besinnen; »ut damit ist streng genommen über das ganze Institut der Geschwornen der Stab gebrochen. Und nicht einmal auf dem Gebiete der all¬ täglichen Kriminalfälle kann man ihnen dieselbe Unparteilichkeit zutrauen wie den Berufsrichtern; man thut es auch nicht, nicht einmal der Gesetzgeber selbst. Welchen andern Sinn hätte denn das mit der richterlichen Würde der Ge¬ schwornen so seltsam kontmstirende freie Ablehnungsrecht auf feiten der Prozeß- beteiligten als den des vom Gesetzgeber selbst ausgesprochenen Mißtrauens? Und in eben diesem Sinne wird es von den Berechtigten unverhohlen gehandhabt. Auf diesen Punkt soll weiter unten noch näher eingegangen werden. Soviel ist schon jetzt klar: Mit der gerühmten besondern Unparteilichkeit der Schwur¬ gerichte oder auch uur dem allgemeinen Glauben an eine solche besondre Un¬ parteilichkeit ist es nichts. Aber, wenn nicht ans feiten des gerechtern Wollens, so liegen die Vor¬ züge der Schwurgerichte, und die der Laiengerichtc überhaupt, vielleicht auf der des bessern Könnens? Vielleicht sind die Geschwornen den Berufsrichtcrn an Einsicht und Urteilsfähigkeit überlegen? Wer häufig in Schwurgerichtssäle» verweilt hat, wird bei einer solche» Frage ein Lächeln nicht unterdrücken können. Er wird sich des physiognomischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/21>, abgerufen am 08.09.2024.