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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

revolutionären Bewegung, an deren Spitze derselbe einherschreitet, marschirt zu¬
gleich der Neid. Neid und Eifersucht haben von jeher zu den republikanischen
Tugenden gehört, und die jungen Naturalisten entschließen sich lieber, einem
verhaßten Akademiker ihre Stimme zu geben, als einem der ihrigen, dem da¬
durch ein gewisses Maß von Superiorität zugestanden würde. Ganz Unrecht
haben sie insofern nicht, als Baseler-Lepage keineswegs eine durchaus domi-
nirende Stellung unter ihnen einnimmt. Er war auch nicht einmal der Bahn¬
brecher auf einem Wege, den jetzt eine so große Schaar von Nachahmern einge¬
schlagen hat, sondern nur ein kühner Rottenführer, der durch sein Beispiel viele
ermutigt, durch seine schnellen Erfolge viele mit fortgerissen hat. Indessen muß
seine Manier nicht schwer zu erlernen sein, da der Salon eine stattliche Reihe
von Künstlern aufzuweisen hat, deren Gemälde hinsichtlich der malerischen Be¬
handlung und der Charakteristik dem seinigen ebenbürtig sind.

Die von ihm vertretene Richtung geht auf Millet und Courbet als ihre
geistigen Väter zurück. Courbet hat, mehr durch seine politische Überzeugung
als durch sein künstlerisches Bewußtsein dazu getrieben, die Sklaven der Arbeit,
die Proletarier, die Enterbten in die Kunst eingeführt. Seine "Steinklopfer"
sind eine Art Manifest an die Menschheit, in welchem er auf die Mühseligkeit
eines trostlosen Lebens, einer harten, Geist und Körper vernichtenden Arbeit
hinweist. Courbets Einwirkung auf die zeitgenössische Kunst war aber keine
sonderlich tiefe. Technische Prozeduren, die doch auch hinzutreten müssen, um
der Kunst ein Stück vorwärts zu helfen, hat die jüngere Generation nicht
von ihm gelernt. Dagegen ist Millet, der kein Politiker war, sondern der nur
das beschwerliche Leben der Bauern schilderte, weil er selbst ans dem Bauern¬
stande hervorgegangen war, ihr einflußreicher Lehrmeister gewesen, obwohl er
niemals eine Schule gehalten hat. Er faßte das Leben der Ackerbauer nur
von seiner Schattenseite auf, er wollte zeigen, welche ungeheuern Laste" die
Landleute im Dienste der übrigen Menschheit zu tragen haben, wie die unab¬
lässige harte Arbeit stumpfsinnig macht und den Menschen zum Tiere herab-
drückt. Er sah nur das Häßliche und Gemeine und hatte für die Poesie des
Landlebens nicht das mindeste Verständnis. Diese zu entdecken blieb Jules
Breton vorbehalten. Während Millet die Bauern immer nur als unermüdliche
Kämpfer darstellte, welche einen endlosen Krieg mit dem widerspenstigen Erd¬
boden führen, zeigte Breton seine Bauern und Bäuerinnen auch im romantischen
Glänze der Sieger. Bauern, welche mit dem freudigen Bewußtsein erfolgreicher
Thätigkeit ihre gesegneten Felder besuchen, Schnitter, die den hochbeladcueu
Erntewagen heimführen, Ährenleserinnen, welche mit dem Ährenbündel auf den
Köpfen beim Untergang der Sonne und von den letzten Strahlen derselben
beleuchtet ihrem Dorfe zuschreiten -- das waren die Stoffe, welche Breton
mit Vorliebe behandelte. Seine lebensgroßen, stark und knochig gebauten
Figuren erhielten einen heldenhaften Charakter. Stolz erhobenen Hauptes,


Der Pariser Salon.

revolutionären Bewegung, an deren Spitze derselbe einherschreitet, marschirt zu¬
gleich der Neid. Neid und Eifersucht haben von jeher zu den republikanischen
Tugenden gehört, und die jungen Naturalisten entschließen sich lieber, einem
verhaßten Akademiker ihre Stimme zu geben, als einem der ihrigen, dem da¬
durch ein gewisses Maß von Superiorität zugestanden würde. Ganz Unrecht
haben sie insofern nicht, als Baseler-Lepage keineswegs eine durchaus domi-
nirende Stellung unter ihnen einnimmt. Er war auch nicht einmal der Bahn¬
brecher auf einem Wege, den jetzt eine so große Schaar von Nachahmern einge¬
schlagen hat, sondern nur ein kühner Rottenführer, der durch sein Beispiel viele
ermutigt, durch seine schnellen Erfolge viele mit fortgerissen hat. Indessen muß
seine Manier nicht schwer zu erlernen sein, da der Salon eine stattliche Reihe
von Künstlern aufzuweisen hat, deren Gemälde hinsichtlich der malerischen Be¬
handlung und der Charakteristik dem seinigen ebenbürtig sind.

Die von ihm vertretene Richtung geht auf Millet und Courbet als ihre
geistigen Väter zurück. Courbet hat, mehr durch seine politische Überzeugung
als durch sein künstlerisches Bewußtsein dazu getrieben, die Sklaven der Arbeit,
die Proletarier, die Enterbten in die Kunst eingeführt. Seine „Steinklopfer"
sind eine Art Manifest an die Menschheit, in welchem er auf die Mühseligkeit
eines trostlosen Lebens, einer harten, Geist und Körper vernichtenden Arbeit
hinweist. Courbets Einwirkung auf die zeitgenössische Kunst war aber keine
sonderlich tiefe. Technische Prozeduren, die doch auch hinzutreten müssen, um
der Kunst ein Stück vorwärts zu helfen, hat die jüngere Generation nicht
von ihm gelernt. Dagegen ist Millet, der kein Politiker war, sondern der nur
das beschwerliche Leben der Bauern schilderte, weil er selbst ans dem Bauern¬
stande hervorgegangen war, ihr einflußreicher Lehrmeister gewesen, obwohl er
niemals eine Schule gehalten hat. Er faßte das Leben der Ackerbauer nur
von seiner Schattenseite auf, er wollte zeigen, welche ungeheuern Laste» die
Landleute im Dienste der übrigen Menschheit zu tragen haben, wie die unab¬
lässige harte Arbeit stumpfsinnig macht und den Menschen zum Tiere herab-
drückt. Er sah nur das Häßliche und Gemeine und hatte für die Poesie des
Landlebens nicht das mindeste Verständnis. Diese zu entdecken blieb Jules
Breton vorbehalten. Während Millet die Bauern immer nur als unermüdliche
Kämpfer darstellte, welche einen endlosen Krieg mit dem widerspenstigen Erd¬
boden führen, zeigte Breton seine Bauern und Bäuerinnen auch im romantischen
Glänze der Sieger. Bauern, welche mit dem freudigen Bewußtsein erfolgreicher
Thätigkeit ihre gesegneten Felder besuchen, Schnitter, die den hochbeladcueu
Erntewagen heimführen, Ährenleserinnen, welche mit dem Ährenbündel auf den
Köpfen beim Untergang der Sonne und von den letzten Strahlen derselben
beleuchtet ihrem Dorfe zuschreiten — das waren die Stoffe, welche Breton
mit Vorliebe behandelte. Seine lebensgroßen, stark und knochig gebauten
Figuren erhielten einen heldenhaften Charakter. Stolz erhobenen Hauptes,


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[0206] Der Pariser Salon. revolutionären Bewegung, an deren Spitze derselbe einherschreitet, marschirt zu¬ gleich der Neid. Neid und Eifersucht haben von jeher zu den republikanischen Tugenden gehört, und die jungen Naturalisten entschließen sich lieber, einem verhaßten Akademiker ihre Stimme zu geben, als einem der ihrigen, dem da¬ durch ein gewisses Maß von Superiorität zugestanden würde. Ganz Unrecht haben sie insofern nicht, als Baseler-Lepage keineswegs eine durchaus domi- nirende Stellung unter ihnen einnimmt. Er war auch nicht einmal der Bahn¬ brecher auf einem Wege, den jetzt eine so große Schaar von Nachahmern einge¬ schlagen hat, sondern nur ein kühner Rottenführer, der durch sein Beispiel viele ermutigt, durch seine schnellen Erfolge viele mit fortgerissen hat. Indessen muß seine Manier nicht schwer zu erlernen sein, da der Salon eine stattliche Reihe von Künstlern aufzuweisen hat, deren Gemälde hinsichtlich der malerischen Be¬ handlung und der Charakteristik dem seinigen ebenbürtig sind. Die von ihm vertretene Richtung geht auf Millet und Courbet als ihre geistigen Väter zurück. Courbet hat, mehr durch seine politische Überzeugung als durch sein künstlerisches Bewußtsein dazu getrieben, die Sklaven der Arbeit, die Proletarier, die Enterbten in die Kunst eingeführt. Seine „Steinklopfer" sind eine Art Manifest an die Menschheit, in welchem er auf die Mühseligkeit eines trostlosen Lebens, einer harten, Geist und Körper vernichtenden Arbeit hinweist. Courbets Einwirkung auf die zeitgenössische Kunst war aber keine sonderlich tiefe. Technische Prozeduren, die doch auch hinzutreten müssen, um der Kunst ein Stück vorwärts zu helfen, hat die jüngere Generation nicht von ihm gelernt. Dagegen ist Millet, der kein Politiker war, sondern der nur das beschwerliche Leben der Bauern schilderte, weil er selbst ans dem Bauern¬ stande hervorgegangen war, ihr einflußreicher Lehrmeister gewesen, obwohl er niemals eine Schule gehalten hat. Er faßte das Leben der Ackerbauer nur von seiner Schattenseite auf, er wollte zeigen, welche ungeheuern Laste» die Landleute im Dienste der übrigen Menschheit zu tragen haben, wie die unab¬ lässige harte Arbeit stumpfsinnig macht und den Menschen zum Tiere herab- drückt. Er sah nur das Häßliche und Gemeine und hatte für die Poesie des Landlebens nicht das mindeste Verständnis. Diese zu entdecken blieb Jules Breton vorbehalten. Während Millet die Bauern immer nur als unermüdliche Kämpfer darstellte, welche einen endlosen Krieg mit dem widerspenstigen Erd¬ boden führen, zeigte Breton seine Bauern und Bäuerinnen auch im romantischen Glänze der Sieger. Bauern, welche mit dem freudigen Bewußtsein erfolgreicher Thätigkeit ihre gesegneten Felder besuchen, Schnitter, die den hochbeladcueu Erntewagen heimführen, Ährenleserinnen, welche mit dem Ährenbündel auf den Köpfen beim Untergang der Sonne und von den letzten Strahlen derselben beleuchtet ihrem Dorfe zuschreiten — das waren die Stoffe, welche Breton mit Vorliebe behandelte. Seine lebensgroßen, stark und knochig gebauten Figuren erhielten einen heldenhaften Charakter. Stolz erhobenen Hauptes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/206>, abgerufen am 08.09.2024.